Hagen. Nach wie vor stehen Kunden in Super- und Drogeriemärkten vor leeren Toilettenpapier-Regalen. Die Nachfrage bleibt in der Corona-Krise groß.

Womöglich unbescholtene Bürger werden zu Dieben, vernunftgesteuerte Verbraucher zum Hamsterkäufer. In Iserlohn wurde die Seitenscheibe eines Pkw aufgeschlagen und Toilettenpapier gestohlen. Andernorts ist man bereit, Mondpreise für das „weiße Gold“ zu bezahlen. Es gibt Bilder, wie Polizeifahrzeuge als Schutz vor dem plündernden Wisch-und-Weg-Mob Lieferungen zu Einkaufsmärkten eskortieren. Der ganz normale Wahnsinn im Corona-Jahr 2020.

Die Toilettenpapier-Regale in Super- und Drogeriemärkten präsentieren sich auch in diesen Tagen – trotz Beteuerungen des Handels, dass sich die Lage entspannt – als blütenweißes Nichts. Es sind höchstens Hinweisschilder zu sehen: „Bitte nur eine Packung pro Kunde!“ Fast besser wäre die Aufschrift „00“.

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Produktion 24 Stunden am Tag

Traditionshersteller Wepa mit seinen sauerländischen Produktions-Standorten Arnsberg-Müschede und Marsberg-Giershagen tut alles, um dem hohen Druck rund um das menschliche Bedürfnis wirkungsvoll zu begegnen. Auch wenn die Produktion generell 24 Stunden am Tag laufe, erklärt Sprecherin Nicole Hofmann, habe man Maßnahmen ergriffen, um eine „maximale Versorgung mit unseren Produkten“ sicherzustellen: „Wir konzentrieren uns derzeit auf die Produktion von Standardartikeln. In Absprache mit unseren Kunden wird z.B. auf individuelle Prägungen verzichtet.“

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Aus einem der Sauerländer Werke hört man, dass geplante Maschinen-Stillstände für Wartungs- oder Reinigungsarbeiten extrem verkürzt oder ganz vermieden werden. Was möglich ist an Produktion, wird möglich gemacht.

Häuslicher Bedarf gestiegen

Und doch gibt es weiter Engpässe in den Regalen der Märkte. Bei Toilettenpapier kämen gerade zwei sich überlagernde Effekte zusammen, sagt Christoph Werner, Vorsitzender der Geschäftsführung des Drogeriemarktes dm, gegenüber dieser Zeitung: „Durch die Schließung von Hotels, Restaurants, Veranstaltungsorten und Büros ist der häusliche Bedarf an Toilettenpapier angestiegen, der über Drogeriemärkte und den Lebensmitteleinzelhandel bedient wird. Zusätzlich bevorraten sich Menschen mehr als sonst in Deutschland.“

Dadurch seien die sonst „üblichen Puffer in der Lieferkette abverkauft“ worden, und die produzierte Menge gehe direkt in den Handel: „So kann es zu Schwankungen in den Liefermengen kommen.“

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Warum die Menschen im großen Stil Hamsterkäufe für Toilettenpapier gemacht haben, darüber kann auch Werner nur mutmaßen: Der derzeitige Effekt der Bevorratung sei nicht „verbrauchsgetrieben, sondern richtet sich nach psychologischen Gesetzmäßigkeiten“.

Psychologischer Kontrollverlust

Experten haben in den vergangenen Wochen tief in die menschliche Seele geschaut und sind zu interessanten Ergebnissen gekommen: Das Hamstern könnte eine Reaktion auf den psychologischen Kontrollverlust bzw. der Verunsicherung in der Pandemie sein, eine Folge des Herdentriebs oder einer allein auf sich reduzierte Wahrnehmung – oder die Angst, zu den Verlierern der Krisen zu gehören. Weil man, so profan es klingt, nicht an Toilettenpapier-Rollen kommt.

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Dass in diesen Tagen auch die Nerven blank liegen, zeigt sich in den sozialen Netzwerken. Hier halten sich die Nutzer rund um das Toilettenpapier-Waterloo höchst emotional auf dem laufenden. Ein bekanntes Sauerländer Hotel musste einen wahren Shitstorm (welch treffender Begriff in diesem Zusammenhang!) erleben.

Shitstorm in sozialen Netzwerken

Ein empörter Hobby-Fotograf hatte zu Beginn der Corona-Krise einen Discounter-Lkw vorfahren sehen und ein Bild von der Toilettenpapier-Lieferung ins weltweite Netz gestellt. Der Aufschrei war groß. „Dabei beliefert uns der Discounter bereits seit zehn Jahren mit Toilettenpapier“, so der Chef des Hauses.

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Ist die aktuelle Toilettenpapier-Hysterie ein typisch deutsches Phänomen? „Wir beobachten in allen Ländern, in denen wir aktiv sind, eine gestiegene Nachfrage“, so Nicole Hofmann von Wepa. Man habe ein „gut ausgebautes Netz an Produktionsstätten in Europa“, sagt die Sprecherin und baut einem möglichen Empörungssturm (so nach dem Motto: „jetzt wissen wir, warum es hierzulande kein Toilettenpapier gibt“) vor: „,Produce where you sell’ (Produziere, wo Du verkaufst, d.Red.) ist für uns aus ökonomischer und ökologischer Sicht wichtig und sinnvoll.“

Menschen brauchen Sicherheit

Bleibt die Frage, wann die leeren Regale wieder mit ausreichend Papier-Packungen gefüllt sind. dm-Chef Christoph Werner kann nicht hellsehen. Aber: „Wir rechnen damit, dass die Nachfrage zurückgehen wird, sobald die Menschen eine sicherere Einschätzung haben, wie lange die verordneten Einschränkungen des öffentlichen Lebens noch anhalten.“