Hagen. . Immer mehr Krankenhäuser schließen ihre Geburtsstationen. Mütter und Hebammen blicken besorgt auf die länger werdenden Anfahrtszeiten.

Christin Wenzel hat sich eine Liste gemacht. Auf ihr sind die Geburtsstationen der Umgebung samt Fahrtzeiten aufgelistet. Seit Monaten plant die 25-Jährige eifrig, wohin es gehen soll, wenn die Wehen einsetzen. Der Termin steht für Ende Juni, die Frage nach dem richtigen Krankenhaus begleitet die Mendenerin allerdings seit der zweiten Schwangerschaftswoche.

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„Wenn es Menden noch geben würde, gäbe es das Problem nicht“, sagt sie verzweifelt. Doch die Geburtsstation in Menden musste 2017 schließen. Am nächsten ist das Krankenhaus in Iserlohn mit 20 Minuten Fahrtzeit, allerdings hat Wenzel dort schlechte Erfahrungen gemacht. Die Alternativen: Herdecke, Unna, Hamm oder Dortmund. Fahrtzeiten von mehr als 30 Minuten. „Natürlich schwingt da die Angst mit. Je ­nachdem, zu welcher Uhrzeit die ­Wehen losgehen, sehe ich mit ­Sorgen auf die Fahrt.“

40 Minuten Fahrt sind vertretbar

Wie ihr geht es vielen Frauen in Südwestfalen. Acht Geburtsstationen mussten in den vergangenen zehn Jahren schließen. Für die Frauen bedeutet das längere Anfahrtszeiten. Doch die Politik sieht eine Fahrtzeit von 40 Minuten für Schwangere in den Wehen als ­vertretbar an.

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Melina Kramer, Sprecherin des Deutschen Hebammenverbandes im Hochsauerlandkreis, sieht das anders. „Es bricht mir als Hebamme das Herz, wenn ich das höre. Für die Frauen ist die Fahrt Stress pur. Je weiter die Strecke ist, desto größer wird auch die Angst, dass sie es nicht rechtzeitig schaffen. Diese Angst begleitet einen die gesamte Schwangerschaft.“

Angst vor Stau ist groß

Eine Angst, die Christina Dentzel aus Bestwig nur allzu gut kennt. Das erste Kind hat sie noch in ­Meschede zur Welt gebracht. Die Entbindungsstation schloss. Das zweite ist im September letzten Jahres in Brilon zur Welt gekommen. „Das hat dreimal so lange gedauert, bis wir da waren“, erzählt die 30-Jährige. „Es war wirklich unangenehm, so lange im Auto liegen zu müssen. Unter Wehen und in der Ausnahmesituation Geburt fühlen sich Sekunden wie Minuten an.“

Den Gedanken, dass der Weg ins Krankenhaus so weit ist, hat sie während der Schwangerschaft ständig mit sich herumgetragen. „Ich habe oft drüber nachgedacht. Ich hatte Angst: Was, wenn die Wehen freitagnachmittags losgehen? Dann ist hier im Ort die Hölle los. Da kommt man nicht weg.“ Der An- und Abreiseverkehr nach Winterberg verstopft den Ort. „Ich hab mich in Gedanken oft einen Krankenwagen rufen sehen, weil wir mit Wehen im Stau stehen.“ Immerhin, für sie ist alles gut ausgegangen. Ihre Wehen starteten nachts, der Weg ins Krankenhaus war lang, aber zumindest staufrei.

Wegfall muss aufgefangen werden

Woran aber liegt es, dass immer mehr Geburtsstationen wegfallen? „Wir haben einen Hebammen-Mangel in Südwestfalen“, sagt Kramer. „Wenn eine Geburtsstation wegfällt, gibt es für die restlichen Krankenhäuser natürlich mehr zu tun. Für die Hebammen bedeutet das eine Arbeit unter Bedingungen, die sie nicht tragen wollen. Dann gibt es zu wenig Personal für zu viele werdende Mütter.“

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Gepaart mit der schlechten Bezahlung ein Grund für viele Hebammen, ihre Arbeit nicht länger machen zu wollen, so Kramer. Das Krankenhaus in Hagen-Haspe musste aus dieser Personalnot heraus 2018 seine Geburtsstation schließen. Bei anderen Krankenhäusern ist es der schlechte Profit, der zu einer Schließung führt.

Brilon muss Wegfall auffangen

Für die verbleibenden Krankenhäuser bedeutet das ein deutlich erhöhtes Einzugsgebiet. Wie können sich die Stationen darauf vorbereiten? Das Krankenhaus in Brilon, das den Wegfall von Meschede und Warstein auffangen muss, hat Vorbereitungen getroffen. „Wir werden als Geburtsstation zu einem Zentrum“, sagt Geschäftsführerin Sonja Drumm.

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Das Krankenhaus hat Kooperationsverträge mit Kinderärzten und Kinderkliniken geschlossen, ein Notarzt aus Lippstadt steht immer abrufbereit. Da die Sätze, die für den Aufenthalt von Müttern und Kindern gezahlt werden, zu gering seien, um kostendeckend zu arbeiten, hat sich das Krankenhaus darüber hinaus entschlossen, Sicherstellungszuschläge für die Vorhaltung der Geburtshilfe zu beantragen.

Hoffen auf keine Komplikationen

Christin Wenzel indes hat mittlerweile einen Favoriten gefunden. Sie möchte ihr Kind im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke zur Welt bringen. Wenn die Wehen einsetzen, liegen 40 Minuten Fahrtzeit vor ihr. „Ich kann nur hoffen, dass es keine Komplikationen gibt und die Straßen halbwegs frei sind.“