Hagen/Schmallenberg. Ein geflügeltes Wort aus der Corona-Zeit: Entschleunigen! Aber wie geht das? Zwei, die die Langsamkeit beim Essen und Laufen pflegen, sagen es.

Ein Wort ist in der Corona-Krise oft gefallen: Entschleunigung. Das Leben wurde zwangsweise leiser und langsamer. Manche haben das genossen und sich mehr Zeit genommen, um über sich, andere und die Welt nachzudenken. Es wurde, wie erste Studien belegen, auch gesünder gelebt. Aber bleibt nach den Lockerungen davon etwas übrig? Die sogenannte Slow-Bewegung hofft jedenfalls, davon zu profitieren.

Schneller, weiter, höher – wer dem entfliehen und trotzdem aktiv bleiben will, dem empfiehlt Michael Weiger Slow Jogging. Dieser neue Laufstil schwappe aus Japan nach NRW herüber, berichtet der Trainer des Fitness-Trends. Der 62-jährige Wuppertaler lehrt diese Jogging-Variante seit einem Jahr. Wer sie mit Traben statt Rennen beschreibe, der sei auf dem Holzweg.

Auch interessant

„Es sieht tatsächlich etwas seltsam aus, wenn Slow Jogger im Schneckentempo mit schwingenden, locker angewinkelten Armen und bis zu 180 kleinen Schritten in der Minute ihre Runden drehen“, gibt Weiger zu. Doch die in Japan vom Sportphysiologen Hiroaki Tanaka an der Universität Fukuoka entwickelte Jogging-Alternative schone die Gelenke mehr als jede andere sportliche Fortbewegungsart. Sie mache gemächlich fit.

Unterwegs wie die Buschmänner

„Bei Slow Jogging ist die Art des Auftretens wichtig“, erklärt der Trainer. Statt zuerst mit der Ferse den Boden zu berühren, setze der Slow Jogger die Füße mit dem Mittelfuß auf. Knie und Wirbelsäule würden deutlich weniger belastet. Die Sohle der Laufschuhe sollte niedrig sein, „so flach, als ob man Barfuß läuft“.

Abgeschaut hat sich Hiroaki Tanaka diese Lauftechnik von den Buschmännern in der Kalahari. Im Laufe der Zeit hat er sie weiterentwickelt.

Michael Weiger
Michael Weiger © WP | Privat

Michael Weiger kennt die vielen Studien zum Jogging. Er zweifelt nicht daran, dass Jogger sich bis zu sechs Jahren Lebenszeit erlaufen. „Beim Slow Jogging schüttet der Körper übrigens mehr Glückshormone aus als bei der schnelleren Variante“, sagt der 62-Jährige.

Studien belegen: Bereits nach einer halben Stunde wird Anandamid freigesetzt, ein Stoff, der wie Cannabis wirkt. „Slow Jogging ist nicht nur gesund, sondern macht auch noch happy“, erklärt Michael Weiger. Er ist überzeugt: Mit Slow Jogging könne der allmählich wieder Einzug haltenden Hektik die kalte Schulter gezeigt werden.

Auch Ingrid Schlicht-Olbrich ist eine Verfechterin der Slow-Modi. Die Slow-Jogging-Technik habe sie nie gelernt. „Aber ich jogge langsam“, sagt die Leiterin von Slow Food Sauerland. Und das tue ihr genauso gut wie Kochmeditation, einer weiteren Möglichkeit, zu entspannen.

Im Gasthof Droste in Schmallenberg-Oberkirchen hat die 77-Jährige zum Essen und Gespräch eingeladen. Es gibt Sauerländer Potthucke, gebratene Scheiben eines traditionellen regionalen Kartoffelkuchens mit Knochenschinken. Köstlich!

Im Dornröschenschlaf viel Zeit zum Kochen

„Ich war im Dornröschenschlaf“, berichtet die Sauerländerin über ihre Zeit während der Kontaktbeschränkungen. Sie habe viel gelesen und gekocht. „Die Ehrenämter ruhten. Ich habe Wochenpläne für das Essen angelegt, ging noch bewusster Einkaufen als zuvor.“

Durch Corona, so Ingrid Schlicht-Olbrich, sei Essen bei den Menschen wieder in den Mittelpunkt gerückt: „Viele haben mehr Zeit in der Küche verbracht, sich gesünder ernährt und bewusster auf regionale Lebensmittel gesetzt.“ All das mache gutes Leben aus, für all das stehe Slow Food. Sie hofft, dass sich viele Menschen weiterhin immer mal eine Auszeit nehmen, um ihre Lebensweise zu reflektieren und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Für die Slow-Bewegung sei die Krise eine Chance.

