Olpe. Der eineinhalbjährige Michael leidet unter einer seltenen Erbkrankheit. Er erhielt das teuerste Medikament der Welt (fast 2 Millionen Euro).

Es sind fröhliche Kinderaugen­, die in die Kamera lächeln. Michael ist auf Fotos ein süßer kleiner Kerl, das größte Geschenk, wie seine Eltern sagen. „Er kam im August 2018 augenscheinlich gesund zur Welt“, sagt der Olper Anwalt Johannes Kaiser, „das ist das Perfide an seiner Krankheit.“

Sechs Wochen nach der Geburt erschien der Junge aus Ludwigsburg bei Stuttgart zunehmend kraftlos, oft ließ er seine Arme von einer Sekunde auf die nächste fallen. Und er musste mit seinem Lungensekret kämpfen, das er nicht abhusten konnte. Michael leidet an der schwersten Form der seltenen Erbkrankheit Spinale Muskelatrophie (SMA). Nicht behandelte Kinder werden im Schnitt nicht älter als 18 Monate, so Kaiser.

Der Olper Rechtsanwalt Johannes Kaiser unterstützt Familien mit Kleinkindern, die an Spinaler Muskelatrophie (SMA) leiden.
Der Olper Rechtsanwalt Johannes Kaiser unterstützt Familien mit Kleinkindern, die an Spinaler Muskelatrophie (SMA) leiden. © rd

Michael wurde als erstem Kind in Deutschland das hierzulande nicht zugelassene Medikament Zolgensma gespritzt. Die einmalig verabreichte Infusion kostet 2,1 Millionen US-Dollar und ist damit das teuerste Medikament der Welt. Kaiser hat bei der Krankenkasse die Kostenübernahme für die Spritze gegen den Muskelschwund erreicht.

Johannes Kaiser ist 42 Jahre alt und Familienvater. Im September war er auf die Internetseite www.helpmichael.de („Rette Michael“) gestoßen, auf der Freunde und Angehörige der Ludwigsburger Familie eine Spendenaktion für eine mögliche Behandlung in den USA gestartet hatten. „Jeden Tag stirbt ein kleiner Teil von ihm“, las der Jurist und weiß heute, dass bei der SMA die Muskelkraft im gesamten­ Körper kontinuierlich zurückgeht, weil Nervenzellen im Rücken­ schwinden. Er kontaktierte die Familie und half ihr bei der Kasse­.

Mehr Kostenzusagen als Therapien

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„Nachdem Presseberichte erschienen waren, haben sich betroffene Eltern an mich gewandt“, erzählt Kaiser. Mittlerweile hat er eine zweistellige Mandantenzahl. Es gebe bislang mehr Kostenzusagen als stattgefundene Zolgensma-Therapien, sagt er. In einem Fall starb ein Kind wenige Wochen nach der Zusage. Es konnte bis dahin noch nicht behandelt werden.

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Bislang wurde vier Kleinkindern in Deutschland Zolgensma gespritzt – dem vierten am Donnerstag. Er sei kein Mediziner, betont der Olper Jurist, aber die ersten Beobachtungen­ stimmten hoffnungsfroh: „Es gab in kürzester Zeit deutliche Fortschritte.“ Michaels Mutter Marina Mantel beschreibt diese so: „Unser kleiner Michael kann sich jetzt drehen, frei sitzen und vor allem besser mit dem Lungensekret umgehen, leichter atmen.“

Langzeitstudien liegen noch nicht vor

Durch die Therapie des Gen-Defekts mit dem Mittel des Schweizer Pharmakonzerns Novartis bestehe die Hoffnung, so Johannes Kaiser, dass das Fortschreiten der Krankheit aufgehalten werden kann. „Eine vollständige Heilung kann ich natürlich keinem Mandanten versprechen. Man kann noch nicht im medizinischen Sinne den Beweis liefern, dass das Medikament wirksam­ ist, weil in der Medizin ein Beweis nur nach vergleichenden Langzeitstudien als erbracht gilt.“ Langzeitstudien lägen auch noch nicht für das zugelassene Medikament Spinraza vor, mit dem SMA-Kinder hierzulande bereits behandelt werden. Dieses Mittel muss regelmäßig verabreicht werden. Zuvor­ konnten Kinder, die an der erst seit wenigen Jahren in der Medizin bekannten Erbkrankheit leiden, „nur palliativ behandelt werden“, so Kaiser­.

