Hagen. Weltberühmt ist das Ballett Schwanensee: Am Theater Hagen sorgt nun Corona für eine besondere Inszenierung. Nicht nur wegen der Plastikfolie.
Schwanensee ist das berühmteste Handlungsballett der Welt. Doch was treibt die Protagonisten eigentlich an? Am Theater Hagen blickt Ballettdirektorin Marguerite Donlon jetzt hinter die märchenhaft-romantischen Kulissen und erzählt die Vorgeschichte der Liebe zwischen Siegfried und der Schwanenprinzessin als Protokoll eines Machtmissbrauchs. Eigentlich sollte ja der große Schwanensee Premiere feiern, doch die Produktion muss verschoben werden. Zum Ausgleich hat Marguerite Donlon eine neue, coronasichere Choreographie entwickelt, den Prolog „Schwanensee - Aufgetaucht“. Am Samstag, 20. Juni, ist die Uraufführung.
Immer ist Plastik dazwischen
Eine riesige Plastikfolie teilt die Drehbühne und trennt die Liebenden. Die verzauberte Schwanenprinzessin und Prinz Siegfried sehen einander nur verschwommen, und sie können sich bei ihrem großen Pas de deux nicht Haut an Haut, Mund an Mund, Herz an Herz nahe kommen. Immer ist das Plastik dazwischen. Diese Raumidee von Marguerite Donlon ist eine Coronalösung, denn das Liebespaar darf sich unter den geltenden Arbeitsschutz- und Hygienerichtlinien nicht berühren. Doch schon auf den ersten Blick erweist sich der Einfall als ein wirklich großes Bild für eine unmögliche Liebe.
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Vorher wird das Publikum zu Augenzeugen einer Gewalttat. Rotbart verfolgt die Königin (Noemi Emanuela Martone). Er vergewaltigt sie berührungsfrei, das ist choreographisch regelrecht erschütternd umgesetzt. Die Musik schreit, während die junge Frau zerrissen und zerbrochen am Boden liegt. „Es gab für mich einige Fragen in Verbindung zum Schwanensee. Wer ist der Vater von Siegfried? Und warum ist Rotbart so gemein gegen die Königin und möchte Siegfried zerstören?“, schildert Marguerite Donlon. „In unserer Geschichte versucht Rotbart immer wieder, die Königin zu haben, aber sie wird immer stärker. Rotbart weiß, dass ihr Sohn das Wichtigste für die Königin ist, und so entscheidet er sich, den Sohn zu zerstören. Aber er weiß nicht, dass Siegfried auch sein Sohn ist. Im Prolog versuchen wir, allen fünf Hauptfiguren nahe zu kommen.“
Siegfried kuschelt mit dem Thronsessel der Mutter. Die Königin liebt ihn, aber sie kann nicht mit ihm schmusen. Deshalb sucht er selbst nach der Liebe und findet sie in einem Geschöpf, das ebenfalls unerreichbar ist. Die Musik beschreibt jeweils die Verwandlungsprozesse, denn Marguerite Donlon kombiniert Tschaikowskys frühromantische Melodien mit elektronischen Klängen von Sam Auinger und Claas Willeke. Die können auch das ausdrücken, worüber Tschaikowsky schweigt, den Gesang des Wassers, die Schreie der gequälten Seele, das eiskalte Klirren des Spiegels, in dem Rotbart sein tödliches Geschöpf beschwört, den schwarzen Schwan.
Ballett in Spitzenform
Tänzerisch zeigt sich das Ballett des Theaters Hagen in diesem Kammerspiel in Spitzenform. Jeong Min Kim schwebt als Odette federgleich über die Bühne, zerbrechlich, zauberhaft, auf der Suche nach Erlösung. Dario Rigaglia ist als Siegfried ein leidenschaftlicher Suchender, Amber Neumann tanzt die Odile auf der Spitze, kraftvoll, wunderschön, und wie getrieben, denn auch sie ist ein Opfer Rotbarts.
Kapellmeister Rodrigo Tomillo hat die Partitur für eine Besetzung von 13 Musikern eingerichtet. „Mir lag es am Herzen, die wichtigen Soloinstrumente dabei zu haben, Cello, Geige, Oboe, die Harfe und das Horn. Die Musiker verteilen sich, die Holzbläser spielen in den Logen, die Streicher im Graben, die Harfe und teilweise auch die Geigen auf der Bühne. In der kleinen Besetzung werden die Musiker ein bisschen wie ein Rahmen für das Stück.
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Eine tragische Suche
Am Ende reißt Rotbart (Alexandre Démont) weißen Papierschwänen die Flügel aus. Odette windet sich sterbend am Boden, tief betrauert von ihrer schwarzen Schwester. Marguerite Donlon erzählt hier die Vorgeschichte einer tragischen Suche in überwältigenden Bildern, welche den romantisch-märchenhaften Grundton beibehalten, aber gleichzeitig ganz aktuelle Themen verhandeln. Sie sagt: „Schwäne sind ungewöhnliche Kreaturen, die nicht in die Gesellschaft passen: unfassbar, unerreichbar, unberührbar.“
>> INFO: Uraufführung am 20. Juni
- Die Uraufführung des Prologs „Schwanensee - Aufgetaucht“ ist am Samstag, 20. Juni, im Theater Hagen.
- Weitere Vorstellungen sind am 21. Juni, 25. Juni, 26. Juni.
- Karten: 02331 / 2073218. Weitere Information: www.theaterhagen.de