Essen. Günther Grotkamp hat wie kein Zweiter in NRW Mediengeschichte geschrieben. Jetzt ist der WAZ-Patriarch im Alter von 96 Jahren gestorben.

Als Günther Grotkamp 1960 zur Westdeutschen Allgemeinen Zeitung kam, war die WAZ ein großer, bereits sehr erfolgreicher Zeitungsverlag, der sich auf sein Gründungsprodukt konzentrierte. Als er im Jahr 2000 als Geschäftsführer ausschied, war aus dem Essener Familienunternehmen ein prosperierender Medienkonzern geworden, der sich mit seinen Tageszeitungen, Anzeigenblättern, Zeitschriften, Radiosendern und internationalen Beteiligungen zu den Großen im Land zählen durfte. Ein atemberaubender Aufstieg, den Günther Grotkamp 40 Jahre lang entscheidend prägte und immer wieder vorantrieb. Am Samstag, 13. Mai, ist der legendäre Medienmanager nach langer Krankheit im Alter von 96 Jahren verstorben – zufällig an jenem Tag, als „seine“ WAZ im großen Rahmen 75. Geburtstag feierte.

Jakob Funke, neben Erich Brost Gründungsherausgeber der WAZ, hatte den jungen Juristen Günther Grotkamp ins Unternehmen geholt und mag in ihm früh einen Geistesverwandten gesehen haben. Beide verband eine konservative Grundhaltung, beide dürfen als typische Ruhrmenschen der damaligen Zeit gelten: pragmatisch, zielstrebig, schnörkellos und, wenn nötig, auch mal hart gegen sich und andere.

Ein Mann mit mitreißender Dynamik

Wie Funke wurde Günther Grotkamp in Essen geboren, mit Ruhrwasser getauft, wie man früher sagte. Seine Eltern waren im Stadtteil Werden tief verwurzelt, führten dort ein Obst- und Gemüsegeschäft und gaben ihren fünf Kindern Ehrgeiz und Aufstiegswillen mit auf den Weg. Den Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg, der auch vom Jahrgang 1927 noch viele junge Männer verschlang, überstand Grotkamp ohne äußere Blessuren. Nach Rückkehr aus der Gefangenschaft studierte er in Freiburg Jura und Betriebswirtschaft, 1950 begann er dann bei der Ruhrgas AG im heimatlichen Essen sein Berufsleben, das ihn schließlich ein Jahrzehnt später zu seiner eigentlichen Berufung führte: dem Verlagswesen.

Auch wer Günther Grotkamp nur flüchtig begegnete, dem teilte sich eines rasch mit: seine mitreißende Dynamik, die ihm bis ins hohe Alter eigen war. Grotkamp wurde zum wichtigsten Vertrauten und engstem Mitarbeiter von Jakob Funke, 1970 machte der WAZ-Gründer ihn dann zum Bevollmächtigten. „Das ist der richtige Mann für uns“ – so erinnerte sich Petra Grotkamp, geborene Funke, einmal in einem Interview an die damaligen Worte ihres Vaters, und viel später, im Jahr 1986, wurde Günther Grotkamp dann auch ihr zweiter Ehemann.

Bodenhaftung, Sparsamkeit und Solidität als Grundtugenden

Schon bald nach seinem Eintritt bei der WAZ begann Günther Grotkamp Zug um Zug jene Wachstumsstrategie zu entwickeln, die dem Unternehmen später viel Anerkennung und Respekt, aber natürlich auch Neid und Kritik bescherte. Denn als in den frühen 1970er-Jahren selbst größere Regionalzeitungen in existenzielle Krisen gerieten, war die finanziell grundsolide WAZ zur Stelle. Das WAZ-Modell wurde aus der Taufe gehoben, und Grotkamp war sein Architekt.

Binnen weniger Jahre wurden die Mehrheitsanteile an der Westfälischen Rundschau, der Neuen Ruhr/Rhein-Zeitung und der Westfalenpost erworben. Um diesen Coup gegenüber Politik, Kartellbehörden und der zusehends kritischeren Öffentlichkeit durchzusetzen, musste eine Abkehr von früheren Übernahmeverfahren her, die von den übernommenen Zeitungen allenfalls den Untertitel im Kopf übrig gelassen hatten.

Das WAZ-Modell ist Grotkamps Meisterstück

Günther Grotkamp hatte die tragfähige Lösung und setzte sie um: Den aufgekauften Zeitungen beließ er ihren eigenen Charakter und den jeweiligen Redaktionen die volle publizistische Unabhängigkeit. Die erforderlichen Synergien hob er da, wo es politisch unbedenklich war: im Kaufmännischen, bei Druck und Vertrieb und im Anzeigengeschäft. Aus den vier Zeitungen, die teils überlappende, öfter aber sich ergänzende Erscheinungsgebiete hatten und bis heute haben, wurde ein großer, profitabler Wirtschaftsraum vom nördlichen Niederrhein bis ins tiefe Siegerland.

Das WAZ-Modell ist ohne Zweifel Grotkamps vielfach kopiertes Meisterstück, das jahrzehntelang gut funktionierte. Die Zeitungsgruppe WAZ wurde so eine publizistische und ökonomische Macht in Nordrhein-Westfalen, was allerdings auch Gegner auf den Plan rief, zumal die Westdeutsche Allgemeine ihr Erscheinen in Gebiete ausdehnte, die von Konkurrenz-Verlagen dominiert wurden. „Unsere Kriegskasse ist stets gut gefüllt“, ließ Grotkamp bei solchen Gelegenheiten selbstbewusst wissen.

