Hagen. Eine Studie rät, Klinik-Standorte abzubauen. Schon jetzt gibt es in Südwestfalen Menschen, die mehr als 30 Minuten ins Krankenhaus fahren müssen.

Zwei Meter ging es in die Tiefe. Arbeitsunfall. Christian Schultze war auf den glitschigen Sprossen eines Schachts ausgerutscht und hinabgestürzt. Der Aufprall stauchte seinen Körper heftig zusammen. Ein Kollege fuhr den Mann aus Warstein an einem Freitagmittag ins nächste Krankenhaus. Doch dort konnte man ihm nicht so richtig helfen: MRT-Gerät defekt.

Diagnose? Nicht möglich.

Was, wenn er etwas Gravierendes hätte? „Ich hatte zwar ziemliche Schmerzen, klar, aber am schlimmsten war die Ungewissheit über das ganze Wochenende“, erinnert sich Schultze, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Man sagte ihm, dass er im Bett liegen bleiben solle. Nicht aufstehen. Nicht aufrichten. Am besten nicht bewegen. Das ganze Wochenende lang. Montag werde das Gerät repariert, sagte man ihm. Wurde es nicht.

Bertelsmann-Studie mit rigorosen Forderungen

Ein Beispiel, das eher die Argumentation einer aktuellen Bertelsmann-Studie stützt. Diese hat einer erhitzte Debatte ausgelöst, weil die Empfehlungen rigoros sind: Mehr als jedes zweite Krankenhaus in Deutschland sollte demnach geschlossen werden. Von den derzeit knapp 1400 Krankenhäusern sollten nur deutlich weniger als 600 größere und bessere Kliniken erhalten bleiben, die über mehr Personal und eine bessere Ausstattung verfügen. Problem daran: Als Beispielregion diente der Ballungsraum Köln. Doch was ist auf dem Land? Im Sauerland, wo weite Wege zum Leben dazu gehören?

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In und um Meschede lassen sich die Trends im Krankenhauswesen exemplarisch darstellen. Vor einigen Jahren gab es noch drei Krankenhäuser. Fredeburg musste 2012 wegen finanzieller Nöte schließen. Das St.-Walburga-Krankenhaus in Meschede erwuchs durch die Fusion mit Arnsberg zu einem Teil des Klinikums Hochsauerland mit mehreren Standorten. Und dann gibt es noch das Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft in Schmallenberg. Ein Haus, das um seine Existenz fürchten müsste, wenn es die Kleinen nicht mehr geben darf.

Werden kleine Kliniken auf dem Land gebraucht?

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann war jüngst in Schmallenberg zu Gast. Geschäftsführer Stefan Schumann führte ihn durch das Gebäude. „Entgegen dem, was in der Studie der Bertelsmann-Stiftung steht, bin ich sicher, dass kleine Kliniken gebraucht werden, um den ländlichen Raum zu stärken und Menschen in der Region zu halten. Schließungen würden die ländliche Bevölkerung schwächen“, sagt Schumann.

Insgesamt gibt es in Südwestfalen mehr als 60 Krankenhäuser – doch auch große weiße Flecken, vor allem im Hochsauerland und in Wittgenstein.
Insgesamt gibt es in Südwestfalen mehr als 60 Krankenhäuser – doch auch große weiße Flecken, vor allem im Hochsauerland und in Wittgenstein. © funkegrafik nrw | Selina Sielaff

Die Bertelsmann-Studie hält dagegen: Die schnelle Erreichbarkeit eines kleinen Krankenhauses sei nur ein vermeintlicher Vorteil. Wenn dort kein Facharzt verfügbar sei, habe die Klinik einen gravierenden Qualitätsnachteil. Vermutlich richtig. Aber ebenso richtig im Notfall: Lieber eine schlechte Klinik als gar keine.

Erreichbarkeit innerhalb von 20 Minuten empfohlen

„Gute Medizin und gute Pflege geschehen vor Ort“, sagt Jochen Brink, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen. In einem Grundsatzpapier „halten wir eine Erreichbarkeit eines Krankenhauses innerhalb von 20 Minuten für alle Bürgerinnen und Bürger für angemessen.“ Aus Eslohe braucht man mehr als 20 Minuten ins nächste Krankenhaus. Aus dem Zinser Bachtal bei Erndtebrück sind es weit mehr als 30. „Es kann nicht sein, dass über die Daseinsvorsorge und gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen diskutiert wird und die Krankenhausversorgung an wenigen Großkliniken konzentriert werden soll.“ Für die Patientinnen und Patienten gerade auf dem Land würde das „längere Wege, Versorgung im Akkord und weniger menschliche Zuwendung in der Pflege bedeuten“.

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Die Ärztekammer Westfalen-Lippe hält die Studie für „reine Panikmache, die die Sorge der Patienten um eine wohnortnahe klinische Versorgung wachsen lässt. Es fehlt bei der Untersuchung die Unterscheidung zwischen urbanem und ländlichem Raum. Eine Anpassung der Krankenhausplanung ist zwar notwendig, aber mit Blick auf die wachsende Zahl alter und dementer Patienten ist die Erreichbarkeit von Kliniken wichtig.“

Nach vier Tagen in Spezialklinik verlegt

Christian Schultze hat heute keine Beschwerden mehr. Am Dienstag, vier Tage nach seiner Einlieferung, wurde er verlegt. Nach Bochum, Bergmannsheil. Spezialisten. Sie hatten die Diagnose schnell: drei gequetschte Brustwirbel. Eine Woche blieb er zur Kontrolle. „Ich kann und will dem Krankenhaus, in das ich zuerst kam, keinen Vorwurf machen. Die Ärzte haben getan, was sie tun konnten“, sagt er. Freitagnachmittag, die meisten Mediziner im Feierabend, technisches Gerät kaputt. „Pech eben“, sagt er.

Wohl dem, der das hinterher so unaufgeregt sagen kann.