Hagen. Ohne Besuch im Pflegeheim, ohne Mann im Kreißsaal, keine Corona-Tests mehr im Labor? Was aus den Nöten der Menschen Wochen später geworden ist.

Hinterbliebene, die die Trauerfeier für einen geliebten Menschen absagen mussten. Paare, die ihre Hochzeit verschieben mussten. Abiturienten, die um ihre Abschlussprüfungen oder ihre Note bangen. Werdende Mütter, die fürchteten, dass ihr Mann nicht mit in den Kreißsaal kommen darf. Senioren, die im Pflegeheim keinen Besuch mehr empfangen dürfen. Der Chef eines Coronatest-Labors, der nicht weiß, wie er die Arbeit bewältigen soll.

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Unterschiedliche Menschen in höchst unterschiedlichen Situationen waren das, über die diese Redaktion seit Beginn der Corona-Pandemie und der vielen Beschränkungen berichtet hat. Wir haben vier dieser Menschen aus der Region noch einmal gesprochen. Warum? Wir wollten wissen: Was ist aus ihren Sorgen oder ihrer Zuversicht drei, vier, sechs Wochen später geworden?

Die Pflegeheim-Bewohnerinnen

Katharina Weber (88 Jahre) und Erika Jurak (77) sind Bewohnerinnen der Seniorenresidenz Wohlbehagenin Hagen-Hohenlimburg. Als wir das erste Mal Mitte März sprachen, waren die Besuchsverbote gerade beschlossen worden: kein Familienangehöriger, kein Physiotherapeut, kein Frisör und keine Nagelpflege durfte in das Gebäude. Tenor der beiden beim letzten Mal: Wir haben schon ganz andere Sachen durchgestanden.

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„Es geht mir gut“, sagt Frau Weber. So grundlegend, meint sie. Aber die Wochen ohne die Nähe zur Familie waren hart. Sehen konnten sie sich nur durchs geöffnete Fenster. Frau Weber hat doch einen Ur-Enkel, sechs Monate alt. „Ich kann ihn nur von Weitem sehen, dabei möchte ich ihn am liebsten knuddeln. Aber als vernünftiger Mensch weiß ich, dass es nicht anders geht.“

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Seit Muttertag sind die Besuchsverbote gelockert. In einem speziellen Raum können sich die Familien mit Abstand treffen. „Für mich ist das nicht entscheidend, meine Tochter kommt mich dreimal in der Woche besuchen, dann sehe ich sie zumindest auf Entfernung", sagt Frau Jurak, "aber bei den anderen stelle ich fest, dass sie seit Sonntag wieder ein bisschen glücklicher sind."

Zum Wohlbefinden wird auch beitragen, dass vermutlich ab der kommenden Woche auch der Frisör und die Nagelpflege wieder kommen dürfen. "Langsam wurde es schwierig", sagt Pflegedienstleitung Nadine Asmacher. "Frisör und Nagelpflege sind ein absolutes Highlight für unsere Bewohnerinnen." Noch aber muss der Ablauf koordiniert werden, denn es ist mit großem Andrang zu rechnen.

Die Schwangere

Der kleine Manuel schläft. „Er ist ein ganz entspannter kleiner Mann“, sagt die Mama, Jeanette Lategahn-Unkhoff. Am 11. April kam er im Krankenhaus in Schwerte zur Welt. Über die Umstände hatte sich die Mendenerin vorher durchaus Sorgen gemacht, weil manche Krankenhäuser die Väter aus den Kreißsälen und vom Wochenbett verbannten. Und weil es da eben dieses Virus namens Corona gibt, von dem sie nicht wollte, dass der kleine Manuel ihm begegnet.