Juristische Schlacht mit den Ruhrnachrichten

Vor allem mit den Dortmunder Ruhr-Nachrichten lieferte sich Grotkamp im Jahr 1976 eine juristische Schlacht, die bundesweit Beachtung fand. Auch nach Meinung neutraler Beobachter war es dem analytisch beschlagenen Medienmanager dabei gelungen, den in Dortmund erhobenen Vorwurf des Preisdumpings zu entkräften. „Die Erfolge der WAZ“, sagte Grotkamp einmal, „sind eine Folge der Fehler anderer Verleger.“ Diese hätten es an Geschäftstüchtigkeit und Mut zum Risiko mangeln lassen oder seien in lähmende Familienfehden verstrickt gewesen. Grotkamp hat sich immer als Retter der kleineren Zeitungen gesehen, nicht als Eindringling, schon gar nicht als „Krake“, als die die WAZ oft klischeehaft galt.

Mit Erich Schumann als Geschäftsführer der Brost-Seite bekam Günther Grotkamp 1978 einen Partner in der Leitung des Unternehmens, mit dem er bei aller persönlichen Verschiedenheit den Konsens suchen musste. Alle Entscheidungen in der Mediengruppe hatten einstimmig zu fallen, so sah es das streng paritätisch getrennte Eigentum der Anteile vor. Auch die WAZ blieb nun nicht von Familienfehden verschont, zumal sich die beiden Gründer und ihre Nachkommen schon länger entfremdet hatten.

Zwei Alphatiere als Doppelspitze

Doppelspitzen zweier Alphatiere funktionieren selten ohne Hakeleien, hier war das nicht anders. Doch die „köstlichen alten Knaben“, wie „Zeit“-Reporterin Nina Grunenberg die beiden WAZ-Männer wegen ihres beträchtlichen persönlichen Charmes einmal nannte, fanden meist zueinander – der gemeinsame Wille zum geschäftlichen Erfolg ließ keine andere Wahl. Aufsehenerregende Erwerbungen ergaben sich beispielsweise in Österreich mit der „Kronen-Zeitung“ und dem „Kurier“, nach der Wende 1989 dann auch im deutschen Osten, wo die WAZ in Thüringen Regionalzeitungen erwarb und nach Essener Muster eine erfolgreiche Mediengruppe bildete.

Trotz des immensen Wachstums erhielt sich das Unternehmen jene berühmte „gedeckte Kultur“, die in seiner Ruhrgebiets-DNA angelegt und von den Gründern vorgelebt worden war. Bodenhaftung, Sparsamkeit und Solidität sind dabei die Stichworte. Günther Grotkamp führte diese Kultur nach dem Tod von Jakob Funke 1975 als Geschäftsführer konsequent fort, und das galt nicht nur im persönlichen Auftreten, sondern auch im Geschäftlichen.

Abneigung gegen blutleere und kostspielige Wolkenkuckucksheime

„Man verliert beim Versuch, Visionen zu realisieren, zu viel Geld“, ist ein für Grotkamp typischer Satz, was mit Scheu vor Risiken oder Innovationen nichts zu tun hatte. Wohl aber hatte er stets eine Abneigung gegen blutleere und kostspielige Wolkenkuckucksheime, die gerade im Medienbereich nicht selten sind. Nach seinem Ausscheiden wurde diese Grundhaltung im Großen und Ganzen beibehalten, und das Unternehmen ist gut damit gefahren.

Das operative Geschäft ließ Grotkamp im Alter von 73 Jahren ruhen, er blieb aber als Ehemann der Miteigentümerin Petra Grotkamp und damit als Mitglied und Berater der Verlegerfamilie dem Unternehmen eng verbunden. Ohne Übertreibung kann man sagen: Erst seine Lebensleistung ermöglichte die Schritte, die in den folgenden zwei Jahrzehnten folgten, und die waren epochal und weitreichend, ja finanzielle Kraftakte.

„Ohne Günther Grotkamp würden wir hier nicht stehen“

Die Übernahme der Anteile der Familie Brost reduzierte Spannungen und vereinfachte Entscheidungswege, symbolisiert durch den neuen Namen: FUNKE-Mediengruppe; der Kauf von Zeitungen und Zeitschriften aus dem Hause Springer verbreiterte die Basis des Unternehmens noch einmal erheblich und ermöglichte zugleich journalistische Qualitätssprünge; und schließlich rundete die Konzentration der Anteile der Funke-Erben in einer Hand – nämlich bei Petra Grotkamp und ihren Kindern – den inneren Befriedungsprozess ab. Günther Grotkamp hat all dies, solange es seine Gesundheit erlaubte, im Hintergrund mitgestaltet.

„Ohne Günther Grotkamp würden wir hier nicht stehen“, sagte Funke-Aufsichtsratsvorsitzende Julia Becker am Abend der Firmen-Jubiläumsfeier im Essener Colosseum tief bewegt über ihren Stiefvater. Und auch dies ist keineswegs eine Übertreibung. Die FUNKE-Mediengruppe hat diesem Mann sehr viel zu verdanken.