Hagen. . Die Pianistin Huijing Han und der Tenor Kejia Xiong haben ihren Traum verwirklicht: Musikerkarrieren in jener Stadt, in der einst Fritz Wunderlich sang.
Diese Liebesgeschichte führt einmal quer über den Erdball. Das Happy End spielt in Hagen, jener Stadt, in der der Jahrhundertsänger Fritz Wunderlich einst auf der Bühne stand. „Wunderlich ist der größte chinesische Tenor“, unterstreicht Kejia Xiong mit Leidenschaft und muss lachen, als er seinen Versprecher bemerkt. Der kommt so: Als Junge hört Kejia im fernen Peking eine Platte mit der Stimme, die zu seinem großen deutschen Vorbild wird. Und kennt fortan sein Lebensziel. Tenor werden. Den Tamino in Mozarts „Zauberflöte“ singen. Heute ist Herr Xiong Solist. Am Theater Hagen.
Doch der chinesische Sänger findet im entfernten Deutschland nicht nur den Traumberuf, sondern auch seine Traumfrau. „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“, die berühmte Arie aus der „Zauberflöte“ wird Wirklichkeit. Die Pianistin Huijing Han lernt er beim Studium in Berlin kennen.
Mit dreieinhalb Jahren sitzt Huijing in Shanghai erstmals am Klavier. Eine Großtante ist Musikprofessorin, sie soll testen, ob das Kind Talent hat. „Klavier war Anfang der 80er Jahre eine teure Sache für chinesische Familien“, erläutert Huijing Han. Ja, die Kleine hat Talent, sie wird sofort auf der Musikgrundschule des Konservatoriums angenommen. Nach dem Abitur, da ist sie 17, fliegt sie nach Berlin, um weiter zu studieren.
Noch vor dem Konzertexamen erhält Huijing Han schon einen Lehrauftrag an der Hanns-Eisler-Musikhochschule. Und dort verlieben sich die beiden Hochbegabten ineinander. „Dein ist mein ganzes Herz“, den Hit aus „Land des Lächelns“, stimmt Kejia seither nicht nur aus Berufsgründen an.
Als der Tenor sein erstes festes Engagement am Theater Hagen erhält, packt die junge Familie mit dem dreijährigen Sohn die Koffer. Die neuen Nachbarn sind fassungslos. „Von Berlin nach Hagen? Seid Ihr denn bekloppt!“, muss der Sänger hören. Aber entgegen aller Unkenrufe fühlt sich das Paar ausgesprochen wohl. „Ich finde Hagen interessanter als Riesenstädte wie Shanghai oder Berlin. Ich finde Hagen schön“, betont Huijing. Von hier aus pendelt sie nach Berlin zur Arbeit.
Hilfsbereite Kollegen
„Ein so angenehmes Haus habe ich noch nie erlebt wie das Theater Hagen“, ergänzt Kejia. „Die Atmosphäre ist so gut und die Kollegen sind alle so lieb und hilfsbereit. Das ist der wichtigste Grund, warum wir beide hier bleiben möchten.“
Natürlich hilft der Erfolg beim heimisch werden. Kejia Xiong lässt als Tenor Publikum und Fachwelt aufhorchen. Derzeit ist er in Beethovens „Fidelio“ zu hören. In der nächsten Spielzeit kommen „Eugen Onegin“ und endlich „Land des Lächelns“. „Solche Chancen hat ein junger Tenor selten.“ Meisterpianistin Huijing Han hat eine begeisterte Fangemeinde erobert mit ihren Klavierkonzerten, die sie in Kooperation mit der Musikschule gibt. „Als Pädagogin ist es für mich wichtig, auch selbst auf der Bühne zu stehen.“
Das Interesse an europäischer Musik ist heute riesig in China, Millionen nehmen Klavierunterricht. In der Jugend von Kejia und Huijing war das nicht selbstverständlich. Wäre Kejia nicht für den Kinderchor seiner Schule ausgewählt worden, wo man seine Stimme entdeckte, wer weiß, ob er „Dein ist mein ganzes Herz“ oder „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ je kennengelernt hätte. Denn angehende Tenöre haben es noch schwerer als angehende Pianisten. „Fürs Singen fehlt den Chinesen ein Lang Lang“, resümiert Kejia. Mit dem Klavierstar sind die Xiongs übrigens befreundet. Kejia: „Die klassische Musikwelt ist bei uns sehr klein, man kennt sich und weiß, wer im Ausland arbeitet.“
„Zauberflöte“ als Sprungbrett
In Deutschland ist alles anders. „Die Sprache ist die erste Hürde“, sagt Huijing Han. „Aber das war ja der Grund, warum ich unbedingt in Deutschland studieren wollte, um die Sprache und die abendländische Kultur näher kennenzulernen.“ Deutsch lerne man mit der Zeit sowieso, ergänzt ihr Mann. „Aber wie man sich mit den Leuten durch die Augen unterhalten muss, das ist ganz anders. Auch der Humor ist völlig unterschiedlich.“ Die Familien in Peking und Shanghai waren nicht wenig überrascht, dass ihre Kinder in der Fremde heiraten und ein Enkelchen in Deutschland aufwachsen wird. Sie kommen, sooft es möglich ist, zu Besuch.
Im Herbst wird es für den Tenor spannend. Denn dann singt Kejia Xiong im Theater Hagen den Tamino in der „Zauberflöte“. So wie sein Vorbild Fritz Wunderlich selbst im Jahr 1963. Und wer sich in der Musikwelt auskennt, weiß, dass eine Hagener „Zauberflöte“ schon oft das Sprungbrett zu einer magischen Karriere war.