Hagen. Hass und Hetze im Internet sind Alltag. Der Persönlichkeitspsychologe Andreas Mokros von der Fern-Universität Hagen erklärt, warum das so ist.

Professor Andreas Mokros beschäftigt sich schön länger mit den dunklen Seiten der menschlichen Persönlichkeit. Der Psychologe hat als Gerichtsgutachter gearbeitet. Seit Mai 2017 leitet er an der Fern-Universität in Hagen das Lehrgebiet Persönlichkeitspsychologie, Diagnostik und Beratung.

Prof. Mokros, wie kommt der Hass zustande, der Politiker, aber auch andere Menschen immer öfter zum Beispiel im Netz trifft?

Das ist eine Gemengelage aus mehreren Faktoren. In bestimmten Foren oder Chatgruppen bilden sich eigene Normen heraus. Normen über das, was angebracht und sagbar erscheint. Der Ton verschärft sich plötzlich durch die Indirektheit der Ansprache. Die modernen und sozialen Medien geben also die Möglichkeit, öffentlich Kommentare abgeben zu können, ohne selbst öffentlich zu werden. Dieses „Das wird man doch wohl nochmal sagen dürfen“ in Verbindung mit dem Ausbleiben des Feedbacks des Gegenübers verschärft den Ton des Diskurses.

Anonym lässt es sich leicht pöbeln?

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Genau. Damit ist so eine Art Heckenschützensituation gegeben. Das heißt, ich kann losballern, muss aber nicht Sorge haben, selbst angegriffen zu werden. Dazu kommt die Bestärkung durch die Binnengruppe, also zum Beispiel durch die anderen Forumsmitglieder. Deren „Richtig so!“ ist für den Einzelnen allemal wichtiger als öffentliche Ermahnungen durch Politiker.

Gibt es das klassische Profil desjenigen, der im Netz pöbelt und hasst?

Es gibt bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, die man als Charaktersadismus bezeichnet. Das hat nichts mit sexuellem Sadismus zu tun, sondern es geht um eine Neigung zu Schadenfreude oder sich daran zu erfreuen, wenn jemand Pech hat oder jemandem ein Unglück widerfährt. Psychologische Befragungen dazu kreisen um Dinge wie Begeisterung für gewalttätige Sportarten, Begeisterung für blutrünstige Filme und so weiter. Da zeigen sich in verschiedenen Untersuchungen starke Zusammenhänge mit dem Trolling-Verhalten im Internet, also mit und der Bereitschaft, andere durch Worte regelrecht zu erniedrigen.

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Gab es diese Menschen in dieser Häufigkeit schon vor 50 Jahren ohne dass wir es gewusst hätten?

Dazu liegen mir keine Erkenntnisse vor und man muss aufpassen, dass man nicht in so eine kulturpessimistische Sichtweise hineingerät. Aber natürlich spielen gesellschaftliche Zusammenhänge eine Rolle, in der Frage, was sich ausprägen kann oder darf. Menschen mit einer bestimmten politischen Gesinnung, die zudem eine solche Persönlichkeitszuspitzung haben, finden heute wesentlich leichter zusammen als vor 50 Jahren im Schützenverein in Finnentrop. Onlineforen bieten die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten zu verbinden und gegen andere abzugrenzen – in der Wissenschaft nennen wir das Kompartimentierung. Da gesellen sich gleich und gleich schnell zueinander.

Wie bedeutsam sind diese Gruppennormen?

Der Soziologe Sofsky hat das in einem anderen Kontext in seiner Schrift „Traktat über die Gewalt“ zum Ausdruck gebracht: „In der Meute darf auch der Kleinmütigste noch alles“. Wenn man sich in einer Gruppe befindet, können die Spielregeln plötzlich völlig andere sein. In harmloser Variante gibt sind Junggesellenabschiede auf Mallorca das Gleiche: Da benehmen sich die Menschen auch anders als sonst hinter dem Bankschalter. Die Normen anderer Gruppen – hier: Party, saufen, herumgrölen - werden übernommen. Die Normen ergeben sich aber auch sukzessive aus der Gruppe heraus. Und wenn es dann keinen reglementierenden Einfluss gibt, sondern man sich gegenseitig anstachelt, dann darf eben auch der Kleinmütigste alles.

