Ense. . Mediziner aufs Land zu bekommen, ist nicht leicht. Dem Kreis Soest gelingt das mit einem Projekt, von dem andere Regionen lernen könnten.

Die Wände sind vor nicht allzu langer Zeit gestrichen worden. Schönes, sauberes Weiß. Klassische Wahl für eine Arztpraxis. Die Räumlichkeiten gehören seit anderthalb Jahren Michael Swyter, 38 Jahre alt, einst Oberarzt im Krankenhaus in Unna, jetzt Hausarzt in der Gemeinde Ense im Kreis Soest. 12.000 Einwohner, ländliches Gebiet, viele Windräder, wenig Hausärzte. Normalerweise. In Soest ist das anders. Die Zahl der Hausärzte stieg 2018 an.

„Wahrscheinlich“, sagt Swyter und lacht, „wahrscheinlich hätte er auch einen Maler für mich gesucht und gefunden.“ Er? Er heißt Marcel Frischkorn (31), studierter Betriebswirt, angestellt bei der Wirtschaftsförderung, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft des Kreises Soest. Dort ist er in Vollzeit der Hausärzte-Kümmerer. Vordringlichstes Ziel: den Versorgungsmangel aufzuhalten. Ein ungewöhnliches Projekt, von dem andere Kreise und Regionen lernen könnten.

Ballungsgebiete bevorzugt

Längst ist bekannt, dass gerade die ländlichen Regionen auf ein medizinisches Versorgungsproblem zusteuern. Junge Ärzte lassen sich lieber in den Ballungsgebieten oder mittelgroßen Städten nieder. Das Image des Landarztes liegt bei ihnen grob geschätzt auf der Höhe von Schuppenflechte.

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Nach Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) ist die hausärztliche Versorgung in der Bedarfsgemeinschaft Ennepetal und Breckerfeld ebenso kritisch wie in Erndtebrück und Bad Berleburg sowie Neunkirchen und Burbach (siehe Karte). In Brilon und Olsberg sieht es nicht viel besser aus. Und das Besorgnis erregendste: Selbst dort, wo die bloße Anzahl noch mehr als ausreichend ist, kann sich das bald ändern. 42 Prozent der Hausärzte in Südwestfalen sind älter als 60 Jahre. Ihr Dienstende können sie zwar frei wählen, aber es naht. Und der Nachwuchs? Will nicht aufs Land.

In den Gemeinden des Kreises Soest ist die Lage derzeit einigermaßen entspannt. Nicht unwahrscheinlich, dass das auch an Marcel Frischkorn liegt. Er begreift sich als Wegbereiter und Wegbegleiter der (potenziellen) Hausärzte auf dem Land. Er ist Ansprechpartner, steht in Kontakt mit Krankenhäusern, Medizinstudenten, bereits niedergelassenen Hausärzten. Wer sucht wen oder was ab wann? Das weiß er meist früh und bringt die zwei Enden zusammen. Er weiß, wo es welche staatliche Förderung gibt und wie man da herankommt. Zwischen Mai und November des vergangenen Jahres stieg die Zahl der Hausärzte im Kreis von 183 auf 190. Zum 1. April fängt einer an. Mit weiteren steht er in Kontakt.

Individuelles Unterstützungspaket

Frischkorn hat sich als zentraler Ansprechpartner etabliert. Den Ärzten, die plötzlich Unternehmer sind, gibt er Orientierung. „Man hat gar nicht im Blick, welche Möglichkeiten und Fördermittel es gibt und wie man sie richtig beantragt. Es ist gut, jemanden zu haben, der den Überblick hat“, sagt Swyter.

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Doch Geld ist nicht immer das entscheidende Problem der verhinderten Landärzte. Es sind auch oft weiche Faktoren. „Die Frage ist: Was stellt sich der Kandidat vor? Und dann schnüren wir ihm ein individuelles Unterstützungspaket“, sagt Frischkorn. Braucht der Mann einen Bauplatz ? Eine Möglichkeit zum Jobwechsel für seine Frau? Einen Platz in der Schule oder in der Kita für den Nachwuchs? Frischkorn wird dann auch schon mal beim jeweiligen Bürgermeister vorstellig und sucht nach unbürokratischen Lösungen.

Ein neues Netzwerk

Die Hausärzte will er nun mehr miteinander verknüpfen, damit sie Erfahrungen austauschen und voneinander lernen können. „Ich baue dem Hausarzt eine Struktur und ein Netzwerk, damit er merkt: Ich bin nicht der Einzelkämpfer auf dem Land.“ Bei Michael Swyter war das nur bedingt nötig, er wohnte schon vorher in der Gegend, kannte sich aus. Er brauchte eher Wissen im Bereich der Finanzierung. Frischkorn hatte es. So gab es 50.000 Euro Förderung vom Land, ein zinsloses Darlehen und einen Mietzuschuss von der Kommune.

Niemals, wirklich nie, nie, nie wollte Swyter Hausarzt auf dem Land sein, sagt er. Bei einer Informationsveranstaltung des Kreises Soest traf er auf einen Landarzt, der ihn fragte, ob er nicht seine Praxis haben wolle. „Nein!“, antwortete Swyter fast empört. Ein Jahr später ließ er die Wände neu streichen. „Ich kann mir keinen besseren Job vorstellen“, sagt Swyter heute. Und Marcel Frischkorn lächelt dazu.