Hagen. Wer im Krankenhaus arbeitet, muss sich auf Szenen wie in Italien zumindest vorbereiten, sagt Andreas Braselmann vom Berufsverband.

Der Hagener Andreas Braselmann (49) ist seit mehr als 20 Jahren Krankenpfleger und zudem berufspolitisch engagiert im Deutschen Berufsverband der Pflegeberufe in der Region Nordwest. Er arbeitet auf einer internistischen Station - und richtet sich auf den Ernstfall ein.

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Was kommt da in ein paar Wochen auf deutsche Krankenstationen zu, Herr Braselmann?

In ein paar Wochen? So lang dauert das nicht mehr. Wir haben es mit einer rasanten Ausbreitung des Virus zu tun. Die Lawine rollt schon auf uns zu. Die Dimensionen sind riesig und sie werden alle Bereiche des Krankenhauses betreffen.

Auf was bereiten Sie sich vor?

Schwer zu sagen. Wir müssen uns vorbereiten und es hilft, Fatalist zu sein. Das Coronavirus führt, wenn es klinisch relevant wird, zu Lungenentzündungen mit schweren Verläufen. Aber das Virus ist so neuartig, dass die Virologen derzeit täglich Neues darüber lernen.

Wie sind die deutschen Krankenhäuser im Allgemeinen auf diesen möglichen Krisenfall vorbereitet?

Nicht gut, befürchte ich.

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Woran machen Sie das fest?

Ich stelle eine gewisse Kopflosigkeit fest. Pandemie-Pläne sind zwar überall angefertigt worden, aber in vielen Kliniken wahrscheinlich in dem sicheren Gefühl, sie nie brauchen zu müssen. Dementsprechend sind sie ausgearbeitet und dementsprechend werden sie gelebt. Zudem gibt es - das ist nicht neu - massive Fehler im System.

Welche?

Krankenhäusern werden die falschen Anreize gemacht. Das System darf aus meiner Sicht gern wirtschaftlich sein, aber Erlösdenken darf nicht im Mittelpunkt stehen. Ein Beispiel: Wir haben in Deutschland stets wachsende Fallzahlen, die durch Diagnosen und Prozeduren wie Operationen und Untersuchungen definiert werden. Pflegende spielen beim Stellen der Diagnose eine nachgeordnete, eher beiläufige Rolle. Dementsprechend ist die Zahl der Ärzte immer weiter gestiegen, die Zahl der Pflegenden gesunken.

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Wenig Personal, viel Arbeit.

Exakt. Pflegende fühlen sich wie in einem Hamsterrad ohne Ausgang. Sie schaffen in Deutschland trotzdem jeden Tag Unmögliches. Aber die Bedingungen, unter denen das passiert, sind miserabel. In den Niederlanden kommen auf eine Krankenpflegekraft sechs bis sieben Patienten. In Deutschland arbeiten wir mit dem doppelten Wert.

Wie geht es Ihnen bei dem Gedanken, dass dieses System auf eine nie dagewesene Pandemie zusteuert?

Ich stelle bei mir und den Kolleginnen und Kollegen eine große Verunsicherung fest. Wie sollen wir auf den Krisenfall vorbereitet sein, wenn wir nicht einmal für den Regelfall ordentlich aufgestellt sind? Wir Pflegenden sind in diesem Land nichts wert. Meine Wut über diese Erkenntnis wird jeden Tag größer.

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Fehlt es auf den Stationen an Material?

Der Gesundheitsminister sagt, dass wir gut vorbereitet sind. Er will - wenn ich es richtig verstanden habe - 10.000 zusätzliche Beatmungsgeräte besorgen. Gut und schön. Die Intensivstationen haben aus gutem Grund Personaluntergrenzen gehabt, die oberhalb ausländischer Standards sich befinden. Diese Personaluntergrenzen sind in der vergangenen Woche ausgesetzt worden. Auch Schutzausrüstung - damit meine ich vor allem Atem- und Mundschutze - ist nicht in ausreichendem Maße vorgehalten worden. Und das bei einem Kollegium, das einen Altersschnitt etwa 50 Jahren hat, das selbst nicht selten Vorerkrankungen hat und Medikamente einnehmen muss, die das Immunsystem schwächen.

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Aus Italien erreichen uns jeden Tag furchtbare Bilder aus überfüllten Intensivstationen. Wie geht es Ihnen, wenn Sie das sehen?

Wir müssen damit rechnen, binnen kurzer Zeit eine hohe Zahl an Patienten mit schwerwiegenden Atemwegserkrankungen zu haben. Ich will kein allzu schwarzes Bild malen. Niemand weiß genau, wie die Situation bei uns sein wird. Aber wir sollten zumindest in Betracht ziehen, dass es vergleichbar wird wie in Italien. Ich habe im Fernsehen Pflegende gesehen, die auf dem Boden oder auf dem Speisewagen geschlafen haben, Pflegende, die nicht mehr nach Hause zu ihren Familien kamen, weil die Arbeit sie hinderte. Meine Kolleginnen und Kollegen stellen sich auf vergleichbare Zustände und eine Belastung über das Maß der bisherigen Überbelastung hinaus ein, was mir Schmerzen bereitet.

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Von Michael Koch und den Lokalredaktionen

Welche Forderung haben Sie an die Politik?

Herr Spahn sollte nicht nur ehemalige Ärzte aufrufen, in den Beruf zurückzukehren, sondern auch ehemals Pflegende, damit diese sich in dieser außergewöhnlichen Situation einbringen können. Grundsätzlich muss allen klar sein, dass nach dieser Krise der Bereich der Pflege - das meint Alten- und Krankenpflege gleichermaßen - anders aufgestellt werden muss.