Hagen. . Das Theater Hagen zeigt Tschaikowskis Oper „Eugen Onegin“ auf leerer Bühne. Die Sänger kämpfen im Schwarzraum ums Überleben.
Das Leben ist ein schwarzes Loch, in dem die Einsamen ihr Glück verpassen. So geht es Eugen Onegin, dem Helden aus Puschkins russischem Nationalepos, den Peter Tschaikowski mit seiner gleichnamigen Oper unsterblich gemacht hat. Am Theater Hagen zeigt sich jetzt allerdings, dass eine Schwarzraumlösung zur Illustrierung von seelischen Abgründen viele Probleme mit sich bringt. Dieser „Onegin“ hätte von der Direktion niemals freigegeben werden dürfen. Und auch Kapellmeister Mihhail Gerts hätte für seine Sänger kämpfen müssen.
Denn die Inszenierung von Regisseur Holger Potocki und Bühnenbildnerin Tanja Hofmann lässt die Protagonisten stimmlich im Abgrund des nackten, leeren Bühnenraumes regelrecht abschmieren. Auch die Wuppertaler Bühnen hatten jüngst einen „Eugen Onegin“ auf dem Spielplan. Mit Bedacht wurde dort ein an drei Seiten geschlossener Raumkasten gebaut, der den Klang direkt nach vorne in den Saal leitet. Und dabei haben die Wuppertaler erprobte Sänger verpflichtet. In Hagen stehen hingegen hoch talentierte Berufsanfänger auf der Bühne, die keine Chance haben, gegen das gigantische schwarze Loch anzusingen. Nicht mal Schalldeckel wurden installiert.
Keine Übertitel
Holger Potocki weiß das, nicht umsonst lässt er sein Personal so oft wie möglich direkt am Proszenium agieren, wo die Seitenwände ein bisschen Schall reflektieren. Aber sobald die Solisten zwei, drei Schritte zurückgehen müssen, sind sie in großen Teilen des akustisch schwierigen Hauses kaum mehr zu hören – sie werden dem Regiekonzept geopfert. Erschwerend kommt hinzu, dass das Publikum unter diesen Bedingungen den Text absolut nicht versteht, man auf Übertitel jedoch verzichtet.
Den „Eugen Onegin“ hat Tschaikowski mit Herzblut komponiert, er gehört zu den schönsten Partituren der Musikgeschichte. Doch die ersten beiden Akte sind sensibel in der Handhabung, hier spielen sich die Dramen rein innerlich ab, es gibt fast keine Aktion. Wenn man dann den Text nicht versteht und die Sänger nicht rüberkommen, kann diese Stunde lang werden.
„Eugen Onegin“ ist für Sänger ohnehin gefährlich, weil der Anspruch ein dezidiert lyrischer ist, man muss als Solist seine Partie so luzide wie bei Mozart denken und trotzdem ein großes, lautes Orchester überstrahlen.
Dabei ist diese Oper wie geschaffen für das junge Hagener Ensemble. Tenor Kejia Xiong hat die Höhe und er hat den schönen lyrischen Schmelz, was ihm altersbedingt noch fehlt, ist das Volumen, das wird kommen. Kenneth Mattice ist eine große Bariton-Hoffnung, und er kann den Onegin in all seiner Widersprüchlichkeit offenbaren: äußerlich als arroganten Egomanen, der Tatjana das Herz mal eben im Vorbeigehen bricht, und der aus Langeweile seinen besten Freund derart demütigt, dass dieser ihn zum Duell fordert.
Anrührende Briefszene
Wenn Onegin allerdings den Mund öffnet, weiß man, warum sich Tatjana in ihn verliebt, denn stimmlich kann Mattice von Wärme bis Verzweiflung viele Töne anschlagen. Der rotgoldene dunkle Grundton der Partitur unterstützt ebenfalls den Sopran von Veronika Haller als Tatjana, der mit geradezu opakem Leuchten bezaubert. In der Briefszene macht Haller anrührend deutlich, wie rückhaltlos sich diese weltfremde junge Frau ihrer ersten Liebe hingibt. Der Chor muss meistens in sogenannten „Freeze“-Positionen, also wie eingefroren, ausharren und grundiert mit seinen Sätzen die sehnsüchtige Melancholie des Stücks.
„Eugen Onegin“ ist eine Orchesteroper, und der junge estnische Dirigent Mihhail Gerts hat einen spannenden Zugriff darauf. Unter seinem Dirigat glänzen die Hagener Philharmoniker wie selten, und der Notentext fügt sich zu einem dicht gewebten, raffinierten und wunderbar durchhörbaren Seelengemälde, das Naturlaute wie Vogelrufe und Volkston mit weit schwingenden romantischen Bögen integriert.
Die Sänger sind der Schatz jedes Opernhauses, nicht die Regisseure. Hagen kann seinen Solisten praktisch nichts bezahlen, bietet ihnen aber ein Sprungbrett. An diesem Haus war es immer Sitte, junge Talente sorgsam zu fördern, gerade auch mit stimmfreundlichen Bühnenraumlösungen. Das gilt schon seit Jahren nicht mehr; beim „Eugen Onegin“ treibt diese Haltung nun eine erwartbar erfolgreiche Produktion an den Rand der Professionalität.