Wenn sich Normen immer weiter verschieben, werden dann aus Worten irgendwann auch Taten?

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Zwangsläufig ist das nicht. In der Sozialpsychologie gibt es die Theorie des geplanten Handelns. Da ist ein Aspekt die wahrgenommene Norm. Der Publizist Sebastian Haffner hat das in seinem Buch „Geschichte eines Deutschen“ sehr eindrücklich beschrieben, wie es war, als plötzlich jüdische Kollegen abgeholt wurden, und er beschreibt sein inneres Erschrecken darüber, aber gleichzeitig auch, dass er sich umgeblickt habe und festgestellt habe: Die anderen machen auch nichts; es ist wohl jetzt normal, dass so etwas passiert. Dieses Innehalten kennen wir auch aus anderen Situationen, wenn sich ein Unfall ereignet hat oder jemand auf der Straße herumschreit und wir uns fragen: Müssen wir eingreifen? Müssen wir helfen? Warum helfen die anderen nicht? Man richtet sich stark an dem aus, was gerade opportun erscheint. Dabei spielt auch etwas eine Rolle, was man als pluralistische Ignoranz bezeichnet: Man ist über ein Vorkommnis besorgt, sieht aber, dass andere auch nicht eingreifen. Daraus schlussfolgert man, dass die anderen wohl Bescheid wissen und es vermutlich gute Gründe gibt, selbst auch nichts zu unternehmen.

Was macht es mit Menschen, wenn sie beschimpft oder sogar bedroht werden?

Das ist individuell unterschiedlich und hängt davon ab, wie widerstandsfähig derjenige gegen negative Kritik ist, wie viel positive Rückmeldung derjenige erhält, wie die grundsätzliche psychische Situation ist. Das hängt auch von Lebensfaktoren ab, von akuten Belastungen oder Erkrankungen. Das heißt: Demselben Politiker fällt es nicht immer gleich leicht, damit umzugehen. Was man nicht verkennen darf, ist, dass sich die Kritiker oder Hater immer häufiger und lauter zu Wort melden als diejenigen, die ein Lob aussprechen. Dabei stabil zu bleiben und sein Amt mit Freude zu versehen, ist schwierig. Leute, die ehrenamtlich tätig sind, fragen sich dann: Warum mache ich das eigentlich?

Was hilft dagegen?

Leider ist es so, dass die bösartigen Kommentatoren, verglichen mit neutralen, besonders gut in Erinnerung bleiben, weil sie eine sie stärkere affektive Wirkung haben. Sie lösen Ärger oder gar Angst auslösen. Dann hilft es, sich eine Strategie zurechtzulegen, in der man persönliche Anwürfe nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Und so etwas wie Tagebuchtechniken, um sich am Ende des Tages positive Dinge zu vergegenwärtigen. Einfach das aufschreiben, was Sie an dem Tag geschafft oder erreicht haben, kann helfen, nicht grübelnd und besorgt ins Bett zu gehen.

Kann man Bedrohungen einfach so ausblenden?

Nein. Das sollte man auch nicht. Denn die Angst kann ein Anzeichen für eine tatsächliche Bedrohung sein. Ich würde dazu raten, sich in solchen Fällen professionelle Hilfe zu holen, wie damit umzugehen ist. Insbesondere wenn die Bedrohungen ins Reale übergehen mit Sätzen wie: „Wir wissen, wo du wohnst“. Dann ist eine gefährliche Grenze überschritten.

Wie groß ist die Gefahr, dass Politiker in Verhalten aus Angst ändern?

Die Gefahr einer möglichen, vielleicht auch unbewussten Selbstzensur ist gegeben, weil man sich bestimmten Vorwürfen nicht dauerhaft aussetzen will.