Neheim. In der Coronakrise psychisch im Gleichgewicht bleiben – ein Arnsberger Psychiater erklärt, wie das gelingt und was man jetzt nicht tun sollte.

Das Coronavirus wirbelt den Alltag durcheinander, viele Menschen sorgen such um die Gesundheit von Familie und Freunden, manche müssen um ihre berufliche Existenz bangen. Was hilft, seelisch gesund durch die Krise zu kommen, erklärt Dr. Rüdiger Holzbach, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum Hochsauerland.

Der Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum Arnsberg, Dr. med. Rüdiger Holzbach.
Der Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum Arnsberg, Dr. med. Rüdiger Holzbach. © Unbekannt | Klinikum

Wie belastend ist das Kontaktverbot für die menschliche Psyche?

Dr. Rüdiger Holzbach Das Kontaktverbot trifft vor allem die Menschen, die alleine oder in schwierigen Beziehungen leben. Wir brauchen den Austausch mit anderen Menschen, wie Essen und Trinken zum Leben. Aber das Bedürfnis nach Art, Häufigkeit und Intensität von Kontakten ist individuell unterschiedlich. Insoweit ist es schwer generalisierbar, welche Belastung die Kontakteinschränkungen bedeuten. Sicherlich ist es so: Je mehr man seine gewohnten Muster verändern muss, desto größer die Belastung. Hinzu kommt, dass aufgrund der allgemeinen Verunsicherung der Bedarf nach Kommunikation und Nähe zu vertrauten Menschen deutlich höher ist.

Es sind eher die Ungewissheit und die Langeweile oder auch das als Familie zu eng aufeinander zu sitzen, die im Moment die Menschen belasten. Wie ansteckend und wie gefährlich ist Covid-19 für mich, für meine Familie, Freunde, Nachbarn und Kollegen? Was mache ich mit meiner Zeit, wenn ich mein Hobby nicht ausüben kann und der Keller aufgeräumt ist? Zu viel Zeit zum Nachdenken und Katastrophenmeldungen im Internet suchen, tut nicht gut. Das macht Angst und schlaflos. Die räumliche Enge schafft Aggressivität. Die Langeweile fördert vermehrten Alkohol- und Cannabiskonsum sowie Übergebrauch von Fernsehen und Computern sowie Handys.

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Welche Strategien können dabei helfen, im veränderten Alltag seelisch stabil zu bleiben?

Empfehlungen, die auch schon in normalen Zeiten gelten, sind wichtiger den je: viel Bewegung oder Sport, möglichst an der frischen Luft, gesundes, ausgewogenes Essen und ausreichend viel Flüssigkeit trinken. Und sich selbst eine Tagesstruktur zu geben, wenn man nicht mehr arbeiten darf. Den Wecker stellen, nicht zu lange zu schlafen (und nicht zu spät ins Bett gehen), sich über feste Essenszeiten und einer Mischung aus Pflichtaufgaben und Entspannung selbst einen geregelten Tagesablauf geben.

Es wäre fatal, jetzt nur in den Tag zu leben. Die „geschenkte Zeit“ kann ideal für schon lange aufgeschobene unliebsame Arbeiten genutzt werden, aber auch für gemeinsame Spiele, das Stöbern in alten Fotos. Menschen, die sehr beengt leben, sollten sich gegenseitig die Möglichkeit für Rückzug und Ruhe geben. Gerade in Zeiten, in den alles anders ist, brauchen wir Routinen, die uns Sicherhalt und Struktur geben.

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Was hilft bei innerer Unruhe und akuter Angst?

Bei Unruhe ist Bewegung oft hilfreich – beispielsweise die Unruhe wegjoggen. Bei Angst hilft es, sich nicht in Katastrophenfantasien zu verlieren, zu viel im Internet nach Katastrophen-Neuigkeiten zu suchen. Bleiben Sie in der Realität! Derzeit gibt es in Deutschland nur einen langsamen Anstieg an Infektionen, es sterben wenige Menschen. Wenn sich jeder vernünftig verhält, ist das Risiko begrenzt.

Angst versetzt unseren Körper in Alarmzustand, damit wir – analog zur Situation im Tierreich – um entweder weg zu laufen oder zu kämpfen. Diesen „Adrenalin-Schub“ begegnet man am besten auch, indem man sich viel bewegt, also dem Körper das gibt, auf was er sich wegen der Gefahr eingestellt hat. Es ist im Übrigen völlig normal, sich im Moment Sorgen zu machen, um die, die einem nahe stehen, um die eigene Gesundheit. Es ist schwierig, sich auf einen unsichtbaren Feind einzustellen mit wenig eigenen Möglichkeiten zu reagieren und großer Ungewissheit um zu gehen.

Es kann in solchen Situationen hilfreich sein sich vor Augen zu halten, dass wir in Deutschland sehr gute Chancen haben diese Krise zu bewältigen. Wir haben ein gut vorbereitetes Gesundheitswesen und auch wenn die wirtschaftlichen Folgen noch nicht absehbar sind, es wird wohl niemand wegen der Krise sein Zuhause verlieren, keiner wird verhungern.

Bei welchen Alarmzeichen sollten Betroffene professionelle Hilfe suchen?

Wenn Angst und Unruhe den Alltagen bestimmen und Ablenkung und das Gespräch mit Nahestehenden nicht mehr reicht, dann ist professionelle Hilfe gefragt.

