Hagen. Die Kliniken ringen wegen des Coronavirus mit sich: Sind Kreißsaal und Besuch für Partner tabu? Schwangere berichten von Sorge und Ungewissheit.

Als sie es vor wenigen Tagen erfahren hat, ist Vanessa Hembeck in Tränen ausgebrochen. „Ich war fix und fertig“, sagt die 32-Jährige aus Lüdenscheid. Am 9. April ist der errechnete Termin für die Geburt ihres Kindes. Das zweite. Ein Mädchen. Großer Bruder, kleine Schwester. Wie gemalt. Die Nachricht, die die Schwangere so erschütterte? Der Vater des Babys soll bei der Geburt nicht dabei sein können. Und zwar weil es das Krankenhaus aus Sorge vor dem Coronavirus verboten hatte. Zumindest vorübergehend.

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Es sind außergewöhnliche Zeiten. Krankenhäuser haben längst jeden regulären Besuchsverkehr verboten. Alles nur, damit sich das Virus nicht noch weiter ausbreitet, damit Patienten und Mitarbeiter geschützt werden. Bund und Länder hatten diese Regelung beschlossen, doch die genaue Ausgestaltung liegt letztlich in der Hand der Krankenhäuser. In Bonn und Köln haben Kliniken die Väter bereits vom Kreißsaal ausgesperrt. In vermutlich jeder Klinik aber ringen alle die Verantwortlichen mit sich, was zumutbar ist und was nicht. Und die Schwangeren haben Angst, Leidtragende der Bestimmungen zu sein oder noch zu werden.

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    Vater verboten im Kreißsaal? "Ich war geschockt"

    Die Mendenerin Jeannette Lategahn-Unkhoff und ihr Mann Christian Unkhoff erwarten ihr erstes Kind. Sie rechnen damit, im Krankenhaus in Schwerte ein Familienzimmer belegen zu können. In anderen Kliniken sind Väter im Kreißsaal und auf der Station verboten. Foto: Stefanie Lategahn
    Die Mendenerin Jeannette Lategahn-Unkhoff und ihr Mann Christian Unkhoff erwarten ihr erstes Kind. Sie rechnen damit, im Krankenhaus in Schwerte ein Familienzimmer belegen zu können. In anderen Kliniken sind Väter im Kreißsaal und auf der Station verboten. Foto: Stefanie Lategahn © wp | privat

    „Ich war geschockt, als ich das gehört habe“, sagt Vanessa Hembeck. „Gott sei Dank ist es nicht die erste Entbindung. Es hilft, dass wir das alles schon einmal erlebt haben.“ Trotzdem: Alles, was sie und ihr Mann sich für die Geburt gewünscht haben, alles, was sie von der ersten Geburt kannten, sollte dieses Mal anders sein. „Beim ersten Mal war er die ganze Zeit dabei, hat am Ende die Nabelschnur durchgeschnitten. All das wird er dieses Mal nicht miterleben und ich frage mich, ob ihm etwas fehlen wird.“ Ihr wird die emotionale Unterstützung ihres Partners fehlen.

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    Aber die Dinge verändern sich derzeit schnell, was auch nicht immer zur Beruhigung aller beiträgt. Wenige Tage nach Inkrafttreten der Regel entschied sich die Leitung der Märkischen Kliniken in Lüdenscheid für einen Rückzieher: Väter dürfen nun wieder in den Kreißsaal und sogar zu Besuch kommen auf die Station. Die Kehrtwende habe mit neuen Erkenntnissen zu tun, mit Empfehlungen der Fachgesellschaften, die nun vorlägen, wie die Klinik auf Anfrage mitteilt. Aber sie habe auch mit Widerstand der Eltern zu tun, die sich um einen bedeutenden gemeinsamen Moment – wenn nicht den bedeutendsten - in ihrem Leben gebracht fühlen.

    Kein Verständnis für das Väter-Verbot

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    „Wir sind überglücklich, dass die Väter wieder in den Kreißsaal dürfen", sagt Vanessa Hembeck, nachdem sie die neuerliche Änderung von dieser Redaktion erfährt. Sie ist erleichtert, glücklich, beruhigt. Verstanden hatte sie das Vorgehen der Klinik ohnehin nicht. Emotional nicht, klar, aber auch rational nicht. „Ich meine: Das ist mein Mann, wir leben zusammen. Wenn wir Hand in Hand das Krankenhaus betreten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass entweder keiner das Virus hat - oder beide. Wo ist der Unterschied, ob da einer oder zwei sind?“

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    Die Klinik verweist darauf, dass zum Beispiel sehr wohl der Mann infiziert sein könnte, seine Frau aber noch nicht. „Und wir haben nun mal die Pflicht, für alle Patienten und Mitarbeiter die größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten. Da ist man lieber einmal mehr vorsichtig“, sagt Klinik-Sprecherin Corinna Schleifenbaum. An den Eingängen der Klinik stehen Mitarbeiter und Sicherheitsdienst, um Verstöße gegen die allgemeinen Besuchsregeln zu verhindern.

