Hamm. . Die mutmaßlichen Verursacher des Raser-Unfalls von Hövel stehen vor Gericht. Ein Ex-Raser spricht vor dem Prozess über den Reiz von Autorennen.

Nico Klassen (Bild) aus Hamm kennt sich in der Raser-Szene aus: Jahrelang fuhr er selbst illegale Autorennen, bis ein Freund bei einer solchen Fahrt sein Leben verlor.

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Heute veranstaltet er als Präventionsmaßnahme für potenzielle Raser legale Rennen – wie kürzlich auf dem Flugplatz Brilon-Thülen. Vor dem Prozess erzählt er vom Reiz am Rasen.

Hat sich der Raserparagraf in irgendeiner Weise auf die Szene ausgewirkt?

Nico Klassen: Nein, überhaupt nicht. Der erhöhte Strafrahmen wurde zwar diskutiert, aber letztlich geht jeder davon aus, dass er nicht erwischt wird. Kurzum: Schärfere Gesetze lösen das Problem nicht.

Sind sich Raser der Gefahren im Temporausch bewusst?

Nico Klassen aus Hamm spricht über die Raser-Szene. Er hat selbst tragische Erfahrungen mit Autorennen gemacht, war aber auch selbst Fahrer.
Nico Klassen aus Hamm spricht über die Raser-Szene. Er hat selbst tragische Erfahrungen mit Autorennen gemacht, war aber auch selbst Fahrer. © Guido Kirchner

Natürlich. Aber es ist wie eine Sucht – sie ist größer als die Vernunft. Sieht der Raser sein Auto, bekommt er einen Tunnelblick. Sitzt er dann am Steuer, ist er voller Adrenalin und fährt los – ohne Rücksicht auf Verluste in seinem Rauschzustand.

Warum nehmen Menschen an illegalen Autorennen teil?

Sie befriedigen den Adrenalinhunger, sie wollen sich mit anderen ­vergleichen und gieren nach Aufmerksamkeit – letzteres ist insbesondere bei jüngeren Leuten zu beobachten.

Gibt es einen bestimmten Menschentyp, der bei solchen Rennen dabei ist?

Nein. Alle sind dabei, vom Vorstandsvorsitzenden bis zum Azubi. Alle Nationalitäten, Altersgruppen und Bevölkerungsschichten.

Wie kommen Azubis an „dicke“, sprich: PS-starke Fahrzeuge?

Seniorin stirbt, vier Menschen überleben schwer verletzt

Am Freitag beginnt vor dem Landgericht Arnsberg der Prozess um einen tödlichen Verkehrsunfall bei Sundern-Hövel. Die Staatsanwaltschaft wirft zwei Männern aus Hemer und Soest die Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen vor. Eine 70-Jährige war gestorben.

Mit in dem Wagen saßen vier Personen, die schwer verletzt überlebten. Die Auto-Insassen aus Arnsberg und Sundern hatten sich bei einer Rom-Fahrt vor zwei Jahren kennen gelernt.

Die langfristigen gesundheitlichen Folgen sind auch nach langen Klinik- und Reha-Aufenthalten nicht absehbar. Ein Opfer berichtete von ihrer gestörten Feinmotorik, Anwältin Simone Hammecke-Klüter von Nervenschädigungen bei anderen. Teilweise seien Finger taub und gefühllos.

Banal gesagt: im Autohaus. Wenn man als Otto Normalbürger früher eine Luxuskarosse haben wollte, wurde man im Autohaus auf eine Holzbank gesetzt und von oben herab angeschaut, bevor die Bonität überprüft wurde. Heute wird man wie ein König empfangen, bekommt eine Tasse Kaffee aus dem Vollautomaten und ein Leasingangebot mit Raten von 250 bis 300 Euro im Monat.

Wie groß ist denn die Gruppe der Raser?

Grundsätzlich: Es gibt überall Raser – in Städten und auf dem Land. Allein im Ruhrgebiet schätze ich die Zahl auf 5000 bis 5500 potenzielle Raser.

Sie sind der Meinung, dass der Raserparagraf mit seinem erhöhten Strafrahmen genau genommen an der Zielgruppe vorbei geht. Inwiefern?

Der Paragraf greift erst, wenn bereits etwas passiert ist. Man muss verstärkt präventiv tätig sein in der Szene. Mit meinem Konzept der legalen Autorennen will ich potenziellen Rasern ein Umfeld bieten, in dem sie ihr Adrenalin kontrolliert abbauen können. Dort, wo Passanten nichts passieren kann, wo beispielsweise keiner auf die Straße läuft und erfasst werden kann.

Reichen da die vier Veranstaltungen pro Jahr, die Sie organisieren?

Natürlich nicht. Es fehlt die Unterstützung aus der Politik. Ich habe schon des Öfteren mein Konzept erfolglos vorgestellt. Schärfere Gesetze zu verabschieden scheint einfacher, als vorbeugend tätig zu sein.