Moers. Arbeit, Schule, Freunde, Eis, Einkaufen: Familie Kindermann fährt Fahrrad. Fast nur. Aber der Trip auf zwei Rädern wird immer gefährlicher.
Auf den Straßen wird es immer ruppiger. Wir haben mit Radfahrern, Fußgängern, Autofahrern gesprochen. Hier die Protokolle der Radfahrer.
Marc (52): „Wir sehen eine wachsende Intoleranz. Radfahrer werden nicht als gleichwertige Verkehrsteilnehmer angesehen. Autofahrer ziehen rücksichtslos aus einer Garage heraus oder starten vom Fahrbahnrand. Wenn man sie anspricht, werden sie pampig: ,Ist doch nichts passiert.’ Und dann die Gefährdung durch die Elterntaxis. Ich bin Lehrer, ich werde jeden zweiten Morgen fast umgefahren. Ein Chaos, das kann man sich nicht vorstellen. Viele sehen mich nicht, sie haben Hektik, Stress, sind in Eile. Ein Kollege ist neulich umgefahren worden. Offener Armbruch, drei Monate Ausfall.“
Monique (53): „Wenn wir von uns in die Stadt (Moers) fahren, ist da eine große Kreuzung. Die Ampelschaltung ist für Fußgänger und Radfahrer vielleicht 15 Sekunden, für Autos bestimmt zwei bis drei Minuten. Ich habe die Stadt Moers angeschrieben, warum das so kurz ist. Die Stadt hat geschrieben: ,Das ist eine Landstraße außerhalb unserer Zuständigkeit.’ Das führt dazu, dass viele Fahrradfahrer bei rot fahren. In einem Baugebiet haben sie den Radweg für Baufahrzeuge gesperrt. Auf die Idee kämen sie nie, eine Autostraße dafür zu sperren.“
„Sie kommen aus dem Haus und schauen nicht nach links und rechts“
Marten (17): „An unserer Schule wird das Fahrradfahren mit steigendem Alter mehr, auch bei schlechtem Wetter. Das hat damit zu tun, dass man flexibler ist. Der Bus fährt nicht alle fünf Minuten. Wenn man mal eine Stunde frei hat, ist man schnell zuhause oder bei Edeka.“
Magnus (13): „Bei uns fahren sehr viele Bus. Aber die Stadt und die (Busgesellschaft) Niag haben ein Programm, eine Aktion namens ,Fahrrad statt Bus.’ Wenn man Fahrrad fährt, kriegt man trotzdem das Geld für das Schokoticket. Das sind fast 200 Euro im Jahr.“
Marc: „Viele Fußgänger sind auch gedankenlos. Sie kommen aus dem Haus und schauen nicht nach links oder rechts, wenn sie über den Radweg gehen. Oder aus dem Bus aussteigen. Man entwickelt einen Blick dafür. Genauso Fußgänger, die auf dem Radweg gehen. Sie beschweren sich, wenn man dicht vorbeifährt, sie beschweren sich, wenn man sie anklingelt. Es gibt aber auch Leute, die nehmen ihren Hund zur Seite. Dann bedanke ich mich.“
„Neulich ist ein Autofahrer ausgestiegen und hat uns Schläge angedroht“
Marc: „Ich fahre schon sehr lange Fahrrad. Es ist nicht besser geworden, die Aggressivität ist größer geworden. Neulich ist ein Autofahrer ausgestiegen, der war vielleicht 70 und hat uns Schläge angedroht, weil wir nebeneinander gefahren sind. Die Hemmschwelle ist stark gesunken.“
Marc: „Es gibt aber auch lustige Sachen. Ich fahre mit Speed in den Kreisverkehr, ein Auto überholt mich, ich muss stark bremsen. Später haben wir uns am Supermarkt getroffen. Ich habe dem Fahrer gesagt: Das war wohl nicht so doll. Daraufhin der: Radfahrer müssen auch nicht so schnell durch einen Kreisverkehr fahren.“
Monique: „Ich begegne einem Mann mit Wohnanhänger. Er hat die Länge falsch eingeschätzt, hat mir die Vorfahrt genommen. Er hat angehalten und ich habe ihn angesprochen. Daraufhin sagt er: ,Sie machen das öfter, oder?’ Ja, zwei- oder drei Mal in der Woche. Ich erhoffe mir mehr Verständnis.“
„Es gibt Radwege in Duisburg, die enden an hohen Bordsteinen“
Marc: „Bessere verkehrsplanerische Maßnahmen würden helfen. Gleichwertige Grünphasen wie für Autos. Pop-up-Radwege sind eine wunderbare Idee, aber sie werden von Autofahrern als Verbreiterung der Fahrbahn angesehen. Mehr Radwege. Es gibt Radwege in Duisburg, die enden an hohen Bordsteinen. Man müsste das Autofahren unattraktiver machen, weniger Parkplätze, mehr verkehrsberuhigte Zonen.“
Monique: „Ich glaube, es wäre gut, wenn jeder Verkehrsteilnehmer seine Rolle tauschen würde, um zu sehen: Wie würde ich mich in der anderen Rolle verhalten? Ich würde niemals ein Kind auf einem Fahrrad mit hoher Geschwindigkeit überholen, weil ich weiß, dass es plötzlich nach links oder rechts ausscheren kann. Wenn wir dahin kommen, dass jeder sich in den anderen reinversetzen kann, dann bekommen wir auch ein besseres Miteinander wieder hin.“