Hagen/Meschede. Viele Briten zwischen Hagen und Siegen haben 2019 einen deutschen Pass beantragt. Sie wollen ihre Freizügigkeit beim Brexit nicht verlieren

John Corbett ist Schotte von Geburt und aus tiefstem Herzen. Doch seit wenigen Wochen trägt der Musiker neben dem weiß-blauen Andreaskreuz das deutsche Schwarzrotgold als Miniflagge auf dem Revers. Denn er hat jetzt einen deutschen Pass. Der drohende Brexit motivierte im Jahr 2019 viele Briten, sich in Deutschland einbürgern zu lassen. Knapp 190 waren es in Südwestfalen. John Corbett gehört dazu.

John Corbett
John Corbett © Monika Willer

„Ich kann nicht verstehen, wieso die Briten ‘rauswollen“, sagt der Soloklarinettist des Philharmonischen Orchesters Hagen. „Die machen sich so klein. In Europa hatten sie was zu sagen. Wenn ich nur den britischen Pass besitze, muss ich künftig ein Visum beantragen, wenn ich am Wochenende mit meiner Frau von Hagen nach Holland will.“

Privilegien der doppelten Staatsbürgerschaft

Bis zum Vollzug des Brexit gelten für britische Staatsangehörige in Europa weiterhin die Privilegien der doppelten Staatsbürgerschaft. Wer sich zwischen sechs und acht Jahren in Deutschland aufhält, kann wie andere Bürger der EU einen deutschen Pass beantragen, ohne den Ausweis des Herkunftslandes aufgeben zu müssen. Mit dem Austritt aus der Europäischen Union droht Arbeitnehmern aus Großbritannien allerdings der Verlust der umfassenden Freizügigkeitsrechte. Zahlreiche Aspekte des künftigen Alltags sind außerdem noch völlig unklar. Daher haben viele Südwestfalen, die zwischen Dover und der Briloner Partnerstadt Thurso geboren wurden, den Einbürgerungstest absolviert, um auf Nummer sicher zu gehen.

Auch Graham Mark Ellis, in der Region Cotswolds aufgewachsen und seit 1977 in Meschede, ist nun Deutscher. Seine Einbürgerung will der Musikpädagoge und Leiter der Mescheder Windband aber nicht als politisches Statement verstanden wissen, denn grundsätzlich findet er Grenzen nicht schlecht. Allerdings: „Mein Sohn und meine Enkelkinder sind alle Deutsche. Ich bin nicht so ein Großdenker, ich bin Musiker. Ich habe in Meschede die beste Nachbarschaft der Welt, ich bin einer von uns, und die Briten können von mir aus jetzt machen, was sie wollen.“

Soloklarinette im EU-Jugendorchester

Kammersängerin Marilyn Bennett vom Theater Hagen hingegen begreift sich dezidiert als Europäerin. Daher hat sich die Londonerin und britischste Lady in ganz Südwestfalen einbürgern lassen. Die gefeierte Mezzosopranistin hat Kinder, die in Deutschland aufgewachsen sind. „Ich möchte meine Bewegungsfreiheit nicht verlieren. Ich möchte meine Kinder immer besuchen können.“

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John Corbett hat als junger Musikstudent an der Soloklarinette im EU-Jugendorchester gespielt. Europäische Verständigung ist für ihn ein Geschenk und eine Aufgabe. „Wir Schotten waren zu 80 Prozent für den Verbleib in der EU. Ich hoffe, dass Schottland es schafft, in der EU zu bleiben. Wenn die Engländer zu Hause bleiben wollen, ist das ihre Sache.“ Corbett ist 1978 als Student nach Hannover gegangen, seit 1981 spielt er beim Philharmonischen Orchester Hagen, er ist mit einer Deutschen verheiratet und hat tiefe Wurzeln in Hohenlimburg geschlagen.

 Kammersängerin Marilyn Bennett.
Kammersängerin Marilyn Bennett. © WP | Michael Kleinrensing

Viele südwestfälische Briten sind mit dem Militär in die Region eingewandert, in Menden und Hemer waren zahlreiche Soldaten stationiert. So überrascht es nicht, dass die Zahl der britischen Einbürgerungen mit 83 im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde des Märkischen Kreises besonders hoch ist. Es sind jedoch nicht nur frühere Armeeangehörige, die jetzt einen deutschen Pass beantragen, sondern vor allem deren Kinder.

Mit der doppelten Identität kommt John Corbett gut zurecht. Die Kontakte zur Familie in der Nähe von Edinburgh pflegt er, und in Hagen fühlt er sich Zuhause, vor allem die schöne Natur gefällt ihm, welche von der Stadt jedoch nicht genug vermarktet würde. „Ich habe viel gewonnen in Deutschland, ich habe viele Freunde hier“, unterstreicht er.

Graham Mark Ellis hat derzeit Besuch von einer Schwester aus England, „ich komme aus einer großen Familie, ich bin Nummer sieben von neun“. Sein Schwager ist ebenfalls Trompeter und hat am Wochenende beim traditionellen Winterkonzert der Windband mitgespielt. „In der Mescheder Windband wirken Deutsche, Ungarn, Amerikaner, Schotten, Engländer, Japaner und Türken mit. Unser neuer Boss an der Musikschule kommt aus Argentinien“, sagt der 63-Jährige: „Musik ist die einzig wahre internationale Sprache.“

John Corbett hegt allerdings eine Befürchtung in Sachen Brexit: „Wenn die Schotten es nicht schaffen, in Europa zu bleiben, wird die Steuer auf Whisky erhöht.“