Hagen/Erndtebrück. Die Hochrisikogruppe müsse besser geschützt werden, sagt Allgemeinmediziner Oliver Haas aus Erndtebrück. Die Politik handele blauäugig.
Oliver Haas entschuldigt sich. Früher war der Rückruf nicht möglich. Von 7 bis 9 Uhr hat er Corona-Tests bei Patienten durchgeführt, war dann in seiner Praxis, um zwischen 13 und 15.15 Uhr etwa 70 Lehrer auf das Virus zu testen. Der Allgemeinmediziner aus Erndtebrück im Kreis Siegen-Wittgenstein gehört zu jenen Ärzten, die die Tests anbieten, um die es derzeit so viele Diskussionen gibt.
Patienten beschweren sich, dass sie keine Praxis finden, in der sie sich testen lassen können. Hausärzte beschweren sich, dass sie die Tests anbieten sollen, wo doch eigentlich die Gesundheitsämter für Infektionsschutz zuständig sind. Es herrscht nicht weniger als Verwirrung. Und Haas? Hat es geschafft, das Risiko für seine Patienten zu minimieren. Die Politik, sagt er, habe blauäugig gehandelt. „Diese Tests flächendeckend durch die Hausarztpraxen durchführen zu lassen, ist praktisch kaum möglich.“
Corona-Tests: „Kollateralschäden wären nicht absehbar“
Der Irrtum basiere auf der Vorstellung der Politiker, „dass zwischen der Behandlung von anderen Patienten in der Praxis eben mal ein Abstrich auf Sars-Cov-2 durchgeführt werden kann“. Dabei berge jeder Abstrich „ein erhöhtes Infektionsrisiko, so dass das Tragen einer entsprechenden Schutzkleidung zwingend erforderlich ist“, sagt er. Ist ein Test positiv müssten im normalen Praxisbetriebs Infektionsketten nachverfolgt werden. Zeitlich und räumlich sei es zwingend notwendig, die Patienten mit Symptomen einer Atemwegserkrankung von denen zu trennen, die zur Risikogruppe gehören und sich gerade erst wieder an wichtige Kontrolluntersuchungen wagen. „Eine Trennung von COVID-19-Verdachtsfällen und den Hochrisikogruppen muss oberste Priorität haben. Es wäre fatal, wenn die chronisch Kranken aus Angst vor einer Coronavirusinfektion wieder die Arztpraxen meiden würden. Die damit verbundenen Kollateralschäden wären nicht absehbar“, sagt Haas.
Schon im März machte er sich genau darüber Gedanken. Erst wollte er einen Container auf einem Parkplatz errichten, um Tests anzubieten. Dann wurde in dem Gebäude, in dem sich seine Gemeinschaftspraxis befindet, Räumlichkeiten frei. Ein Anwalt zog aus, Haas mietete sie zusätzlich. Atemwegszentrum nennt er das, wo er und seine Kollegen seit April alle behandeln, die sich mit einschlägigen Symptomen melden, die einen Test wollen (Lehrer/Erzieher) oder vorweisen müssen (Reiserückkehrer aus einem Risikogebiet). Der systematische, flächendeckende Aufbau solcher Diagnose-Zentren wäre „sehr sinnvoll gewesen“, sagt Haas.
Online-Hilfe für alle Testpersonen - oder doch nicht?
Sie ähneln jenen Zentren, die die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) einst in den Städten ins Leben rief, nach sinkenden Infektionszahlen aber wieder schloss. An eine Wiedereröffnung wird derzeit nicht gedacht. Wohl aber an eine Verbesserung der Situation. Doch selbst beim Aufbau der Strukturen gibt es Verwirrung.
Der Kreis Olpe und der Märkische Kreis gaben in den zurückliegenden Tagen Pressemeldungen heraus. Die Botschaft: Auf einer Internetseite (www.coronatestpraxis.de) werden voraussichtlich ab Mittwoch (12. August) alle Ärzte in der Nähe des jeweiligen Patienten aufgeführt, die Testungen anbieten. Wer die Adresse eingibt, kommt auf eine weiße Seite mit schwarzer Schrift: „Die Suchfunktion für Corona-Test-Praxen in Ihrer Region wird derzeit erstellt, die Daten werden aktuell ermittelt. Besuchen Sie uns in Kürze wieder.“ Dazu ein Hinweis darauf, dass dies eine Kooperation zwischen dem Ärzteverbund Südwestfalen, dem Kreis Olpe sowie der KVWL sei.
Chaos größeren Ausmaßes im Herbst
Doch bei der KVWL mag man weder die Adresse der Seite, noch die Nummer der Hotline, noch das Startdatum bestätigen. „Wir erarbeiten eine Auflistung der Ärzte, die Tests anbieten“, heißt es von der KVWL. Es seien noch „Details zu klären“, „hausintern“ werde das gemacht.
Drei Tage brauchte Haas dafür, die ehemalige Kanzlei in eine Praxis zu verwandeln. Es hat sich herumgesprochen, dass dort getestet wird und am nächsten Tag das Ergebnis aus dem Labor in Hessen schon da ist. Während er Abstriche nimmt, halten die angestellten Kollegen den Betrieb in der Praxis am Laufen. „Wenn ich allein wäre, würde ich es nicht machen“, versteht er die Mediziner, die bei den Corona-Tests abwinken.
„Aufgabe der Politik muss es auch sein, Strukturen zu schaffen, in denen die Maßnahmen auch umgesetzt werden können“, sagt Haas, dem es bereits vor dem Herbst und dem Winter graut. „Die ,kleine chaotische‘ Situation, die wir bereits jetzt haben, wird bei weitem nicht die Ausmaße haben, wie die, die im Herbst kommen wird, wenn die Praxen mit verschnupften, hustenden und fiebernden Patienten voll sein werden und es keinen vernünftigen Plan gibt, die Hochrisikogruppe ausreichend zu schützen.“