Nachrodt-Wiblingwerde. Weil die Tochter (3) in Quarantäne muss, erhält Nicole Grauel Post vom Märkischen Kreis, die sie wütend macht. Der Kreis reagiert nun darauf.

Nicole Grauel ist noch immer entsetzt. Entsetzt, dass sie inmitten des Ausnahmezustandes diese Post erreicht. Absender: der Märkische Kreis, sechs Seiten. So formuliert, „dass man bei jedem weiteren Satz glaubt, vor Wut zu platzen“, sagt die 39-Jährige aus Nachrodt-Wiblingwerde. Sie hat eine kleine Tochter, die drei Jahre alt ist und in Quarantäne muss. Nela hatte Kontakt zu einer Erzieherin, die positiv getestet wurde. Das wusste Nicole Grauel schon. Auch, dass ihr ein Brief zugestellt würde, in dem das schriftlich festgehalten wird. Aber so?

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Die sechs Seiten sind eine Ordnungsverfügung, die voll von Paragrafen ist. Und die sogar Drohungen enthält. Für den Fall nämlich, dass der Quarantäne-Anordnung nicht ausreichend Folge geleistet wird, „drohe ich das Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs an“, steht da: „Dies bedeutet, dass ich auch gegen ihren Willen, notfalls unter Anwendung körperlicher Gewalt, sicherstelle, dass das Kind den Quarantäne-Bereich nicht verlassen wird. Alternativ kann eine zwangsweise Unterbringung in einer geschlossenen Quarantäne-Station angeordnet werden“.

Quarantäne ist für Familie purer Stress

Nela darf nicht in die Kita, darf nicht auf den Spielplatz, darf nirgendwo hin. „Sie ist unausgeglichen“, sagt Nicole Grauel über ihr Kind, das gerade mal wieder den Lautstärkepegel in den roten Bereich dreht. Nela hat einen älteren Bruder. Mika ist sechs und gerade eingeschult wurde. Aufregende Zeit für alle. Nicole Grauel arbeitet am Empfang einer Physiotherapiepraxis, ihr Mann im Rettungsdienst. Home-Office? Bei beiden nicht möglich. Stressfaktor? Hoch. „Wir haben es bislang immer geschafft, dass einer von uns immer da ist“, sagt Nicole Grauel. Aber es ist ein täglicher Balanceakt. „Furchtbar“, sagt sie. Und: „Purer Stress.“

Nicola Grauel mit ihrer Tochter. Die Dreijährige muss in Quarantäne.
Nicola Grauel mit ihrer Tochter. Die Dreijährige muss in Quarantäne.

Mitten hinein in diese Gefühlslage fällt die Lektüre des Briefs. „Niemand kann etwas dafür und ich mache auch niemandem einen Vorwurf“, sagt Nicole Grauel: „Die Kinder und die Eltern und das Umfeld leiden so schon, aber solch ein Text ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.“

1000 Euro Bußgeld angedroht - pro Fall der Zuwiderhandlung

Zwang? Gegen den eigenen Willen? Körperliche Gewalt? Geschlossene Quarantäne-Station? Für jeden Fall der Zuwiderhandlung droht der Kreis zudem 1000 Euro Bußgeld an. „Wir sind uns sehr wohl bewusst, wie gefährlich dieses Virus ist und halten uns seit Beginn an alles, was angeordnet wurde“, sagt Nicole Grauel. Sie verstünde es ja, wenn es Zweifel gäbe oder wenn sie schon gegen die Anordnungen verstoßen hätte. Aber so? Als unbescholtene Bürgerin in einem Land wie Deutschland, in dem Gewalt kein Mittel sein sollte? „Kann es nicht so formuliert werden, dass man nicht das Gefühl bekommt, man hätte etwas verbrochen?“

Jein, sagt der Märkische Kreis, der das Schreiben verfasst hat. „Eine Ordnungsverfügung muss nun einmal rechtssicher sein“, sagt Volker Schmidt. Der Fachbereichsleiter für Gesundheit und Soziales ist auch Mitglied im Krisenstab des Märkischen Kreises. „Dass das nicht jedem gefällt, verstehe ich.“

Nicht die erste Beschwerde im Märkischen Kreis

Vor ein paar Monaten hatte es schon einmal eine Beschwerde über den Brief gegeben. Daraufhin sei eine einleitende Passage verfasst worden, die die Betroffenen etwas besser zum Thema hinführen soll. Aber auch die besticht durch Kühle, nicht durch Nachsicht oder Einfühlungsvermögen. Schmidt räumt daher ein, dass es möglicherweise Nachbesserungen geben wird. Vielleicht auch einen Satz zu Beginn, der vor dem weiteren Inhalt warnt, so dass sich niemand erschreckt.

„Wir nehmen diesen Vorfall zum Anlass, die juristische Abteilung prüfen zu lassen, inwieweit Anpassungen bei gleicher Rechtssicherheit möglich sind“, sagt Schmidt. „Wir nehmen das sehr ernst. Wir wollen nicht gegen die Menschen arbeiten, sondern mit ihnen. Die Situation ist für die meisten ja ohnehin schon schwer genug.“

Negativer Corona-Test

Für Nela ist die Quarantäne bald vorbei. Nicole Grauel zählt die Stunden. Nela hat nicht verstanden, warum sie nicht mit ihren Freundinnen spielen durfte, warum sie nicht zu Omas Geburtstag durfte. „Ich bin doch nicht krank“, habe sie gesagt. Sie hatte sogar einen negativen Corona-Test . Trotzdem Quarantäne. „Vielleicht wäre es hilfreich, unterschiedliche Schreiben anzufertigen: für Kinder unter 12, für Jugendliche und für Erwachsene“, sagt Nicole Grauel. Sie hätte das gut gefunden.