Ingrid Schlicht-Olbrich sitzt a. im Gasthof Droste an einem Tisch. Vor ihr steht ein Gericht mit Potthucke, Schinken und einer Kräutersauce. Ein solches Gerichtt, mit regionalen Zutaten, ist für sie der Inbegriff von Slow Food.
Ingrid Schlicht-Olbrich sitzt a. im Gasthof Droste an einem Tisch. Vor ihr steht ein Gericht mit Potthucke, Schinken und einer Kräutersauce. Ein solches Gerichtt, mit regionalen Zutaten, ist für sie der Inbegriff von Slow Food. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

„Slow Food und Slow Sport passen gut zusammen“, berichtet Ingrid Schlicht-Olbrich. Die Hingabe zur regionalen Küche sei ihr früh mitgegeben worden: „Meine Kindheit habe ich im Bestwiger Ortsteil Ramsbeck verbracht“, erzählt sie. In dem Bergarbeiterdorf habe fast jede Familie Schweine, Hühner und Ziegen gehalten sowie einen Garten bewirtschaftet. „Das war eine autarke und gute Lebensweise. Das hat mich geprägt“, sagt die Frau, die auf ein bewegtes Leben zurückblickt: Sie lehrte an der Universität Köln Sonderpädagogik. Die Kindergärten und Schulen in Deutschland haben sich durch ihre Mitarbeit als Dozentin an der Akademie für Psychomotorik und ihre Publikationen verändert. Zuletzt war sie beruflich Sonderschulrektorin, bevor sie 2008 zu Slow Food Sauerland stieß. Viele ihrer Ideen wurden in die Tat umgesetzt: Der Einsatz für das Rote Höhenvieh, eine bedrohte Nutztierrasse, und die Genuss-Wanderungen durch das Sauerland und seiner regionalen Esskultur gehören dazu.

Kochkurse für prekäre Schichten

Ingrid Schlicht-Olbrich hofft, dass man Lehren aus der Krise zieht. „Zum Beispiel, Kochkurse für prekäre Schichten anzubieten.“ Slow Food sei nicht nur etwas, das sich gut betuchte Genießer leisten können. „Wir sollten wieder lernen, was ein gutes Lebensmittel ausmacht, wo es erworben werden kann, wie man Brot und Gemüse, einfache Gerichte lecker und gut selbst zubereiten kann.“

Ingrid Schlicht-Olbrich freut sich nach dem Gespräch im Gasthof Droste auf den Abend. Sie will für ihren Enkel „Omis Kartoffelgesicht“ auftischen. „Aus dem Püree, Möhren und Gurke wird ein Gesicht. Das hat meinen heute dreizehnjährigen Enkel schon als Kleinkind glücklich gemacht und ist zwischen uns zu einem Ritual geworden.“ Das Gemüse komme zwar nicht aus dem Sauerland, sondern aus der Soester Börde. Aber die sei ja nicht weit entfernt.

Auch interessant

Ingrid Schlicht-Olbrich wird das Kochen und Essen an diesem Abend zelebrieren und gemeinsam mit ihrer Familie das Leben feiern. Und sie will, verrät sie, ihren entschleunigten Jogging-Laufstil trotz ihres Alters so lange wie möglich fortsetzen. „Unterwegs mit einem Lächeln im Gesicht“, das sei das Ziel „im Leben, beim kommunikativen Speisen und beim Sport“.

>> HINTERGRUND: Das langsame Essen

  • Slow Food (langsames Essen) ist eine Gegenbewegung zum uniformen und globalisierten Fastfood und steht für genussvolles, bewusstes und regionales Essen. Die Anhänger bemühen sich um die Erhaltung regionaler Küche mit heimischen pflanzlichen und tierischen Produkten. Ursprünglich stammt es aus Italien.
  • Der Slow-Food-Gründer Carlo Petrini definierte 2006 die Grundbegriffe der „Neuen Gastronomie“ als Maßstab: „gut, sauber und fair.“ Wenn ein Element fehle, sei es nicht Slow Food. Nach Ansicht des Publizisten und Zukunftsforschers Matthias Horx ist Slow Food einer von 18 Trends, die das Leben von morgen beeinflussen werden.