Hagen/Ennepetal. Kreis und Firma haben sich im PCB-Fall in Ennepetal geeinigt. Mitarbeiter der Firma biw atmen auf, doch Anwohner sind weiterhin besorgt.
Je länger Oliver Popp über die Entscheidung nachdenkt, desto wütender wird er. „Wir sind machtlos der Gefahr ausgesetzt, ohne dass wir handeln können. Uns wird das Recht der freien Entscheidung entzogen“, sagt der 39-Jährige, der mit seiner Familie in Ennepetal wohnt, im Gefahrengebiet. Dort also, wo erhöhte Werte des potenziell gesundheitsschädlichen Stoffes PCB (Polychlorierte Biphenyle) aufgetreten sind.
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Verursacher ist die Firma biw, ein kunststoffverarbeitender Betrieb, der weltweiter Zulieferer ist für die Automobil- und Raumfahrtbranche. Der Stoff entsteht unfreiwillig bei der Produktion und landete auch schon als weißer Niederschlag in der Umgebung. „Die Politik“, sagt Popp, „schaut einfach nur zu und tut .... nichts! Das ist einfach nur schlimm, dass so etwas in Deutschland passieren kann.“
Kein PCB mehr bis Ende 2020
Er reagiert damit auf die Lösung, die der Ennepe-Ruhr-Kreis am Montag verkündete in der Hoffnung, einen Schlussstrich unter die brisante Thematik zu ziehen: Demnach werde das Konzept der Firma biw nach Rücksprache mit dem Landesumweltministerium umgesetzt. Die Firma sichert darin zu, den Ausstoß belasteter weißer Flocken ab sofort verhindern zu können und bis Ende 2020 kein weiteres PCB - auch nicht als Gas - auszustoßen. „Geschäftsführung und Mitarbeiter von biw begrüßen gleichermaßen diese Entscheidung“, teilte die Firma mit.
„Wenn ich ein Restaurant habe, in dem es Hygienemängel gibt, dann wird es vorübergehend geschlossen“, sagt Popp, der mit seiner Frau und den beiden Kindern - die Tochter ist vier, der Sohn vor wenigen Tagen erst auf die Welt gekommen - nur wenige hundert Meter Luftlinie von der Firma entfernt wohnt.
Bürger-Initiative „PCB-Skandal Ennepetal“ besorgt nach Entscheidung des Kreises
Die Bürger-Initiative „PCB-Skandal Ennepetal“ hatte wenige Stunden nach der Mitteilung des Kreises die Stimmung bei den Kritikern zusammengefasst. „Die Bürgerinitiative zeigt sich sehr besorgt über die Entscheidung des EN-Kreises und bleibt der Überzeugung (...), dass der sofortige Stopp des PCB-Ausstoßes (...) die einzig richtige Forderung und auch Entscheidung sein kann.“ Wenn es sein muss auch durch eine vorübergehende Stilllegung des Betriebs. Das gefährdet die Firma und 600 Arbeitsplätze.
„In der Belegschaft ist es, es als sei ein Schalter umgelegt worden. Alle sind froh, dass sie ihren Arbeitsplatz behalten“, sagt Siegfried Gmyrek, Produktionsleiter für den Bereich Kabelschutzsysteme und mit 63 Jahren der Rente nahe. Beim Schichtwechsel am Dienstag um 13 Uhr verkündete er in seiner Abteilung die Neuigkeiten. Applaus habe es gegeben, sagt Gmyrek. Die gefundene Lösung sei eine gute, weil der „PCB-Thematik ernst und nachhaltig“ begegnet werde.
Familie Popp verlässt Ennepetal - zumindest vorerst
Knapp 50 Mitarbeiter hätten sich längst Bluttests unterzogen, kein Ergebnis habe die Grenzwerte überschritten. „Die Sorgen der Anwohner sind zum Teil übertrieben. Manche wollen aber auch nicht wissen, wie es hier im Betrieb wirklich zugeht. Sie müssten mal vorbei kommen, das Gespräch mit einem Mitarbeiter suchen“, sagt Gmyrek. Am Freitag lädt biw tatsächlich offiziell ein: Wer mag, kann die Firma besichtigen, Mitarbeiter sprechen.
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Oliver Popp überlegt noch, ob er hingehen soll. „Meine Frau ist selbst Unternehmerin, ich verstehe, dass man als Unternehmer seinen Betrieb schützen will und muss. Aber es geht um unsere Gesundheit.“ Der Arbeitnehmer könne sich der Gefahr leicht entziehen durch Arbeitsplatzwechsel. „Wir jedoch sind Anwohner und haben nicht die Möglichkeit alles aufzugeben“, so Popp.
Muttermilch und Kohlefilter des Staubsaugers ins Labor
Das Haus, das er erst vor vier Jahren gekauft hat, will er tatsächlich nicht aufgeben. Trotzdem zieht die Familie nun vorübergehend weg. Popp sagt, er habe endlich eine Wohnung gefunden, in Breckerfeld. Er renoviert gerade, damit die junge Familie noch im März einziehen kann. Die zusätzlichen Kosten? Trägt die Familie, weil sie glaubt, dass sie in Gefahr ist. Zudem steht die Familie in Kontakt mit zwei Instituten, eines in Aachen und eines in Münster, das Labortests durchführt. Den Kohlefilter des Staubsaugers und die Muttermilch will Oliver Popp einschicken, um beides hinsichtlich einer PCB-Belastung untersuchen zu lassen.