Arnsberg. Digitalisierung soll Schulen fit machen für die Zukunft. Andere Länder sind schon weiter. Wie sieht es in Südwestfalen aus?
Dass Karel Rundu Lehrer ist, merkt man auf den ersten Blick nicht. Im Anzug steht er da, blaue Krawatte, weißes Hemd. Die Präsentation, die er an die Wand wirft, gleicht mit seiner modernen Gestaltung eher der für ein Start-up. Thema: Digitalisierung. Rundu ist Lehrer – in Estland, dem Vorzeigeland der Digitalisierung. Das Regierungspräsidium Arnsbergs hat ihn eingeladen. Der 35-Jährige berichtet von Möglichkeiten der digitalen Schule und gibt Beispiele aus dem Alltag in Tallinn. „Wenn wir beim Pilze sammeln kein WLAN haben, regen wir uns schon auf.“
In dem kleinen baltischen Land mit 1,4 Millionen Einwohnern ist Internetzugang ein Grundrecht. 99 Prozent aller Dienstleistungen sind digital, der elektronische Personalausweis funktioniert. Bis auf Hauskauf, Hochzeit oder Scheidung kann man alles digital erledigen. Kein Wunder, dass diese Herangehensweise sich im Schulsystem widerspiegelt. Die Bezirksregierung erhofft sich Anregungen für die Region zu bekommen. Aber wie digital sind die Schulen in Südwestfalen?
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Ohne Breitband geht es nicht
Allgemeine Zahlen wie viele Tablets oder Computer in Schulen zur Verfügung stehen, gibt es nicht. Fest steht, dass laut Bezirksregierung Arnsberg nur 69 der 1151 Schulen (sechs Prozent) an das Glasfasernetz angeschlossen sind. NRW-weit sind es 16 Prozent – viel Luft nach oben.
Doch es gibt auch positive Ansätze. In der Richard-Werner-Grundschule in Herdecke findet Digitalisierung täglich statt: Sebastian Kirsch hält ein Tablet in der Hand und filmt Celine, Greta und Luca. Die drei 10-Jährigen haben sich einen eigenen Werbespot ausgedacht. Schnitt, Konzept und Durchführung liegen bei den Schülern. Eigenständiges Lernen und Projektarbeit soll im Vordergrund stehen.
Estland als Vorreiter
Das baltische Land hat eine Fläche von 45.339 km² (Deutschland: 357.137 km²). Unternehmen lassen sich über digitale Wege in wenigen Stunden gründen und die Steuererklärung ist digitalisiert und automatisiert.
Auch Gesundheitsdaten oder Rezepte laufen über elektronische Wege. Bis nächstes Jahr sollen an den Schulen alle Lern- und Lehrmaterialien digital zugänglich sein. Das digitalisierte Klassenbuch nutzen 85 Prozent der Schulen. Der IT-Sektor macht zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus.
2015 war Estland europaweit auf Platz eins der PISA-Studie – weltweit an sechster Stelle. Deutschland weltweit auf Platz 13. Ergebnisse der neuen PISA-Studie werden Ende des Jahres erwartet. Das „Programme for International Student Assessment“ erfasst und vergleicht internationale Schülerleistungen.
Schulleiter Matthias Wittler beschreibt das Konzept: „Wir wollen die Interessen der Kinder aufgreifen. Ein Lehrer, der nur vorne steht und Frontalunterricht macht, ist da ganz klar zu wenig“. Deswegen nutzen sie die Möglichkeiten der Digitalisierung gezielt, um Kinder individuell zu fördern und digitale Kompetenzen zu stärken. Nur Unterricht an den Computer zu verlegen sei nicht das Ziel. Celine, Greta und Luca haben zuhause alle Smartphones oder Computer. Sie finden es klasse, dass es in der Schule auch so ist.
Eigeninitiative ist gefragt
Die Schere zwischen Schulen, die aus Eigeninitiative heraus schon weit seien und Schulen, die wenig digitalisierte Unterrichtsformen anbieten können, gehe immer weiter auseinander – unterstreicht auch Georg Christopher Hoffmann, von den Jungen Philologen NRW. Er meint „die Politik ist noch nicht so weit. Sie weiß nicht genau, was an den Schulen gebraucht wird“. Landesweit einheitliche Mindeststandards zur Ausstattung der Schulen fehle ebenso wie langfristige Finanzierungsmodelle. Momentan läge die Last hauptsächlich auf den Schultern von engagierten Lehrern.
In Estland gibt es das „eKool“-System. Seit 2002 läuft die Kommunikation und Verwaltung der meisten Schulen über dieses „digitale Klassenbuch“. Lehrer brauchen dadurch weniger Zeit für die Organisation ihrer Klassen, Eltern bringen sich mehr im Schulleben der Kinder ein und unentschuldigte Abwesenheiten haben sich um 30 Prozent reduziert. Eine solche Plattform wünscht sich Matthias Wittler auch für NRW. Seit 2015 plant die Landesregierung ein vergleichbares System. Wann es für die Schulen verfügbar ist, ist nicht bekannt.
Sven Christoffer vom Verband „lehrer nrw“ warnt davor, nicht zu hohe Erwartungen an die Lehrkräfte zu stellen: „Wir brauchen bodenständige Konzepte, um alle Lehrer gleichwertig einzubinden.“ Als Problem sieht er, dass die „Digital Natives eher auf der anderen Seite des Pultes sitzen.“ Eine gute Abstimmung zwischen den Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrer und der Ausstattung an den Schulen hält er für immens wichtig: „Es bringt nichts, wenn die Lehrer genau wissen, wie sie digitale Medien einbringen und an den Schulen dann ein Tageslicht-Projektoren stehen.“
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In NRW gebe es Schulen und Lehrer, die ganz vorne mit dabei seien, aber auch Schulen, an denen „noch gar nichts passiert“. Mit dem Digitalpakt Schule will die Bundesregierung in den nächsten fünf Jahren fünf Milliarden Euro in die Infrastruktur investieren.
Die Zukunft ist ungewiss
Eine Grundlage bleibt der Breitbandanschluss: „Unter 100 MBit braucht man gar nicht mit dem Thema anzufangen“, meint Georg Kroll, 46, stellvertretender Schulleiter der Realschule Bad Berleburg. Wenn eine gesamte Klasse an Tablets arbeitet, müsse eine schnelle Verbindung dahinter stecken. In seiner Schule gibt es WLAN und Tablets. Zur Finanzierung veranstaltete die Schule einen Sponsorenlauf.
In Herdecke hat Matthias Wittler Sorgen, obwohl es bei ihm gut läuft: „Die Chancen der Digitalisierung sind unglaublich groß. Es ist schon eine Angst da, dass es nicht klappt.“