Wie schwer trifft die aktuelle Krise Menschen, die ohnehin in psychiatrischer Behandlung sind?

Unsere stationären Patienten, die zur Zeit alle keinen Besuch empfangen dürfen und in der Station bleiben müssen, reden vergleichsweise wenig über das Thema Corona. Bei den Ambulanten ist es unterschiedlich. Menschen mit sozialen Ängsten, die krankheitsbedingt Kontakte meiden, kommen natürlich gut zurecht. Patienten mit anderen Angststörungen und Depressive, die aufgrund ihrer Erkrankungen überwiegend die Probleme und Gefahren in allen Dingen sehen, haben mit der Corona-Pandemie ein zusätzliches Sorgenthema.

Entscheidender ist hier, dass Aktivitäten wie Sport, Freunde treffen, schöne Dinge unternehmen, die den Betroffenen helfen würden, nur eingeschränkt möglich sind. Einzelne Patienten mit Wahnvorstellungen bauen das Thema Corona mit in ihren Wahn ein – zum Beispiel die Pandemie stoppen zu können oder daran schuld zu sein. Wir haben in den ersten Tagen sehr viele Terminabsagen in der Ambulanz gehabt. Jetzt nehmen die Patienten überwiegend wieder ihre Termine wahr – wozu wir auch dringend raten, denn zusätzliche Belastungen wie zur Zeit sind immer ein Risiko für psychisch Kranke für Verschlechterung oder eine neue Krankheitsphase.

Besuche im Klinikum sind derzeit generell nicht möglich. Wie beeinflusst das die Patienten in der Psychiatrie?

Unsere Behandlung zielt darauf ab, psychisch Kranke möglichst kurz aus dem gewohnten Umfeld heraus zu nehmen, sie frühzeitig durch sogenannte Belastungserprobungen, zunächst stundenweise, im Verlauf auch über Nacht wieder in das häusliche Umfeld zu beurlauben. So wie derzeit Besuche nicht möglich sind, sind solche Ausgänge nicht erlaubt, da die Gefahr zu groß ist, aus solchen Ausgängen die Infektion in die Klinik zu bringen. Auch Gruppentherapien, die sonst ein wichtiges Behandlungselement darstellen, haben wir ausgesetzt. Besuche können, zumindest zum Teil, über die jetzt kostenlosen Telefonate und Internetverbindungen ersetzt werden.

Kann die Versorgung von Psychiatrie-Patienten weiter aufrecht erhalten werden – auf der Station, ambulant und in der Tagesklinik?

Der Betrieb der Tagesklinik ist bis auf Weiteres ausgesetzt, da das Pendeln zwischen Klinik und häuslichem Umfeld Risiken birgt für Beschäftigte und Mitpatienten. Die Tagesklinik, die in einem separaten Gebäude an der Langen Wende untergebracht ist, beherbergt jetzt unsere Ambulanz, sodass wir ambulante Patienten versorgen können, ohne vermeidbare Risiken für stationäre Patienten. Im stationären Bereich halten wir die Versorgung aufrecht und nehmen weiter auf, haben aber die bereits geschilderten Einschränkungen und behandeln mehr in Einzelkontakten.

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Inwieweit können besonders belastete Berufsgruppen wie Mitarbeiter der Intensivstationen unterstützt werden?

In der Regel haben Außenstehende mehr Zeit sich über die Belastungen dieser Menschen Gedanken zu machen, als die Betroffenen selber. Wir „funktionieren“ in solchen Zeiten. Die Belastung, sowohl körperlich als auch psychisch wird erst in der Ruhephase danach richtig spürbar. Alles, was nicht wichtig ist an Pflichten, muss in der Zeit ruhen, um mehr Zeit für Ruhe und Ausgleich zu haben.

Hier ist auch wieder Ernährung und Bewegung wichtig. Sicherlich hilft auch die Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die gesellschaftlich spürbar ist, jeden Tag aufs Neue sich den Herausforderungen zu stellen. Selbstverständlich gibt es bei Bedarf aber auch psychologische Unterstützungsangebote.

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Sehen Sie in der Krise auch Chancen für die Gesellschaft?

Wenn das Leben wie ein Hollywood-Spielfilm wäre, dann ja, aber das Leben ist kein Hollywood-Film. Wenn wir mit Patienten an problematischen Charaktereigenschaften arbeiten, dann wissen wir, dass es sich um einen monatelangen (in der Regel ambulanten) Prozess handelt. Wenn wir also an dem „gesellschaftlichen Charakter“ nachhaltig etwas verändern wollen, dann braucht es einen langen Zeitraum. Nehmen wir das Beispiel „Umweltschutz“. Bis wir wirklich unsere Verhaltensweisen verändern, braucht es eine lange gesellschaftliche Diskussion und bei vielen auch den gesetzgeberischen Druck.

Beim Thema Atomkraft hat ein Schockereignis zwar rasch zu einem gesellschaftlichen Umdenken geführt – aber der Einzelne musste sich dafür nicht umstellen, hatte keine wirkliche Einschränkung. Es war nur eine veränderte Meinung und nicht ein verändertes Verhalten. Wenn der „Corona-Druck“ wegfällt, wird aus dem „wir“ schnell wieder das „ich“ – wobei beim Thema Nudeln und Klopapier das „ich“ bisher auch nicht durch ein „wir“ ersetzt werden konnte… (lacht)