Hagen. Historisch sollte der Corona-Gipfel sein. Doch es gibt neue Fragen: Beim Hochzeitspaar, dem Wirt und einem Bürgermeister, der übersetzen muss.
Tag 1 nach dem Gipfel im Kanzleramt. Julia Keggenhoff ist aufgeregt. „So was von aufgeregt“, sagt die Inhaberin der Agentur Traumhochzeit Sauerland in Sundern und erzählt von der geplanten Vermählung am kommenden Samstag im Kreis Olpe – der seit dieser Woche als Corona-Risikogebiet eingestuft ist. Kanzlerin Merkel und die Länderchefs haben verschärfte Corona-Regeln vereinbart. Diese betreffen auch Feiern. Die Lage ist ernst, es ist nicht die Zeit für Partys, betonen Politiker.
Die Hochzeit
„Keiner kann mir derzeit sagen“, klagt Julia Keggenhoff, „ob die Hochzeit am Samstag wie geplant stattfinden kann.“ Die „Eventmanagerin für Hochzeiten“ hat sich am Morgen die Finger wund gewählt, wollte vom Ordnungsamt wissen, ob die eingeladenen 25 Festgäste dabei sein dürfen oder ob jetzt nur noch zehn Familienangehörige und Freunde erlaubt sind. „Ich habe keinen ans Telefon bekommen. Da haben wohl ganz viele andere Menschen auch noch Fragen.“ Auch das Hotel, in dem die Feier stattfinden soll, konnte ihr mangels Informationen nicht weiterhelfen.
„Hochzeitspaare und wir Dienstleister sind total verunsichert“, sagt Julia Keggenhoff. Das Event am Samstag wäre für die Hochzeitsplanerin das Saisonende. Alle weiteren Hochzeiten sind auf 2021 verschoben worden. „Bei den Terminen im kommenden Jahr drubbelt es sich jetzt schon“, sagt die Sundernerin und verweist darauf, dass selbst an Werk- und Sonntagen bereits Hochzeitsfeiern angesetzt wurden – damit man den Tag in der Wunsch-Location begehen kann. „Bei vielen schwingt aber die Sorge mit, dass das Coronavirus auch diese Pläne durchkreuzt.“ Julia Keggenhoff mag überhaupt nicht daran denken. „Ja“, sagt sie, „viele Dienstleister kämpfen ums nackte Überleben.“
Die Kneipe
Das gilt auch für Wirte, die sich mit möglichen Sperrstunden auseinandersetzen müssen. Ralf Hedtmann, Besitzer des Bistros Papillon in Gevelsberg, blickt in diesen Tagen nach Hagen und Wuppertal, Risikogebiete in der Nachbarschaft, wo Sperrstunden um 23 Uhr eingeführt wurden. „Ganz klar, wir bangen“, sagt er, „eine Sperrstunde wäre fatal. Das würde zusammen mit abgesagten Weihnachtsfeiern der eine oder andere Gastronom nicht mehr verkraften.“ Wegen seines gut frequentierten Biergartens ist Hedtmann nach eigenem Bekunden trotz Umsatzeinbußen bislang mit einem blauen Auge durch die Corona-Pandemie gekommen.
Das Papillon ist ein beliebter Treffpunkt junger Leute. „Die gehen an Wochenenden doch erst um 23 Uhr raus“, sagt Hedtmann und kritisiert die Realitätsferne einer Sperrstunde: „Die jungen Leute wollen abends vor die Tür. Wenn sie nicht bei uns reinkommen, gehen sie eben woanders hin.“ Dabei sei dieses Publikum in einem Gastraum, in dem auf die Einhaltung der Corona-Regeln geachtet wird, besser unter Kontrolle als auf der Straße oder daheim mit Alkohol von der Tankstelle oder aus dem Supermarkt. „Ich kann nur immer sagen: Bei uns gibt es in Corona-Zeiten keine Partys, es läuft alles anständig ab.“
Der Veranstalter
Für Gisbert Kemmerling ist Vorsicht das Gebot der Stunde. „Die im Kanzleramt vereinbarten verschärften Corona-Regeln sind ein weiterer Nackenschlag für unsere Branche“, sagt der Konzertveranstalter aus Bestwig. Aber: „Sie gehen letztlich in Ordnung. Der Gesundheitsaspekt muss über allem stehen. Auch über der Party. Wenn wir jetzt nicht aufpassen, nimmt die Entwicklung der Infizierten-Zahlen im Winter dramatische Formen an.“
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Kemmerling ist seit Jahrzehnten in der Branche tätig. Er weiß, dass sich eine Veranstaltung mit bekannten Musikern vor 150 Besuchern wirtschaftlich nicht rechnet und die Gefahr einer massenhaften Verbreitung des Coronavirus besteht: „Dafür möchte ich nicht verantwortlich sein.“ Und: „Nur um etwas zu tun, ein Event unter den derzeitigen Bedingungen auf die Beine zu stellen, das mache ich nicht.“ Kemmerling hilft derzeit im gastronomischen Betrieb eines Freundes aus. „Ich kenne einige Leute aus der Veranstaltungsbranche, die die unfreiwillige Zwangspause in ganz anderen Berufen überbrücken. Man darf nicht in Lethargie verfallen.“
Der Bürgermeister
Einer, der ganz unermüdlich übersetzt, was immer und immer wieder auf höherer Ebene beschlossen wird, ist Bernd Fuhrmann. Er ist Bürgermeister von Bad Berleburg. Die Stadt im Wittgensteiner Land hat gut 19.000 Einwohner. Und Bernd Fuhrmann hat rund 4900 „Freunde“ auf seinem persönlichen Facebook-Profil, noch einmal rund 2500 Abonnenten hat die Facebook-Seite der Stadt. Fuhrmann und sein Team nutzen alle Kanäle, um aufzuklären. Aber es gibt auch Beiträge wie den am Dienstag: „Ihr habt Fragen? Wir auch. Ihr seid verwirrt? Wir auch.“ Wieder mal hatte es vom Land die Ankündigungen gegeben, dass die Coronaschutzverordnung geändert wird. Und wieder mal dauerte es, bis die Details bei der Stadt angekommen waren.
„Das ist natürlich schwierig als Bürgermeister vor Ort“, sagt Fuhrmann. „Die Bürger haben hier ganz konkrete Fragen. Etwa, wie viele Leute denn nun zum Geburtstag kommen dürfen. Da leisten wir eine Menge Übersetzungsarbeit.“ Die wäre auch jetzt wieder nötig nach den Beschlüssen in Berlin. Doch das fällt ihm und seinem Team schwer: „Wir wissen noch nicht, was NRW im Einzelnen daraus macht.“ Und das wird noch dauern. Bis Freitagnachmittag wohl allemal, die Fragen der Bürger werden dadurch nicht weniger.
Sinnvoll sei es aber auf jeden Fall, auf die steigenden Infektionszahlen zu reagieren. Auch wenn der Kreis Siegen-Wittgenstein noch keinen Grenzwert überschritten hat. So sehen es auch sicherlich die allermeisten Bürger, ist sich Fuhrmann sicher, aber es habe sich durchaus etwas geändert, merkt er an den Reaktionen via Facebook. „Zu Beginn der Pandemie haben sich viele Menschen für die Infos bedankt und man hat sich gegenseitig Gesundheit gewünscht.“ Jetzt wachse die Kritik, meist in Detailfragen, es gebe auch mehr Nutzer, die das Virus für eine Erfindung hielten, aber auch die, denen die Maßnahmen nicht weit genug gingen. Bad Berleburg – ein Spiegel der Gesellschaft.