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„Als wir zum Krankenhaus kamen, war ich schon etwas in Sorge. Denn es sah dort aus, wie im Film: alles abgeriegelt, alles abgesperrt.“ Der normale Eingang sei nicht zu benutzen gewesen, zur Notaufnahme sei es durch eine Art Tunnelsystem aus Zelten gegangen, davor ein Sicherheitsdienst. „Das waren Dinge, die man im wahren Leben vor einem Krankenhaus nicht für möglich hält.“

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Und bei einer werdenden Mutter, der vorhin die Fruchtblase geplatzt ist und die nun um Einlass begehrt, sorgt das nicht zwingend für Beruhigung. „Unsere größte Sorge war, dass sich der kleine Mann infizieren könnte im Krankenhaus, aber das ist zum Glück nicht passiert. Wir sind froh, dass alles glimpflich ausgegangen ist“, sagt die 35-Jährige. Heißt: Ihr Mann durfte sogar mit in den Kreißsaal, der unplanmäßige Kaiserschnitt verlief gut, auch das gewünschte Familienzimmer konnten sie beziehen. „Ohne Corona wären wir dort länger geblieben.“ Aber sofort, als es ging, zog die Familie nach Hause um.

Die Einschränkungen wegen Corona halten aber an: „Manuel wird immer ein Corona-Kind bleiben. Schade ist, dass ihn Freunde oder sogar mein Vater bislang nur auf Fotos und Videos gesehen haben. Andererseits haben wir gerade Zeit für uns und genießen die Ruhe und nachlassende Geschwindigkeit im Leben.“

Der Labor-Leiter

Er befände sich im Ausnahmezustand, hat Hans Günther Wahl, Leiter des Testlabors Wahl im Gebäude der Märkischen Kliniken in Lüdenscheid, vor einigen Wochen gesagt. Nun sagt er: „Aus dem Ausnahmezustand ist Routine geworden.“ Drei seiner Mitarbeiter bilden ein Corona-Team, das sich derzeit täglich von 7 bis 23 Uhr ausschließlich dem Virus widmet – auch an Wochenenden oder Feiertagen. Die Schlagzahl wurde erhöht, der Lohn auch.

Wahl klagte vor wenigen Wochen, dass Reagenzien zur Durchführung der Tests nicht zu bekommen seien, dass Bestellungen im Nichts verliefen. Schon damals investierte er: Unter anderem rund 100.000 Euro in eine neue Maschine, die 96 statt wie bisher nur 16 Tests gleichzeitig analysieren kann. „Als wir im März mit den Tests anfingen, machten wir 30 bis 50 am Tag“, sagt Wahl. Heute könnten es bis zu 1000 Tests am Tag sein. „Tatsächlich sind es derzeit 600 bis 700. Wir sind also nicht komplett ausgelastet.“

Ausbreitung des Virus: Interaktive Karte

Engpässe gebe es noch immer, obwohl die Firmen ihre Produktion hochgefahren haben. „Aber nicht mehr solche Engpässe, die einen verzweifeln lassen. Es gab Nächte, in denen ich nicht schlafen konnte, weil mich die Angst plagte, dass ich morgen oder übermorgen nicht mehr würde testen können. Mittlerweile kann ich sagen: In den kommenden drei Wochen kann ich testen. Wir haben alles gekauft, was zu kriegen war. Und so haben es andere auch gemacht. Wir haben daher – wie andere Labore auch - Kapazitäten frei. Aber es schadet vielleicht auch nicht, Rest-Kapazitäten zu haben. Man weiß ja nicht, was noch kommt.“

Verstärkt prüft das Labor nun auch auf Antikörper. „Seit einigen Wochen sind Tests auf dem Markt und wir führen täglich bis zu 100 Testungen durch. Auftraggeber sind meistens Privatpersonen, die wissen wollen, ob sie die Krankheit durchgemacht haben.“ Doch selbst wenn Antikörper nachgewiesen werden können, bleibt unklar, ob und wie lang der Patient immun bleibt. Das ist ein Problem: Denn das Virus, sagt Wahl, komme wieder. Im Herbst. Oder im nächsten Jahr.