Hagen. Was braucht das Ruhrgebiet? Weniger Staus und mehr Lehrer. Ministerpräsident Laschet führt in Hagen einen lebhaften Dialog mit den Bürgern.

Zwei Ruhrkonferenzen gab es im vergangenen Jahrhundert. In der ersten ging es um die Kohlekrise, in der zweiten um die Stahlkrise. Und welche Krise haben wir jetzt? „Wir haben vieles bewältigt“, sagt Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). „Jetzt liegen eher gute Entwicklungen vor uns. Dass wir dabei gut mitspielen, ist das Ziel der Ruhrkonferenz.“ In deren Rahmen hat die Landesregierung viele Gespräche geführt, 75 Projektvorschläge gesammelt, und am 29. Oktober will das Kabinett Entscheidungen treffen. 2020 soll dann die Umsetzung starten. Aber davor steht noch einmal das Gespräch mit den Bürgern. Am Samstagmittag in der Fernuniversität in Hagen.

„Townhall-Meeting“ heißt das aus den USA bekannte Gesprächsformat, ursprünglich eine Bürgerversammlung in Kleinstädten. Ohne Barrieren und Formalien, ohne Podien und vorbereitete Statements soll direkt diskutiert werden. 150 Bürger, die sich auch über die Westfalenpost und die Lokalradios bewerben konnten, sind gekommen. Es gibt kleine Leckereien zu essen und alkoholfreie Getränke, Moderatorin Gisela Steinhauer lobt den Veranstaltungsort, bittet für später um kurze, präzise Fragen und organisiert ein Ständchen für Stephan Holthoff-Pförtner, den für die Ruhrkonferenz zuständigen Minister (und Gesellschafter der Funke-Medien-Gruppe), der am Samstag seinen 71. Geburtstag feiert. Dafür ist Zeit, denn der Ministerpräsident verspätet sich ein wenig. Stau auf der A1.

Besserer ÖPNV und besseres Baustellenmanagement

Damit ist man schon mitten im Thema, bei der Frage von Bruno Homberg aus Menden: Wie geht es weiter mit den vielen Staus im Land? „Wir müssen den Umstieg auf den ÖPNV verbessern“, sagt Laschet. Für viele Pendler aus dem ländlichen Raum, sei es aber gar nicht möglich umzusteigen. „Deshalb brauchen wir ein besseres Baustellenmanagement“, so der Ministerpräsident. Euphorie löst er damit nicht aus. Den stärksten Beifall gibt es, als Laschet darüber spricht, dass viele Städte in Ostdeutschland heute besser aussähen als bei uns und erklärt: „Jetzt ist die Sanierung West dran. Das werden wir auch einfordern beim Bund.“

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Dazu passt dann das, was Edeltraud Kwiatkowski, Urgestein am Theater Hagen, entgegen den Wünschen der Moderatorin tut: Sie stellt keine Frage, sondern erzählt eine Geschichte. Sie handelt davon, wie sie 1989 nach Leipzig reiste und eine völlig heruntergekommene Stadt sah und davon wie Leipziger Musiker Ende der 1990-er nach Hamm kamen und fragten: „Mein Gott, wo sind wir denn hier gelandet?“

Kostenlose Kitas?

Konkrete Fragen gibt es aber schon: Wann wird der Kita-Beitrag abgeschafft? Das dritte Jahr sei schon kostenlos, das zweite werde es 2020 antwortet Laschet und bezieht sich dabei auf Ü3. Mehr verspricht er nicht, denn: „Manche Experten sagen, wir sollten lieber für mehr Qualität und kleinere Gruppen sorgen.“ Hagens Oberbürgermeister Erik O. Schulz zieht eine Parallele zum ÖPNV: „Wollen wir es billieger machen oder besser und attraktiver? Ich glaube die Menschen steigen eher um, wenn das Angebot besser wird und weniger, wenn wir den Preis halbieren.“

Zu einem besseren Angebot würde es auch gehören, Busse und Bahnen zwischen den Städten des Ruhrgebiets besser aufeinander abzustimmen. Ein einheitliches System wie in London, würde Laschet sich wünschen, aber dagegen stehe die kommunale Selbstverwaltung: „Wir können nur drängen und Angebote machen.“

Höchstspannung

Laschet hört zu. Er hat nicht immer Antworten. Der Hohenlimburgerin, die sich Sorgen wegen neuer Höchstspannungsleitungen macht, kann er nur versprechen, er werde sich die Lage anschauen. Hoffnungen auf Erdverkabelungen wie in Bayern macht er nicht: „Die gibt es dort auch nur zum Teil bei neuen Trassen. Wir in NRW bekommen weniger neue Trassen, da werden vor allem alte aufgerüstet.“ Die Nöte der Schulen in schwierigen Stadtbezirken, die fehlenden Lehrer und Sozialarbeiter sind ihm nicht neu, ohne dass er schnelle Abhilfe zusagen kann: „Die Talentschulen, sind der Versuch, in den schwierigsten Gebieten die besten Schulen zu bekommen. Aber wir müssen noch mehr tun.“

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Wie denn der Wiederaufbau des Wirtschaftsstandorts Ruhrgebiet gelingen könne mit dem derzeitigen Planungsrecht und angesichts der kommunalen Altschulden, will Ralf Geruschkat wissen, Hauptgeschäftsführer der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen. „Wir brauchen schnellere Verfahren. Das gilt für ganz Deutschland“, antwortet Laschet. Und zu den Altschulden begrüßt der Ministerpräsident, dass der Bund sich erstmals mit dem Thema befasse. „Das war schwierig, weil das Problem nur in NRW, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Hessen besteht. Die anderen zwölf Länder sind nicht betroffen.“ Laschet wiederholt seine Aussage: „Wenn der Bund sich beteiligt, sind wir dabei. Ich möchte gerne zu konkreten Taten kommen, so lange die Große Koalition noch besteht.“

Über Tage wie unter Tage

Integration und Klimawandel werden angesprochen, Wohnen und Digitalisierung, Gammelhäuser und Hebammen. Laschet hält keine Vorträge, nicht mal ein großes Schlusswort. Er will mit den Kommunen noch einmal über den Verkehr sprechen. „Und mein Gefühl sagt mir, wir brauchen noch ein paar große Sachen.“ Der Ausbau der Bahnstrecke von Dortmund nach Berlin könnte eines sein. Das sei fürs Ruhrgebiet wichtig, aber eben nicht nur dort. Das werde auch in anderen Landesteilen so gesehen: „Alle wissen, ganz NRW kommt nur auf die Füße, wenn das Ruhrgebiet wieder stark wird.“ Dazu muss es aber auch einig sein. Stephan-Holthoff-Pförtner: „Unter Tage waren die Zuständigkeiten übergreifend geregelt. Das müssen wir auch über Tage schaffen.“