Siegen. . Die Caritas experimentiert, wie alte Menschen von der Digitalisierung profitieren können. Bei den Möglichkeiten gibt es aber auch Bedenken.
Das Telefon hat 70 Jahre gebraucht, um auf 50 Millionen Nutzer zu kommen, beim Internet waren es vier Jahre, und Pokemon Go hat die Zahl in zehn Tagen geschafft. Das Tempo der technischen Veränderungen beschleunigt sich rasant. Gerade älteren Menschen macht das Angst. Aber die Caritas in NRW zeigt, wie Senioren von der Digitalisierung profitieren können.
Die technische Assistenz
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Jederzeit Unterstützte Teilhabe durch Technische Assistenz klingt umständlich. Jutta ist kürzer. So heißt das System, das zur Unterstützung von Menschen mit Demenz im Sozialwerk St. Georg in Neukirchen-Vluyn eingesetzt wird. Sensoren registrieren, wenn der Herd nicht ausgeschaltet ist, wenn ein Bewohner im Bad stürzt oder nachts aufsteht und nach 30 Minuten nicht im Bett zurück ist. Dann bekommt die Nachtwache eine Nachricht aufs Telefon. Überwachung? „Mehr Bewegungsfreiheit“, versprechen die Verantwortlichen. Derzeit wird Jutta in Wohnungen getestet. In Kombination mit einem ambulanten Pflegedienst können Senioren länger zu Hause bleiben.
Die virtuelle Realität
Im Kölner Caritas-Altenzentrum St. Maternus gehört die Virtual-Reality-Brille zum Alltag. Die 93-jährige Maria Herwig schafft es nicht mehr in ihren geliebten Dom. Die virtuelle Realität ermöglicht ihr jetzt den Besuch, setzt Erinnerungen frei und regt zum Gespräch an. Andere Bewohner haben Spaß mit Tablets und Computerspielen. Das stimuliert kognitive und mentale Fähigkeiten und lockert den oft gleichförmigen Alltag auf.
Pepper, der Roboter
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Die Bewohner im Marienheim in Siegen-Weidenau waren anfangs skeptisch, als Pepper zu ihnen kam. Doch dann wurden sie neugierig. Und als der 1,20 Meter große Roboter, der hören, sehen, sprechen und Emotionen erkennen kann, beim Altersraten manchmal um Jahrzehnte daneben lag, war das Eis gebrochen. Seitdem hat man gemeinsam Spaß, wenn Pepper tanzt, Tai-Chi-Bewegungen vorführt oder sich in der Pantomime versucht. Künftig soll der Roboter auch Gedächtnis-Spiele anbieten und zu körperlichen Übungen motivieren. Die Uni Siegen, die FH Kiel und eine Tokioter Uni arbeiten an Peppers Optimierung.
Voice-Mail spart Zeit
Erste Anlaufstelle ist zunehmend das Internet
Die Digitalisierung verändert den Markt auch für soziale Dienstleistungen. Erste Anlaufstelle ist immer häufiger das Internet. Das Unternehmen care.com hat mehr als 26 Millionen Mitglieder in 20 Ländern, sein deutscher Ableger betreut.de führt zu Angeboten für Senioren- und Kinderbetreuung, Gartenpflege und Haustierservice – Bewertung inklusive. Hier müssen sich die traditionellen Anbieter anstrengen, um mitzuhalten.
Ein Problem bei der häuslichen Pflege ist der hohe Aufwand für die Dokumentation im Pflegetagebuch. Dadurch geht wertvolle Zeit für die persönliche Betreuung der Patienten verloren. Hat denn nicht jedes Smartphone ein eingebautes Mikro und eine Aufnahme-App?, hat sich der Caritasverband Witten gefragt. Und: Könnte man das nicht für die Dokumentation nutzen? Tut man nun: Die Pflegekraft diktiert, schickt die Sprachdatei per Mail, eine Bürokraft bringt die Berichte, um die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten, in schriftliche Form. Noch ist das System im Aufbau, ab März 2019 soll es die Regel werden – und die gesparte Zeit den Betreuten zugute kommen.
Die Ängste
Viele Menschen befürchten allerdings, dass künftig die Technik als Ersatz für menschliche Zuwendung dienen soll – gerade angesichts des Pflegenotstands. Das ist auch für Jüngere eine Schreckensvision. Demente Menschen könnten in Panik geraten, wenn ein fremdes Wesen sie anspricht. Dazu kommen die Angst vor Überwachung und die Sorge um die Sicherheit der Daten.
Der Experte
Dr. Christian Stoffers beschäftigt sich seit 20 Jahren mit der Digitalisierung, ist Dozent im Fach medizinische Informatik an der Uni Siegen und zuständig für die Unternehmenskommunikation am St.-Marien-Krankenhaus Siegen. Er betont: „Ein Roboter im Pflegeheim wird genauso wenig die Pflegekraft überflüssig machen wie ein Robotic-System den Arzt im OP. Die Technik dient immer nur als Assistenz. Herr des Verfahrens bleibt der Mensch aus Fleisch und Blut.
Niemand möchte nur mit Maschinen zu tun haben.“ Stoffers sieht die Akzeptanz generationenbedingt wachsen und die Sicherheit der Systeme, also auch den Datenschutz, als zwingende Voraussetzung. „Wir sehen Anfänge“, sagt er. Die Caritas mit ihren dezentralen Strukturen gebe den Einrichtungen die Chance zu experimentieren. Es sei wichtig, Trends zu setzen, um den Wettbewerbern zu enteilen. Den Wandel durch die Digitalisierung aber könne das gesamte Gesundheitssystem nicht aussitzen.
Pepper unterhält Senioren in Netphen