Ense. Die Firma Kettler steht vor dem Aus. Damit gehen 550 Arbeitsplätze verloren. Bei den Mitarbeitern herrscht Totengräberstimmung.
Die Zeit des Sport- und Freizeitgeräteherstellers Kettler ist abgelaufen. Die Belegschaft der Werke in Ense und Werl (Kreis Soest) wurde am Montag in einer Betriebsversammlung in der Schützenhalle Ense über das endgültige Aus des Traditionsunternehmens informiert.
Die dritte Insolvenz innerhalb weniger Jahre hat dem Hersteller des legendären Kettcars endgültig das Genick gebrochen. Rund 400 der 550 Beschäftigten an beiden Standorten in Südwestfalen werden ab dem kommenden Mittwoch freigestellt. 144 Mitarbeiter bleiben zunächst im Rahmen der sogenannten Aus-Produktion beschäftigt, bei der begonnene Aufträge noch abgeschlossen werden sollen.
Kettler-Mitarbeiter hatten noch Hoffnung
Die jüngste Werbekampagne für eine Gartenmöbelgruppe klingt an diesem Tag wie Galgenhumor. „Enjoy the Sunny Side of Life“ – genieße die Sonnenseite des Lebens. Das Unternehmen, das für gute Laune im aufstrebenden Nachkriegsdeutschland stand, befand sich seit Jahren in wirtschaftlicher Schieflage.
Die Ungewissheit und die Sorge um ihren Arbeitsplatz gingen nicht spurlos an den Beschäftigten vorbei. Dennoch: „Wir hatten immer noch eine Rest-Hoffnung. Dass es jetzt nicht mehr weitergehen soll, kam für uns am Ende doch überraschend“, sagt Betriebsratsvorsitzender Antonio Salerno vor der Betriebsversammlung in der Schützenhalle gegenüber der Hauptverwaltung. Salerno ist seit 38 Jahren bei Kettler. „Bereits meine Eltern haben hier gearbeitet.“
Betriebsversammlung ruhig verlaufen
Viele Kettler-Mitarbeiter sind von ihrem Werk in Arbeitskleidung zur Versammlung in der Halle der Schützenbruderschaft St. Lambertus 1525 e.V. gekommen. Das Treffen ist ruhig verlaufen, berichten Teilnehmer hinterher. Bereits am vergangenen Freitag hatte sich in der Belegschaft herumgesprochen, dass der Gläubigerausschuss den Daumen gesenkt hatte. „Im Inneren herrscht bei allen von uns eine Totengräberstimmung“, sagt Antonio Salerno an diesem Morgen: „Es ist, als sei ein Familienmitglied gestorben.“
Jürgen Schneider (60) trifft das endgültige Aus hart: „Ich hatte im Februar einen unterschriftsreifen Arbeitsvertrag bei einem anderen Unternehmen. Und habe mich dann doch für ein Verbleiben bei meiner Firma entschieden.“ Am Sonntag hat er bereits drei Bewerbungen geschrieben. „Es wird sehr schwer“, sagt er. „Es werden Fachkräfte wie ich es bin gesucht, aber mein Alter schreckt viele Firmen ab.“
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Michael Heierhoff steht auch vor der Schützenhalle und schaut auf viele nachdenkliche Kollegen, die ihren Job verlieren. „Das Ende von Kettler bekommt hier ein Gesicht.“ Das Unternehmen mit Hauptsitz in Ense-Parsit sei immer mehr als nur ein Arbeitgeber gewesen, erzählt Heierhoff. „Ich bin noch von Onkel Heinz persönlich eingestellt worden“, sagt er und meint Firmengründer Heinz Kettler. „Wir waren ein Familienunternehmen. Wenn die Eltern hier arbeiteten, begannen auch die Kinder dort ihre Ausbildung.“ Viele Freundschaften unter Kollegen seien entstanden.
Sprung zur Trendmarke nicht geschafft
In der Schützenhalle kommen an diesem Tag viele Beschäftigte jenseits der 50 zusammen, viele mit langjähriger Betriebszugehörigkeit. Franko Nebelung (58) ist fast 35 Jahre dabei und „einfach nur traurig, dass es so weit kommen konnte“. Was sind die Gründe für den Niedergang? „Die kleinen Leute wie wir können nichts dafür“, sagt er, „aber es waren wohl die falschen Leute an der Spitze.“ Das unterstreicht auch Kurt Rixen: „Seitdem unser Chef (Heinz Kettler, d.Red.) tot ist, ging es bergab.“
Rechtsanwalt Martin Lambrecht, der Kettler bei der Insolvenz berät, stimmt dem zu: Letztlich seien es immer Management-Fehler, an den Mitarbeitern habe es nicht gelegen: „Heinz Kettler hat in 50 Jahren extrem viel richtig gemacht. Nach ihm fehlte wahrscheinlich eine Unternehmerpersönlichkeit an der Spitze, die mit genialen und kreativen Ideen innovative Produkte zeitgemäß in den Markt brachte.“ Nach ihm seien die Produkte nicht hinreichend weiterentwickelt worden, stattdessen habe man z.B. am Kettcar festgehalten, „dass am Markt nicht mehr funktionierte“.
Das Aus für den Freizeitgerätehersteller trifft auch Kommunen hart. Man verliere ein Unternehmen, „das über Jahrzehnte unsere Wirtschaft geprägt hat“, sagt Hubert Wegener. Der Bürgermeister von Ense ist enttäuscht, dass der Sanierungsversuch gescheitert ist – wie er aus der Presse erfahren hat: „Wir haben leider keinen Kontakt zu der jetzigen Geschäftsführung.“
Großes Bedauern auch in Werl. Dort wurde zuletzt der Großteil der Kettler-Produktion gefahren. „Die unmittelbaren Auswirkungen auf unsere Stadt sind noch nicht abzuschätzen“, sagt Sprecher Ulrich Canisius. Viele der Beschäftigten wohnen in Werl. „Ich hoffe, dass sie angesichts des Fachkräftemangels eine Alternative finden.“
Das Traditionsunternehmen ist bald Geschichte. Die Marke Kettler ist nicht von der Insolvenz betroffen, sagt Anwalt Lambrecht: „Es könnte in Zukunft weiter Kettler-Produkte geben. Denn die Marke und der Markt funktionieren.“ Sie befindet sich im Besitz des Finanzdienstleisters Lafayette, der in den vergangenen sieben Monaten erfolglos 12 Millionen Euro in den Sportgeräte-Hersteller gesteckt habe. Lambrecht: „Das Geld ist letztlich in den Verlusten verbrannt.“
Kettler hat offenbar nicht den Sprung von der Traditions- zur Trendmarke geschafft. Es ist nur ein Zufall, aber am Aushang der Schützenhalle hängt am Tag der Betriebsversammlung ein Plakat. Es weist auf eine Foto-Ausstellung im Heimathaus hin. Titel: „Die Zeiten ändern sich.“