Seit der Zolgensma-Therapie, sagt seine Mutter, kann sich Michael zumindest schon einmal drehen. 
Seit der Zolgensma-Therapie, sagt seine Mutter, kann sich Michael zumindest schon einmal drehen.  © rd

Im Schnitt 50 Neugeborene pro Jahr sind in Deutschland an SMA erkrankt. Zolgensma wird Kaiser zufolge­ nur bei SMA-Patienten eingesetzt­: „Sogenannte Adeno-Viren werden genutzt, um ein fehlendes Gen einzuschleusen.“ Das Medikament ist bislang nur in den USA zugelassen. Seit Mai 2019. Die Europäische Arzneimittel-Agentur prüft noch. „Es steht in den Sternen, ob das Mittel in Deutschland im kommenden Frühjahr zugelassen wird, wie es in Medienberichten hieß“, sagt Kaiser. „Es gibt gute Gründe, warum das Zulassungsverfahren so sperrig ist, dass neue Medikamente auf Herz und Nieren geprüft werden. Ich erinnere an den Contergan-Skandal in den 60er Jahren.“

Ausnahmeregelung im Sozialgesetzbuch

Dass die vier Kinder in Deutschland ein nicht zugelassenes Medikament erhielten, hängt mit einer Ausnahmeregelung im Sozialgesetzbuch zusammen: Demnach, so Kaiser, dürfen solche Mittel in Einzelfällen verabreicht werden, wenn eine akut lebensgefährdende Erkrankung vorliegt, keine oder nur unzureichende Arzneien im Umlauf sind und die Chance auf Besserung oder Heilung durch ein im Ausland vertriebenes Mittel besteht.

„Ein Menschenleben ist unbezahlbar“, heißt es auf „helpmichael.de“. Und doch gibt es kritische Stimmen. So verwahrten sich Kassen, Kliniken und der Gemeinsame Bundesausschuss in einem Schreiben an Bundesgesundheitsminister Spahn dagegen, „dass über eine beispiellose Medienkampagne erheblicher Druck auf Krankenhäuser und Mediziner aufgebaut werde, das nicht zugelassene Medikament zu Lasten der Versicherungsnehmer vorab einzusetzen“.

Auch Kaiser wird bisweilen vorgeworfen, mit seiner Arbeit als Anwalt die Entscheidung über den Einsatz von Zolgensma, dessen Nutzen manche Ärzte anzweifeln, zu beeinflussen. Solche Vorwürfe könne er nicht nachvollziehen, sagt er. „Es sind verzweifelte Eltern, die wissen, dass es eine neue, erfolgversprechende, potenziell lebensrettende Therapie gibt. Sie sehen eine konkrete Chance auf Besserung, wollen nach dem rettenden Strohhalm greifen und scheitern an einer Kostenübernahme durch die Kassen. Sie sprechen mich dann an, und ich versuche ihnen – auch mit Hilfe von Sozialgerichten – zu helfen.“ Ja, Zolgensma sei die teuerste Einzeldosis der Welt. Aber: „Die Behandlung von Blutern beispielsweise ist häufig insgesamt teurer.“

Michael kann sich jetzt drehen

Marina Mantel ist überglücklich, dass sich ihr kleiner Michael jetzt zumindest schon einmal drehen kann. Wäre seine schwere Erkrankung bei einem Neugeborenen-Screening aufgefallen, sagt sie, „könnte er auch krabbeln“ – „leider“ seien solche Screenings erst in Pilotprojekten in zwei Bundesländern verankert. „Somit haben die anderen Kinder keine Chance, medikamentös behandelt zu werden, bevor sie die SMA-Symptome zeigen“, sagt Marina Mantel, „bevor diese verheerende Erkrankung einen enormen Schaden anrichtet.“

Hintergrund:

Eine einzige Zolgesma-Spritze enthält 41,3 Milliliter Flüssigkeit und kostet 2,1 Millionen Dollar (fast 2 Millionen Euro). Als das Medikament im vergangenen Mai in den USA zugelassen wurde, sprach der Chef des Herstellers, des Schweizer Pharmakonzerns Novartis, von einem „historischen Fortschritt bei der Behandlung von SMA“.

Doch warum bloß ist das Medikament, das den Patienten in einer einstündigen Infusion verabreicht wird, so teuer? Gegenüber der Süddeutschen Zeitung hieß es vom Hersteller, dass der Preis sowohl den Wert widerspiegele, „den diese Behandlung für Patienten, Pflegekräfte und das Gesundheitssystem hat, als auch die sehr geringe Anzahl der Patienten.“ In diese Kerbe schlägt auch der der Olper Anwalt Johannes Kaiser (Foto): „Es ist in der Tat nur ein kleiner Patienten-Kreis. Und es wird, weil es eben eine Einmalspritze ist, nur ein Mal pro Patient verkauft.“

Kaiser sagt, dass er kein Sprecher von Novartis sei, aber er versucht sich in den Pharma-Riesen hineinzuversetzen. Der Konzern habe in den USA das Genlabor für 8,9 Milliarden Dollar gekauft, das das Medikament in aufwendigen Forschungen entwickelt hat. „Der Kaufpreis muss sich womöglich aus Sicht des Unternehmens amortisieren.“

In dem Bericht der Süddeutschen wird noch ein weiterer Aspekt beleuchtet: Es gebe etwa 8000 seltene Krankheiten, für deren Behandlung Medikamente entwickelt werden. „Es ist ein lukratives Geschäftsfeld für die Pharmabranche.“