Hagen. Sind Hass-Mails der Nährboden für politische Gewalttaten? Darüber sprachen wir mit den Experten des polizeilichen Staatsschutzes in Hagen.

Der Mord an Walter Lübcke, dem Kasseler Regierungspräsidenten, hat Deutschland erschüttert. Seit Jahrzehnten ist dies der erste politische Mord, der auf die Grundfeste der Demokratie abzielt. Obwohl es keinen Tat-Zusammenhang zu geben scheint, so steht er doch in einer Reihe mit den Attentaten auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und auf den Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein. Grund genug, um die polizeilichen Experten vom Staatsschutz in Hagen zu einem Interview zu bitten. Ein Gespräch mit dem stellvertretenden Leiter des polizeilichen Staatsschutzes, Uwe Böhm, und seinem Kollegen, Kriminalhauptkommissar Alexander Becker.

Wie schätzen Sie die Lage in Ihrem Zuständigkeitsbereich, also in Südwestfalen, ein?

Uwe Böhm: Die Fälle Reker, Hollstein und Lübcke stellen mit Sicherheit eine völlig neue, bedrohliche Qualität an politisch motivierten Straftaten dar. Politische Morde gab es seit Jahrzehnten nicht. Wir stellen aber fest, dass die politisch motivierten Gewalttaten im allgemeinen, also Angriffe gegen die körperliche Unversehrtheit, rein quantitativ zurückgehen. Derweil verzeichnen wir seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2016/2017 einen massiven Anstieg von politisch motivierter Bedrohung, Beleidigungen oder Volksverhetzung.

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Ich nehme an, Sie sprechen von sogenannten Hass-Postings im Netz?

Alexander Becker: Exakt. Man hat den Eindruck, dass im vermeintlichen Schutz der Anonymität sämtliche zivilisatorischen Grenzen gefallen sind. Was dort teilweise geschrieben wird, erschreckt sogar erfahrene Fahnder. Da werden Vokabeln wie „abschlachten“ und „vergasen“ benutzt und unverblümt wird zu Gewalttaten aufgerufen. Grenzen, die man in der analogen Welt nie überschreiten würde, fallen regelmäßig in diesem Medium.

Würden Sie von einer Zunahme rechtsradikaler Tendenzen sprechen?

Böhm: Extremismus gibt es an beiden Enden des politischen Spektrums. Darüber hinaus sind es zumeist nicht die typischen Rechtsextremen, die hier posten. Diese Gruppe hat ihre eigenen, geschlossenen Gruppen und Netzwerke. Derweil sitzen bei uns in den Vernehmungen Täter, die sich regelrecht schämen für das, was sie geschrieben haben.

Haben Sie dafür eine Erklärung?

Becker: Ein wichtiger Faktor ist die Netz-Anonymität gepaart mit einer Frustration oder Desillusioniertheit. Zudem scheint bisweilen die Meinung zu existieren, dass man selbst sich so äußern darf, weil dies auch andere tun. Daher ist es besonders eklatant, wenn Politiker derlei Grenzen überschreiten.

Würden Sie soweit gehen und sagen, dass Hass-Postings unsere Demokratie gefährden?

Böhm: Hass-Postings haben das Ziel, andere einzuschüchtern. Und deshalb bin ich der Meinung, dass hier mit unlauteren Mitteln Einfluss auf politische Entscheidungen genommen wird. Wenn jemand Angst hat, seine Meinung zu sagen, sehe ich demokratische Mechanismen in Gefahr.

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Was können wir dagegen tun?

Böhm: Diesen Hass zu ächten, ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft und natürlich der Politik. Wir sind für die Verfolgung dieser politisch motivierten Straftaten zuständig.

Aber das dürfte im Internet nicht ganz einfach sein.

Becker: In der Tat. In der Regel finden diese Taten ja unter Pseudonymen statt. Und es ist wirklich aufwendig, die Personen zu ermitteln, die dahinter stehen. Teilweise braucht es Wochen, bis wir über Rechtshilfe-Ersuchen in anderen Ländern an die IP-Adressen kommen. Im Fall Hollstein zum Beispiel haben wir nach der Tat mit drei Kollegen mehrere Wochen lang 8000 Twitter-Einträge analysiert. Davon haben wir 84 Verdachtsfälle an die Staatsanwaltschaft gemeldet, die wiederum hat nach rechtlicher Würdigung sechs Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das ist zermürbend – teilweise frustrierend, wenn Sie am Ende zum Beispiel erfahren müssen, dass die Daten, die die Täter identifizierbar machen, zwischenzeitlich vom Provider gelöscht wurden.

Und trotzdem stellen Sie sich jeden Tag gegen diesen politischen Hass?

Becker: Natürlich. Politische Drohungen und Beleidigungen sind keine Kavaliersdelikte. Wichtig ist, dass wir davon Kenntnis bekommen, dass die Opfer nicht resignieren, sondern entschlossen Anzeige erstatten. Ansonsten ist es nicht möglich, die Dimensionen zu erfassen und dieses Phänomen erfolgreich zu bekämpfen.