Meschede. Der Sauerländer Peter Liese kümmert sich im EU-Parlament um Coronathemen. Dass Fitness-Studios offen sind, Schulen aber nur bedingt, sei falsch.
Die Corona-Krise bewegt Dr. Peter Liese, Mediziner, Berufspolitiker. Vor ein paar Wochen brachte sie den 54-Jährigen sogar dazu, sich auf das zurückzubesinnen, was er einmal gelernt hat: Als Arzt zu helfen. In einer Praxis in seiner Heimat im Sauerland.
Das war vielleicht auch ein Zeichen von Verunsicherung, mindestens aber höchster Sorge um die Auswirkungen dieses Virus‘, das nun schon seit Monaten das Leben bestimmt. In seiner Heimatstadt Meschede, im Sauerland, in der ganzen Republik, in unserem Europa – und darüber hinaus.
Zwischen Basis und Brüssel
Liese schafft den Blick vom Kleinen zum Großen und zurück. Seit 1994 ist er Abgeordneter des Europäischen Parlamentes, pendelt zwischen Straßburg, Brüssel und dem Sauerland, steht in Kontakt mit Berlin. Gespräche mit Kanzlerin Angela Merkel, mit Gesundheitsminister Jens Spahn, aber genauso mit dem CDU-Kreisvorstand Hochsauerland. „Die Basis und die internationale Politik müssen irgendwie zusammenfinden. Man muss beides gleich wichtig sehen.“
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Liese hat als Gesundheits- und Umweltpolitischer Sprecher der größten Fraktion im Europaparlament, der EVP, nach mehr als einem Vierteljahrhundert im EU-Parlament ein gewisses Gewicht.
Schon im Januar hatte Liese in Brüssel beantragt, das Thema Corona auf die Tagesordnung des Ausschusses für Umwelt- und Gesundheit zu setzen: „Mir hat damals keiner der Experten gesagt, dass wir mit so einer Katastrophe rechnen müssen.“ Noch im Februar habe ja auch das Robert Koch-Institut die Einschätzung vertreten, Covid-19 sei zu bewerten wie eine Grippe. Dann habe sich in Italien und Spanien sehr schnell gezeigt, „das ist sehr viel dramatischer“. Am Aschermittwoch rief ihn schließlich Manfred Weber an. Der EVP-Fraktionschef und beinahe EU-Kommissionsvorsitzende erklärte, dass es wohl doch alles schlimmer werde, bat den Fraktionskollegen, sich federführend zu kümmern. „Die Corona-Sachen kann bei uns kein anderer machen“, spricht der ausgebildete Arzt.
Bei der Entscheidung, sein Leben der Politik zu widmen, hat der Zufall eine Rolle gespielt. Jedenfalls betont das der Sauerländer. Liese ist gläubig, besuchte das Gymnasium der Benediktiner in Meschede und scheint dort immer gern gesehen. Beim Rundgang durch seine Heimat sind die ehemalige Schule und die Abtei Königsmünster auf dem Berg in Meschede wichtige Stationen im Leben. Zu langes Schwatzen erzeugt seit jeher Argwohn auf einem Schulhof. In Coronazeiten besonders. Bei Schulleiter Heinz-Jürgen Plugge verflüchtigt sich der schnell zu Freude, als er seinen Europaabgeordneten erkennt. Plugge ist im Stress. Die schriftlichen Abiturprüfungen müssen organisiert werden.
1994 Nachfolger von Friedrich Merz
Liese hat Verständnis. Sein Abi? Lange her. Erinnern kann er sich dennoch gut: „Ich war verdammt nervös.“ Was den Notendurchschnitt des langen Schlacks ein bisschen nach unten zog und den Start des Medizinstudiums in Marburg verzögerte. Weil er erst im dritten Anlauf einen Studienplatz bekam, wäre er stattdessen beinahe bei Jura oder Geschichte gelandet. Politisch war er damals schon aktiv in der Jugendorganisation der CDU, der JU Sauer-Siegerland.
Seit einem Deutschlandtag mit Helmut Kohl habe er „richtig Lunte gerochen“. Er brannte so sehr, dass er während des Studiums Ende der 80er Jahre für politische Sitzungen und später Gemeinderatssitzungen in Bestwig sogar stundenlange Zug- und Busfahrten vom Studienort (erst Marburg, später Aachen, dann Bonn) in Kauf nahm. Ein eigenes Auto besaß er nicht. „Am Ende waren es ja nur fünf Jahre Gemeinderat. „Anfang 1993 kam ja schon die Phase, in der ich mich ein bisschen auf Europa vorbereitet habe.“ Zu dieser Zeit arbeitet der 27-jährige Liese bereits als Arzt in der Kinderklinik in Paderborn. Seinerzeit ging das Gerücht, dass die damals ebenfalls noch junge Lichtgestalt Friedrich Merz als Europaabgeordneter aufhören wolle. Die Junge Union war sich schnell einig, dass auf einen der jüngsten Abgeordneten im Europaparlament auf keinen Fall ein 60-Jähriger folgen sollte.
