Hagen. Angelika von Schenk-Wilms ist Missbrauchsbeauftragte im Bistum Essen. Sie hält die von der Bischofskonferenz gezahlten Summen für zu gering

Manchmal sitzen gestandene Sechzigjährige vor Angelika von Schenk-Wilms und finden keine Worte für das, was ihnen vor einem halben Jahrhundert widerfahren ist. Dann ist die pensionierte stellvertretende Schulleiterin froh, dass sie ihr Ehrenamt akzeptiert hat, denn sie hat hoffentlich eine Möglichkeit zu helfen.

Die Protestantin ist die unabhängige Missbrauchsbeauftragte des Bistums Essens und damit erste Anlaufstelle für die Opfer von sexualisierter Gewalt. „Mich berührt am meisten, wenn ich Menschen begegne, die zu keiner Partnerbeziehung fähig sind, weil ihnen in der Kindheit sexueller Missbrauch angetan wurde; die dauernd Flashbacks haben, die jetzt von Hartz IV leben müssen oder von einer minimalen Rente.“

Verfahrensordnung Missbrauch

Eines stellt Angelika von Schenk-Wilms gleich klar. Wer mit ihr in Kontakt tritt, muss keine Schweigeerklärungen unterschreiben, wie häufig kolportiert wird. Er behält zu jedem Zeitpunkt die Kontrolle über seine Geschichte.

Angelika von Schenk-Wilms
Angelika von Schenk-Wilms © Achim Pohl

Eine Besonderheit im Bistum Essen ist die Verfahrensordnung Missbrauch. Darin ist genau geregelt, wie mit einem gemeldeten Fall umzugehen ist. „Die Leitlinien der Bischofskonferenz sind ja mehr Soll-Empfehlungen.“

Was passiert, wenn sich ein Betroffener bei Angelika von Schenk-Wilms meldet? Wir stellen die Schritte vor.

1. Wer sich meldet, am Telefon, per Mail, Brief oder Facebook, erhält umgehend ein Gesprächs­angebot.

Aus Datenschutzgründen machen wir das postalisch. Das Gespräch führen ich und mein Stellvertreter. Sollte eine zweite Frau dabei sein oder nur Männer, gehen wir gerne darauf ein. Der oder die Betroffene kann eine Vertrauensperson mitbringen. Wir bieten an, das Gespräch bei der Person Zuhause zu führen oder im Generalvikariat des Bistums Essen. Die Fahrtkosten werden erstattet. Unserem Gesprächsangebot liegt auch ein frankierter Umschlag für die Rückantwort bei, damit den Betroffenen keine Kosten entstehen.“

Strafanzeige - oder nicht?

2. Im Gespräch wird geklärt, ob Strafanzeige gestellt wird. Eine schwierige Frage.

In der Verfahrensordnung steht, dass auf jeden Fall Strafanzeige gestellt wird. Aber die Strafanzeige ist häufig eine große Belastung für die Opfer, weil es für viele auch 40 Jahre danach traumatisch ist, über den sexuellen Missbrauch zu sprechen. Viele Betroffene sprechen bei mir das erste Mal darüber, auch ihre Familien oder Partner wissen vielfach nichts von der Tat. Ich biete gelegentlich auch an, wenn es notwendig sein sollte, dass Betroffene ihre Erlebnisse aufschreiben.

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Wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen Verjährung einstellt, empfinden es die Betroffenen oft wie eine zweite Demütigung. Eltern, die minderjährige Kinder haben, wollen oft nicht, dass die Kinder sich einer staatsanwaltschaftlichen Ermittlung aussetzen müssen. In solchen Fällen muss man gut überlegen, ob man dem nachgeben darf, denn der Beschuldigte kann eine Gefahr für andere darstellen.“

Antrag auf Anerkennung von Leid

3. Im Gespräch wird angeboten, einen Antrag auf Anerkennung von Leid zu stellen. Dieser Antrag wird an eine zentrale Kommission der deutschen Bischofskonferenz nach Bonn geschickt, die über die jeweilige Höhe der Summe befindet. Mit der Höhe der Summen, die in Anerkennung des Leids gezahlt werden, hadert Angelika von Schenk-Wilms.

