Hagen. Die Bonpflicht ist in den Kiosken und Bäckereien angekommen. Von den Händlern und den Kunden hagelt es Kritik. Aber nicht nur.

Der ältere Mann will Zigaretten. Aytekin Demirhan weiß ungehört, welche Marke. Man kennt sich. „Wie geht’s dir“, fragt er, legt die Kippen auf den Verkaufstresen, kassiert, schiebt die Kasse zu. Alles wie immer. Fast. Ein Bon fährt aus der Kasse, den Demirhan neben die Ware legt. Er betreibt einen Kiosk in der Hagener Innenstadt. Die Bonpflicht, die seit dem 1. Januar gilt, betrifft auch ihn.

Einen Bon für Zehn-Cent-Artikel?

„Das ergibt doch keinen Sinn“, sagt er. An seinem Kiosk gehen mittags immer Scharen von Schülern vorbei. Sie kaufen Süßigkeiten, Schokoriegel, einzelne Kaugummis. „Soll ich jetzt für jeden Zehn-Cent-Artikel einen Bon machen?“, fragt er, obwohl er die Antwort längst kennt. Soll er. Macht er. Wie alle anderen Händler, die über elektronische Kassen verfügen: Bäckereien, Marktstände, Kneipen, Eisdielen. Das war der Wunsch des Staates, der mit dem neuen Gesetz das Unterschlagen von Umsätzen erschweren will. Mehrere Milliarden, schätzt die Politik, gingen dem Fiskus jährlich durch die Lappen.

Gute Idee. Eigentlich. Und die Umsetzung? Wie finden das die Händler und die Kunden? Der erste Werktag 2020 mit Bonpflicht. Ein Blick in die Stadt. Viele Fragen, wenig Antworten. Viel Papier.

„Ist das ein Witz?“

Es landet zum Beispiel in einem kleinen Karton auf dem Tresen der Bäckerei Kamm in Hagen. Ein Mitarbeiter hat den Kasten aufgestellt. „Bon-Mülleimer“ steht darauf, dazu ein Smiley. Er ist randvoll, deutlich mehr als 100 Bons befinden sich schon darin. Alles Bons, die ausgedruckt wurden für die Kunden. „Möchten Sie den Beleg?“, fragt die freundliche Dame hinter dem Tresen immer wieder. Die meisten Kunden lächeln nur müde. „Nein“, sagt eine ältere Dame, „das Geld gibt mir ja keiner wieder.“ Eine andere sagt im Rausgehen auf die Frage, ob sie den Beleg wolle: „Ist das ein Witz?“

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Ein paar Meter weiter backt die Konkurrenz: Vielhaber. Unablässig spuckt die Kasse Bons aus. Die erste Rolle des Thermopapiers ist bereits leer. Die meisten Bons bleiben im Laden und landen in einem großen Plastikeimer unter der Theke, der schon fast voll ist. Was damit passiert? „Die schmeiße ich dem Finanzamt in den Briefkasten“, lacht eine Dame. Die andere sagt: „Oder wir schicken es denen, die sich das ausgedacht haben.“ Der SPD zum Beispiel.

Händler unter Generalverdacht

Der Partei-Vorsitzende Norbert-Walter Borjans verteidigt die Einführung der Bonpflicht am Donnerstag. „Die Bonpflicht schützt die ehrlichen Gewerbetreibenden. Und nützt der gesamten Gesellschaft, denn es handelt sich um Milliardenbeträge, die an Steuern hinterzogen werden, die uns allen dann bei Straßen, Schulen, Kliniken und Co. fehlen“, sagt er dieser Zeitung. Auch wenn die Bonpflicht lästig erscheinen möge, gelte für ihn ein ganz einfacher Grundsatz: „Bürokratie wird nicht von Bürokraten gemacht, sondern von schwarzen Schafen, die sich nicht an Regeln halten.“

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Andererseits fühlten sich die Betriebe nun unter Generalverdacht. „Der Bäcker, der Kioskinhaber oder der Getränkemarktbetreiber – sie alle stehen im Verdacht, Steuern zu hinterziehen“, kritisiert Kirsten Jütte, Steuerrechts-Expertin bei der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer. Sie stellt infrage, „ob die generelle Bonpflicht zielführend ist“ und hält fest: „Die Mehrkosten und der Aufwand einer generellen Bonpflicht stehen in keinem Verhältnis. Die Möglichkeiten, sich zum Beispiel als Kioskbetreiber von der Bonpflicht befreien zu lassen, werden nach unserer Einschätzung von den örtlichen Finanzämtern zu streng beurteilt.“

Derweil werden die Bons erst einmal eifrig gedruckt – und zumeist liegengelassen. Wie beispielhaft im Huberta-Grill in Brilon. Wie im Oberstadt-Kiosk in Siegen. Wie in Hagen. Mehrkosten besonders für kleine Händler entstehen. Und Müll. Die „Welt“ schätzt, dass die in diesem Jahr zusätzlich anfallenden Zusatz-Bons aneinandergelegt eine Länge von 2,2 Millionen Kilometern haben könnten. 50 Mal um den Äquator.

Befürworterin der Bonpflicht

„Andere Leute bringen ihr Geld ins Ausland und hier gehen sie an jedes Brötchen ran“, sagt Winfried Törnig aus Hohenlimburg. Er hat beim Bäcker in Hagen ein Brot gekauft und den Bon liegenlassen. „Was soll ich damit? Ich will das Brot ja nicht mehr umtauschen.“ So wie er denken offenkundig die meisten. Aber nicht alle.

Brigitte Fischer aus Altena hat ein Dinkelbrötchen gekauft: 78 Cent. Den Kassenbon hat sie mitgenommen. „Das habe ich immer schon so gemacht“, sagt sie. Zuhause mache sie immer Kassensturz und verschaffe sich einen Überblick über das, was sie ausgegeben hat. Das neue Gesetz? „Finde ich gut“, sagt sie, weil sie den Gedanken nicht sonderlich mag, dass sie für alles Steuern zahlt, was andere womöglich nicht tun.

Der ältere Mann aus dem Kiosk in Hagen hat noch etwas vergessen: Filter für die Zigaretten. Aytekin Demirhan druckt einen weiteren Beleg.