Zur Person
Dr. Peter Liese ist (54) in Olsberg geboren und im beschaulichen Ostwig im Hochsauerland als Sohn eines Bäcker- und Konditormeisters aufgewachsen.
Liese ist seit 1984 CDU Mitglied und gehörte zum Gründungskreis der Jugendorganisation Junge Union Sauer-Siegerland im selben Jahr.
Seit 1997 ist der Sauerländer Mitglied des NRW-Landesvorstands der CDU. Von 2012 bis 2018 war Liese außerdem Mitglied des CDU-Bundesvorstands.
Als Bezirksvorsitzender der JU trommelte er in der Region Sauer-Siegerland bei potenziellen Kandidaten, die sich schon einmal in Sachen Europa hervorgetan hatten. Am Ende lief es auf Liese selbst hinaus, der damals bereits in der Internationalen Kommission der JU Deutschland und damit im innereuropäischen Austausch aktiv war. Ein Gremium, in dem sich (viel) später auch Paul Ziemiak oder der österreichische Kanzler Sebastian Kurz tummelten. Mit 29 Jahren wird Peter Liese ins Europaparlament gewählt. „Es war eigentlich zu früh.“
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Nebenbei arbeitete der Jungmediziner in einer Praxis in Ramsbeck, um sich nicht von Politik abhängig zu machen. „Achteinhalb Jahre lang. In den Ferien und auch freitags, wenn keine Sitzungen waren.“
EU-Entscheidungen wirken in der Region Südwestfalen
Einige Jahre saß er als Abgeordneter im Entwicklungsausschuss – seit den 90er Jahren hat Liese enge Beziehungen nach Guatemala. Seit 1999 sind die Themen Umwelt und Gesundheit im Fokus. Liese schafft es, Beschlüsse aus Straßburg und Brüssel konkret bis ins Sauerland zu transportieren und Europa so Bedeutung zu verleihen. Etwa bei der Durchsetzung von Thermostatventilen an Heizkörpern, was nicht nur gut für die Umwelt war, sondern auch für Firmen in Südwestfalen.
Dass sich nach wie vor mehr TV-Teams dafür interessieren, wenn Friedrich Merz ohne Mandat einen Saal betritt, als wenn Peter Liese über entscheidende Beschlüsse aus Europa berichtet, nimmt er nicht krumm: „Friedrich Merz ist halt ein Sonderfall. Da kann ich gut mit umgehen. Es war ja schon immer so. 90 Prozent der Bundestagsabgeordneten würden überhaupt nicht zur Geltung kommen, wenn Friedrich Merz mit im Saal ist.“
Kurzfristig keine EU-Erweiterung
Die Bedeutung Europas habe in den vergangenen Jahren sehr wohl zugenommen. Aktuellstes Beispiel Corona: Die Zulassung eines Impfstoffes oder eines relevanten Medikaments innerhalb der EU funktioniert nur mit dem Segen der Europäischen Arzneimittelagentur. Nicht anders. Sorge bereitet Liese die Möglichkeit, dass außerhalb der EU zuerst ein Impfstoff gefunden wird. „Dann braucht es eine klare, einheitliche Antwort Europas.“ Länder wie Italien dürften nicht noch einmal enttäuscht werden. Dem europäischen Gedanken würde es helfen, wenn Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise in den Köpfen der Menschen auf das EU-Konto verbucht werden.
Impfstoff: Kritik an Sanofi-Chef Hudson
„Die Drohung des Chefs des Pharmakonzerns Sanofi, einen Impfstoff vor allen in den USA bereit zu stellen, finde ich eine Unverschämtheit. Sanofi ist auf eine gute Zusammenarbeit mit der EU angewiesen. Ich weiß, dass auch innerhalb der Pharmaindustrie großes Entsetzen über Herrn Hudson herrscht“, empört sich Liese.
Europa droht in dieser Krise auseinanderzubrechen. Für Liese ist daher die EU-Erweiterung aktuell obsolet. „Nicht in dieser Legislaturperiode. Auf gar keinen Fall.“ Auf Dauer müsse Europa allerdings die Länder des Westbalkan integrieren, „innerhalb der nächsten zehn Jahre“. Ein geschlossen agierendes Europa sei „stärker als die USA und auch immer noch als China“.
Auf die richtigen Schritte komme es an. In Bezug auf die Lockerungen der vergangenen Tage ist der Europaabgeordnete skeptisch: „Wenn wir unvorsichtig sind, gibt es mehrere hunderttausend Tote. Was beschlossen wurde, ist auf des Messers Schneide. Ich finde es zu viel. Das ist eine schlimme Krankheit!“ Auch, dass Tanzschulen und Fitness-Studios wieder öffnen dürfen, viele Schulkinder aber noch zuhause bleiben müssen, sei nicht die richtige Priorität. Wenn alle Masken trügen und die Tracing-App hätten, wäre es anders, glaubt er. „So sehe ich die Gefahr, dass wir bald schon wieder eine zweite Welle haben und dann wieder alles zugemacht werden muss.“ Die Krise fasst den erfahrenen Politiker schwer an.