Die Betroffenen sind für ihr ganzes Leben traumatisiert. Es ist doch lächerlich, einem Betroffenen, der so viel Leid erfahren hat, nur eine Summe von 1000 Euro bis maximal 15.000 Euro zukommen zu lassen. Über die Höhe der Summe muss man sich unbedingt noch einmal Gedanken machen.“

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Angelika von Schenk-Wilms ist es wichtig, dass alle Betroffenen wissen, dass die Summe weder von Gläubigern noch vom Jobcenter eingefordert werden kann.

Das Geld spielt für die Betroffenen aber meist keine sonderlich große Rolle. Der Hauptantrieb für eine Meldung bei der Missbrauchsbeauftragten ist, dass sie endlich einmal über den erfahrenen sexuellen Missbrauch sprechen können und somit der Beschuldigte einer gewissen Öffentlichkeit preisgegeben wird.“

Bischof bezahlt Psychotherapie

4. Auf Wunsch wird dem Betroffenen psychotherapeutische Hilfe angeboten und Ansprechpartner bei Selbsthilfegruppen vermittelt.

Bei schweren posttraumatischen Belastungsstörungen ist bei den gesetzlichen Krankenkassen schnell das Ende der Zahlungsbereitschaft erreicht. Das Bistum würde bei einer weiterhin notwendigen Therapie 50 bis 80 Prozent der Kosten übernehmen. Missbrauchsbetroffene legen hohen Wert auf Diskretion. Viele befürchten Nachteile am Arbeitsplatz und möchten nicht, dass eine Psychotherapie in ihrer Krankenkassen-Akte vermerkt wird. Das ist der Grund, warum wir hier Hilfe anbieten.“

Fallmanagement im Bistum

5. Der Bischof erhält eine Meldung von jeder Beschuldigung. Wenn der Täter noch lebt, wird er in der Regel bis zum Ende der kirchenrechtlichen Voruntersuchung von seiner Priestertätigkeit freigestellt.

Die Untersuchungsergebnisse der Kirchenjuristen gehen nach Rom zur Glaubenskongregation. Diese spricht eine Empfehlung an den Bischof aus, und dieser wiederum erlässt ein Dekret, in dem steht, welche Tätigkeiten der beschuldigte Priester ggf. überhaupt noch ausüben darf.

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Das Bistum Essen hat seit 2018 ein Fallmanagement eingerichtet, damit alle Fälle nachhaltig aufgearbeitet werden. Das bezieht sich auch auf Laien, die haupt- oder ehrenamtlich tätig sind.

Nicht alle treten aus der Kirche aus

6. Der Betroffene wird über das Dekret informiert, verbunden damit ist eine Einladung zu einem Gespräch mit dem Bischof, sofern dieses nicht schon nach der Auszahlung der Summe aus dem Antrag auf Anerkennung von Leid stattgefunden hat. Zwölf Fälle gab es 2018 im Bistum Essen. In neun Fällen ist der Beschuldigte gestorben, in drei Fällen wurde Strafanzeige gestellt, in einem Fall wird noch ermittelt, in zwei Fällen wurde die Ermittlung eingestellt.

Angelika von Schenk-Wilms hat eine klare Motivation für ihr Ehrenamt: „Ich möchte, dass es zu einer positiven Gesamtveränderung in der Kirche kommt. Das ist wichtig, weil es auch im Sinne der Betroffenen ist, denn nicht alle treten aus der Kirche aus. Wenn diese Gespräche gut laufen, dann machen die Betroffenen auch anderen Betroffenen Mut, über ihre leidvollen Erfahrungen zu berichten.“

Kontaktdaten für Betroffene im Bistum Essen:

Angelika von Schenk-Wilms. Zwölfling 16 45127 Essen. 0151/571 500 84. angelika.vonSchenk-Wilms@bistum-essen.de.
http://missbrauch.bistum-essen.de.