Olpe. Zolgensma, das teuerste Medikament der Welt, ist jetzt auch auf dem deutschen Markt verfügbar. Die Einmal-Injektion kostet fast 2 Millionen Euro.

Johannes Kaiser ist kein Arzt, geschweige denn Pharmazeut. Und doch kann der Rechtsanwalt aus Olpe den Beipackzettel des teuersten Medikaments der Welt fast auswendig.

Zolgensma, so der Name der Gen-Therapie in Form einer einmaligen Injektion, die hierzulande 1.945.000 Euro kostet, wird bei Kleinkindern angewandt, die an der schwersten Form der seltenen Erbkrankheit Spinale Muskelatrophie (SMA) leiden und ohne Behandlung im Schnitt nicht älter als 18 Monate werden. Der Jurist vertritt Familien, die eine Kostenübernahme seitens der Krankenkassen durchsetzen wollen.

Mittel durfte vor der Marktzulassung in Einzelfällen schon verabreicht werden

Seit dem 19. Mai ist die Arznei des Unternehmens AveXis, eine Tochter des Pharma-Riesen Novartis, in Europa zugelassen. Auf dem Markt verfügbar ist sie seit dem 1. Juli.

Zuvor hatte es Kaiser in einigen Fällen mit Hilfe einer Ausnahme im Sozialgesetzbuch geschafft, dass SMA-Kinder die Einmal-Spritze erhielten: In Einzelfällen, so heißt es im Gesetz, dürfe ein im Ausland vertriebenes und hierzulande nicht zugelassenes Medikament verabreicht werden, wenn eine akut lebensgefährdende Erkrankung vorliegt, keine oder nur unzureichende Arzneien im Umlauf sind und die Chance auf Besserung oder Heilung besteht.

14 Kinder in Deutschland bis zum 1. Juli behandelt

Bis zum 1. Juli sind Kaiser zufolge 14 Kinder in Deutschland mit Zolgensma behandelt worden. „Bei mir lagen und liegen Fälle im deutlich zweistelligen Bereich vor, bei denen mich Eltern von SMA-Patienten um anwaltliche Hilfe gebeten haben.“

Eines der behandelten Kinder ist der kleine Michael. Unsere Zeitung hatte im Februar über den Jungen aus Baden-Württemberg berichtet – das erste Kind in Deutschland, dem Zolgensma gespritzt wurde. Sechs Monate nach der Geburt war bei dem zunehmend kraftloseren Kleinkind SMA diagnostiziert worden.

“Der Griff nach dem rettenden Strohhalm“

Seine Mutter sprach mit Blick auf das teuerste Medikament der Welt von dem Griff nach dem rettenden Strohhalm. Seine Eltern haben kürzlich bei Facebook („Help Michael“) ein Foto von Michael gepostet, wie er sich auf einem Lauflernrad bewegt. Zunächst rückwärts. Immerhin rückwärts: „Wir sind uns sicher, dass der Vorwärtsgang auch bald gefunden wird“, schreiben sie.

Anwalt Kaiser hatte gedacht, dass seine Tätigkeit vorbei ist, wenn Zolgensma ab dem 1. Juli auf dem deutschen Markt ist. „Doch dem ist nicht so“, sagt Kaiser. Er habe zwar den Eindruck, dass Widerstände bei vielen Ärzten, Klinikleitungen und Krankenkassen weniger geworden sind. „Aber es gibt nach wie vor Kassen, die Anträge auf Kostenübernahme einer Zolgensma-Therapie ablehnen.“

Weiteres Medikament für SMA-Patienten auf dem Markt

Dabei werde gerne die Wirksamkeit von Zolgensma mit Hinweis auf eine unvollständige Studienlage in Zweifel gezogen. Und man verweise gerne auf das andere verfügbare Medikament bei einer Spinalen Muskelatrophie, Nusinersen (vermarktet als Spinraza). „Es gibt weder für Nusinersen noch für Zolgensma bislang echte Langzeitstudien, weil beide Therapien eben noch nicht lange im Markt sind.“

Zolgensa wirke „wesentlich schneller“, findet Kaiser. Das sei so wichtig, weil bei SMA-Patienten Motoneuronen (Nervenzellen des zentralen Nervensystems, d. Red.) nach und nach für immer schwinden und damit die Muskelkraft im Körper kontinuierlich zurückgeht. Kaiser: „Bei allen Mandanten, die mit Zolgensma behandelt wurden, konnte man nach sehr kurzer Zeit deutliche Verbesserungen sehen. Ein Arzt sagte: ,Es ist, als würde man einen Schalter umlegen’.“

Erfolgsabhängige Erstattung

Hersteller AveXis ist einer Sprecherin zufolge so von dem Produkt überzeugt, dass man das Risiko übernehme, „gestaffelt bis zu 100 Prozent der Arzneimittelkosten zurückzuzahlen, falls vereinbarte patientenrelevante Outcome-Parameter (Therapieergebnisse, d. Red.) nicht erreicht werden“.

Dass ein Arzneimittelhersteller mit Krankenkassen Verträge „über erfolgsabhängige Erstattungsmodelle“ abschließt, sei „in Deutschland und auch in Europa bislang eher selten“.

Mögliche Vorteile für das Gesundheitssystem

Trotz des Medikamenten-Preises von fast 2 Millionen Euro sieht AveXis Vorteile für das Gesundheitssystem: Die Einmal-Gentherapie mit Zolgensma habe der Sprecherin zufolge das Potential, „Therapien zu ersetzen, die lebenslang gegeben werden müssen“: Im Laufe eines Patientenlebens könnten nicht nur hohe Kosten, sondern auch durch lebenslange Injektionen erforderliche Krankenhausaufenthalte vermieden werden: „So kann möglicherweise das Gesundheitssystem in finanzieller Hinsicht langfristig entlastet werden.“

Kritik von Seiten eines AOK-Instituts

Das Wissenschaftliche Institut der AOK hat daran seine Zweifel. Auch mit Bezug auf Zolgensma sagte Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer: „Die Entwicklung hin zu immer teureren Patentarzneimitteln, mit denen immer weniger Patienten versorgt werden, geht mit konstant hohen Gewinnmargen der Pharmafirmen einher.“ Das gehe auf Kosten der Beitragszahlenden, also zulasten der Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten.

Die Eltern von Michael aus Baden-Württemberg haben ihre Antwort auf Kritik an dem Zolgensma-Preis von fast 2 Millionen Euro längst gefunden. Auf „helpmichael.de“ schrieben sie: „Ein Menschenleben ist unbezahlbar.“

Hintergrund:

Zolgensma ist nach Herstellerangaben in den USA seit dem Mai 2018 zugelassen.

Vor fünfeinhalb Jahren wurden die ersten Patienten mit Zolgensma behandelt. Bislang sind es AveXis zufolge mehr als 500 Patienten weltweit.