Siegen/Werdohl. Mord- und Anschlagspläne: Im Sauerland und Siegerland wird eine islamistische Terrorzelle ausgehoben. Wie groß ist die Szene in der Region?
Ein lauter Knall schreckt die Nachbarschaft in Siegen-Geisweid am Mittwochmorgen in der Frühe auf. Mehrere Polizeiwagen sind in der Straße vorgefahren. Die Beamten, so berichtet eine Augenzeugin, stürmen in ein Haus und führen nach etwa 20 Minuten einen Mann heraus. Was die Anwohner und auch die breite Öffentlichkeit erst wenig später erfahren: Das Ganze war wohl Teil eines Schlags gegen eine islamistische Terrorzelle. Der Mann aus Tadschikistan soll Mitglied des Islamischen Staates gewesen sein, die Zelle soll ganz konkrete Anschläge geplant haben.
Und nicht nur er wird am Mittwochmorgen festgenommen. Auch wenige Kilometer entfernt in Kreuztal im Kreis Siegen-Wittgenstein sowie in Werdohl im Märkischen Kreis schlägt die Polizei im Auftrag der Generalbundesanwaltschaft Karlsruhe zu. Und ebenso im Kreis Heinsberg. Drei weitere Männer werden festgenommen. Was noch bekannt wird: Ein fünftes mutmaßliches Mitglied der Terrorzelle sitzt bereits seit mehr als einem Jahr, seit März 2019, in Untersuchungshaft. Wie alle anderen, so kommt auch er aus Tadschikistan – einer ehemaligen Sowjetrepublik.
Rund 350 Beamte im Einsatz
Von „riesigen Dimensionen“ spricht NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Vormittag. Das bezieht sich aber keineswegs nur auf den Polizeieinsatz, an dem rund 350 Beamte beteiligt waren, die 13 Objekte in ganz Nordrhein-Westfalen durchsucht haben. Sondern vor allem auf die Tatvorwürfe: Laut Bundesanwaltschaft wollten die Terrorzellen-Mitglieder unter anderem Anschläge auf US-Militäreinrichtungen verüben. Drohnen sollten dabei wohl auch eingesetzt werden, ebenso wie wohl mit einem Gleitschirm experimentiert wurde.
Und die Männer planten wohl auch ganz konkret den Mord an einem Islamkritiker. Nach Informationen des Kölner Stadtanzeigers handelt es dabei um einen inzwischen zum Christentum konvertierte Muslim aus Neuss, der seinerseits durchaus provokante Thesen via Facebook und Youtube seine Sicht als „Knecht Christi“ postuliert. Ihn hatte die Terrorzelle wohl schon ausgespäht.
Schusswaffen, Munition und Bombenbauanleitungen besorgt
NRW-Innenminister Reul sagt zwar: „Nach unseren derzeitigen Erkenntnissen stand ein Anschlag in Deutschland nicht unmittelbar bevor.“ Er betont aber gleichzeitig, dass die Gruppe sich bereits scharfe Schusswaffen, Munition und Bombenbauanleitungen beschafft habe. Die vier am Mittwoch festgenommene Männer im Alter zwischen 24 und 32 Jahren, aber auch der bereits im vergangenen Jahr verhaftete Mann, sind Tadschiken, sie seien als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Wie ihr aktueller ausländerrechtlicher Status ist, dazu machten die Behörden am Mittwoch keine Angaben.
Die Anschlags- und Mordpläne, die die Behörden so ernst nehmen, sind aber ganz offensichtlich in einem recht kurzen Zeitraum weit fortentwickelt worden . Nach Informationen unserer Zeitung fokussieren sich die Vorwürfe auf das erste Quartal 2019 - bis zur Festnahme des ersten Mitglieds der Terrorzelle. Ob die restlichen Mitglieder danach noch aktiv waren, so ist aus Ermittlerkreisen zu hören, sei jetzt Gegenstand der weiterer Untersuchungen.
