Essen. Immer häufiger melden sich Berufstätige wegen psychischer Beschwerden krank. Laut neuem DAK-Report sind zwei Gruppen stark belastet.
Ängste, Depressionen und Burnout: Immer mehr Berufstätige leiden unter psychischen Erkrankungen. Laut aktuellem „Psychreport 2024“ der DAK-Gesundheit, der dieser Redaktion vorab vorlag, hat die Zahl der Fehltage wegen seelischer Beschwerden im Zehnjahresvergleich einen neuen Negativrekord erreicht.
Rein rechnerisch fehlte jeder Versicherte im vergangenen Jahr 3,2 Tage wegen einer psychischen Erkrankung. Um die Entwicklung vergleichbarer zu machen, schaut die DAK auf Fehltage je 100 Versicherte: Im Vergleich zum Vorjahr ist diese Zahl von 301 auf 323 und damit um sieben Prozent gestiegen. Im Zehnjahresvergleich liegt das Plus sogar bei 52 Prozent (2013: 213). Die Anzahl der einzelnen Krankschreibungen (AU) ist allein im vergangenen Jahr um 21 Prozent gestiegen. Der Report bezieht sich auf Daten von bundesweit rund 2,4 Millionen erwerbstätigen DAK-Versicherten - zusammen kamen sie auf knapp 7,8 Millionen Kranktage wegen psychischer Erkrankungen.
DAK-Psychreport: Mit Abstand am stärksten betroffen sind Erzieher und Altenpfleger
Mit Abstand am häufigsten betroffen sind Beschäftigte in Kitas und in der Altenpflege. Rein rechnerisch fehlte jeder Beschäftigte in diesen Berufsgruppen im vergangenen Jahr 5,3 Tage wegen einer psychischen Belastung. Das sind 65 Prozent mehr als der Durchschnitt aller Berufsgruppen. Erzieherinnen waren mit 543 Fehltagen je 100 Versicherte noch etwas stärker belastet als Beschäftige in der Altenpflege (531) – gefolgt von medizinischen Gesundheitsberufe (404) und Verkaufsberufen (390).
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DAK-Vorstandschef Andreas Storm nennt die Entwicklung besorgniserregend. „Diese Berufsgruppen kümmern sich unter Druck durch Personalmangel um das Wohlbefinden anderer Menschen und sind dabei selbst hochgradig psychisch gefährdet“, so der Krankenkassenchef. „Wir müssen den Betroffenen Unterstützung und Hilfsangebote bieten, damit aus der enormen Belastung nicht noch mehr Krankheitsfälle resultieren.“
Verdi NRW: Kita-System wurde über Jahre auf Verschleiß gefahren
Für Verdi NRW ist der Krankenstand in den Kitas Ausdruck eines Systems, das „über Jahre auf Verschleiß gefahren worden ist“. Erzieherinnen litten darunter, dass ihre qualitativen Ansprüche an ihre Arbeit und die Wirklichkeit angesichts des Fachkräftemangels stark auseinanderklafften, sagt Gewerkschaftssekretär Tjark Sauer dieser Redaktion. „Wir ernten überall nur Schulterzucken bei der Frage, was nun getan werden kann. Jeder zeigt auf den anderen.“
Die Folgen des hohen Krankenstands spüren Eltern enorm: 2023 hat jede vierte Kita in NRW ihr Angebot eingeschränkt, weil Arbeitskräfte zeitweise fehlten. Arbeitgeber betrachten das mit Sorge, sagt Stephan Jentgens, Kita-Fachmann innerhalb der Freien Wohlfahrt NRW: „Es werden überall händeringend Leute gesucht. Für Arbeitgeber ist es deshalb noch wichtiger, die Gesundheit der Mitarbeitenden zu stärken und ihre Verweildauer bei uns zu erhöhen.“ Seine Erfahrung: Ein gutes Team kann viel auffangen, „gerade in diesen schwierigen Zeiten“.
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Laut DAK-Bericht sind psychische Erkrankungen nach Atemwegs- und Muskel-Skelett-Erkrankungen über alle Berufsgruppen hinweg 2023 der dritthäufigste Grund für eine Krankschreibung gewesen. Depressionen waren für jeden dritten Fehltag verantwortlich, Ängste und Anpassungsstörungen verursachten die meisten Fälle. Die DAK-Analyse zeigt, dass seelische Erkrankungen bei Frauen immer noch häufiger diagnostiziert werden als bei Männern. Und besonders unter jüngeren Berufstätigen zwischen 20 und 29 Jahre sind diese Belastungen ein wachsendes Thema.
Gesundheitsmanager Volker Nürnberg sieht einen Zusammenhang zwischen Personalmangel und Krankenstand. „Dieser Teufelskreis bekommt durch gravierende Veränderungen in der Arbeitswelt eine zusätzliche Dynamik“, so der Fachmann. Meist entstünden psychische Erkrankungen aber unter Wechselwirkung privater und beruflicher Faktoren.
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