    "Schwerwiegender Eingriff in den privaten Raum"

    Andere Krankenhäuser, andere Sitten. Das Evangelische Krankenhaus in Hamm hat ein Väter-Verbot ausgesprochen. Im Klinikum Hochsauerland dürfen die Väter zwar mit in den Kreißsaal, aber nicht zu Besuch auf die Station. Es ist das Krankenhaus, in dem die Arnsbergerin Larissa Brunstein entbinden wird. Für die 25-Jährige und ihren Mann ist es das erste Kind.

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    "Man macht sich jetzt gerade noch mehr Gedanken als ohnehin schon beim ersten Kind", sagt sie. Und natürlich hat das Ehepaar schon darüber gesprochen, wie es wohl wäre, wenn er nicht dabei sein könnte. "Mein Mann leidet unter dem Gedanken, womöglich nicht dabei sein zu können. Schließlich ist die Geburt ein einschneidendes Erlebnis." Aber noch ist ja alles gut, alles bestens, so soll es bleiben. "In Panik zu verfallen wäre vermutlich gerade das Schlechteste", sagt Larissa Brunstein. Viele Kliniken versuchen, ihren Patientinnen so gut es verantwortbar ist, entgegen zu kommen.

    In Siegen: WLAN-Gutschein als Entschädigung

    Das St.-Marien-Krankenhaus in Siegen lässt die Väter ebenfalls bei der Geburt dabei sein, doch nach etwa einer Stunde nach der Geburt müssen sie das Klinikum verlassen. „Als kleine Wiedergutmachung erhalten sie jedoch von uns einen Gutschein für das WLAN-Netzwerk, damit sie unbegrenzt Skypen können“, sagt Sprecher Christian Stoffers. „Wir wissen, dass dies für Mütter und Väter ein besonders schwerwiegender Eingriff in den privaten Raum in einer besonderen Situation ist.“ Das war der Stand von Mittwoch.

    Die Besuchsregelung wurde einen Tag später schon wieder gelockert. Nach Absprache mit dem Chefarzt ist der Besuch einer Bezugspersonje Tag möglich. Eine Ausnahme vom generellen Besuchsstop macht auch das Allgemeine Krankenhaus in Hagen. Frauen können eine gesunde Begleitperson ihrer Wahl zur Geburt mitnehmen. „Aus unserer Sicht sollte jeder Vater auch in der jetzigen Situation die Gelegenheit haben, sein Neugeborenes zu sehen.“

    Familienzimmer im Krankenhaus in Schwerte

    Jeanette Lategahn-Unkhoff (35) und ihr Mann Christian erfreuen sich bislang an einer „Bilderbuchschwangerschaft“, wie sie sagt. Wenn Corona nicht wäre. „Das sind die Sorgen und Ängste, die man derzeit so hat“, sagt Christian Unkhoff. Am 7. April ist der errechnete Termin, erstes Kind, ein Junge.

    Das Paar aus Menden hat nun das Evangelische Krankenhaus in Schwerte als Geburtsklinik ausgewählt, weil es da kaum Einschränkungen befürchten muss. „Ich finde die gemeinsame Zeit nach der Geburt wegen der Bindung zum Kind fast noch wichtiger als die Zeit im Kreißsaal“, sagt Jeanette Lategahn-Unkhoff. Das Paar wird wie gewünscht auch ein Familienzimmer beziehen können. „Noch ist das alles zum Glück möglich. Aber im Moment weiß man ja heute nicht, was morgen ist.“

    <<< Das sagt die Hebamme >>>

    "Wenn der Vater mit im Kreißsaal ist, dann ist da eine weitere wichtige Bezugsperson, die die Angst abfedern kann", sagt Kerstin Kurtzmann, seit 27 Jahren freiberufliche Hebamme im Raum Arnsberg. Auch für ihren Berufsstand sind die Folgen des Coronavirus gravierend. "Für uns ist die Arbeit gerade noch etwas fordernder als ohnehin schon", sagt die 59-Jährige. "Wir bekommen täglich neue Infos - aber keine Schutzkleidung." Das Gesundheitsamt kann offenbar nicht wie gewünscht liefern.

    Wegen der Ansteckungsgefahr müsste Kerstin Kurtzmann manche Hausbesuche mit Kittel, Mundschutz und Handschuhen absolvieren. Eigentlich. Hausbesuche sollen möglichst kurz gehalten werden, der Kittel vor Ort zurückgelassen werden. "Aber es gibt nichts." Sie hat sich jetzt 25 Mundschutze selbst bestellt. Die kann sie waschen und wiederverwenden. Lieferzeitpunkt: in drei Wochen. "Wir sind in einem Dilemma, aber wir können die Frauen ja nicht hängen lassen."