Mordauftrag in Albanien angenommen
Aber auch die nur drei Monate offenbaren – wenn sich die Erkenntnisse der Ermittler bestätigen – ein hohes Maß an Aktivitäten. Im Januar sollen sich die fünf Männer dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen und auch gleich den Auftrag zur Bildung einer Terrorzelle umgesetzt haben. Zunächst wollten sie wohl wieder nach Tadschikistan reisen, um dort an Kämpfen gegen die autoritäre Regierung teilzunehmen. Doch der Plan wurde wieder verworfen, stattdessen sollten demnach tödliche Anschläge in Deutschland verübt werden.
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Mit zwei hochrangigen IS-Führungsmitgliedern in Syrien und Afghanistan sollen sie in Kontakt gestanden haben. Und um an Geld für die Pläne zu gelangen, soll der bereits im vergangenen Jahr festgenommene Ravsan B. sogar einen mit 40.000 US-Dollar dotierten Auftrag für einen Mordanschlag in Albanien angenommen haben. Er war wohl mit einem weiteren Terrorzellen-Mitglied sogar schon auf den Balkan gereist – erst in letzter Minute zerschlug sich der mörderische Plan.
Gleich drei Festnahmen in Südwestfalen
Dass nun in Südwestfalen gleich drei Terrorzellen-Mitglieder festgenommen wurden, steht aber offensichtlich nicht im Zusammenhang mit einer stärken islamistischen Szene in der Region (siehe Hintergrund weiter unten). Vielmehr wohnt der in Werdohl festgenommene Mann wohl erst seit kurzem zumindest zeitweise in der Sauerland-Stadt, weil dort seine neue Lebensgefährtin lebt. Und auch der in Siegen-Geisweid festgenommene Mann soll mit Frau und Kind erst seit vergangenem Jahr dort wohnen.
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Ins Visier der Ermittler war zumindest ein Teil der Festgenommen bereits vor gut einem Jahr geraten. Da war ein 19-Jähriger aus Tadschikistan mit einem Auto wild durch die Fußgängerzone in Essen gefahren. Die Behörden befürchteten erst, dass dies der Auftakt zu einer Terrorserie sein könnte und nahmen deutschlandweit zehn Männer fest – darunter auch Mitglieder der am Mittwoch gesprengten Terrorzelle. Es stellte sich aber heraus: Der 19-Jährige war psychisch krank, die Irrfahrt kein Terroranschlag. Alle weitere Verdächtigen wurden wieder freigelassen.
Ein Teil davon ist nun wieder festgenommen worden. Warum die Ermittler nun aber gerade am Mittwoch – also gut ein Jahr nach der Festnahme des ersten Terrorzellen-Mitglieds - zugeschlagen haben, ist unklar. Klar ist aber, dass die Ermittler in NRW die Aktivitäten als so gravierend angesehen haben, dass die Generalbundesanwaltschaft eingeschaltet wurde. Als oberste Terror-Verfolgerin in Deutschland.
>> HINTERGRUND: Islamisten-Szene in der Region
- Die für Hagen, den Ennepe-Ruhr-Kreis, Siegen-Wittgenstein, den Märkischen Kreis und den Kreis Olpe zuständige Staatsschutzabteilung des Polizeipräsidiums Hagen sieht kein generelles Anwachsen der Szene in der Region. „Die Anzahl der Menschen, die der islamistischen Szene zugerechnet werden, ist nahezu gleich geblieben“, so Sprecher Michael Siemes. „Gegenüber den Vorjahren gibt es hier keine signifikante Abweichung.“
- Konkret bedeutet das, dass den Staatsschützern in ihrem Zuständigkeitsbereich rund 200 Personen bekannt sind, die der islamistischen Szene zugerechnet werden. Etwa 20 gelten als gewaltbereit. Im Jahr 2017 wurden elf Straftaten verzeichnet, eine davon war ein Gewaltdelikt. Im Jahr 2018 registrierte die Polizei vier Straftaten, wieder war eine davon ein Gewaltdelikt. Für 2019 liegen noch keine offiziellen Zahlen vor. Nach Information unserer Zeitung gab es zwei Taten.
- Einen örtlichen Schwerpunkt sieht der Staatsschutzes Hagen neben dem Märkischen Kreis derzeit im Bereich Siegen-Wittgenstein. „Wir halten die Personen hier sehr genau im Blick“, so Siemes.