Berlin. Untreue muss nicht Trennung bedeuten, wenn Paare es schaffen, offen zu kommunizieren. Einen Denkfehler sollten Betrogene dabei vermeiden.
Meine Frau und ich sind beschädigt. Jeder ein wenig anders, aber beschädigt, durch das Fremdgehen unserer Partner in unseren früheren Beziehungen. Wir fühlen uns als Opfer, fühlen uns traumatisiert. Jeder Seitensprung hat das Potenzial, als traumatisches Erlebnis wahrgenommen zu werden. Wenn alles, worauf wir 20 Jahre oder mehr vertraut haben, wie ein Kartenhaus zusammenbricht, fühlt es sich an, als ob einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Dabei ist es egal, ob wir als Mann oder als Frau betroffen sind: Ein Teil von uns geht verloren.
Fremdgehen: Männer und Frauen haben unterschiedliche Erklärungen
„Es ist nur eine sexuelle Affäre. Das hat doch nichts mit meiner Liebe zu meiner Partnerin oder meinem Partner zu tun“, argumentieren viele Männer. Von Frauen hören wir häufig, dass sie sich wieder wahrgenommen und begehrt fühlen wollten. Eines haben sie gemeinsam: Die Argumentation aus Tätersicht berücksichtigt selten bis nie die Opferperspektive.
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Wird die Außenbeziehung dadurch verharmlost? Verniedlicht? Bei der Erforschung der Ursachen nicht genug hinterfragt? Vieles davon habe ich erst verstanden, als ich selbst zum Opfer wurde. Auch Gespräche mit meiner jetzigen Frau und Kollegin zu ihren Erfahrungen hat mir gezeigt, welche Dimension Fremdgehen annehmen kann.
Wir haben dabei immer wieder in uns hineingespürt: Was hat die Erfahrung jeweils mit uns gemacht? Wirkt sie in unsere heutige Beziehung hinein? Haben wir unser Urvertrauen in der früheren Beziehung verloren, und ist Misstrauen nun unser ständiger Begleiter? Können wir uns je wieder auf jemanden einlassen? In Anlehnung an eine US-amerikanische Kollegin, Shirley P. Glass, haben wir gemeinsam daran gearbeitet, die Verarbeitung dieser schlimmen Erfahrungen für uns zu nutzen. Ihr Buch „Die Psychologie der Untreue“ ist für alle Betroffenen von Affären lesenswert.
An Untreue in der Beziehung ist niemand alleine Schuld
Für meine Frau und mich war es wichtig, mit den Reaktionen im Dramadreieck der Untreue umzugehen: unseren eigenen Reaktionen, jenen des untreuen Partners und denen der Außenbeziehung. Diese emotionale Achterbahn auszuhalten, zu sortieren und dabei den Glauben an uns selbst nicht zu verlieren, war schwierig.
Geholfen hat uns dabei auch die Erkenntnis, dass es immer auch einen eigenen Anteil an der Entstehung des Fremdgehens gibt. Immer sind beide Partner beteiligt. Nie hat nur ein Partner Schuld.
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Gisbert Straden & Andrea Katz
Genau wie seine Frau Andrea Katz ist Gisbert Straden ausgebildeter Paar- und Sexualtherapeut. Zuvor war er als Dozent für Wirtschaftspsychologie tätig. Gemeinsam mit seiner Frau, die hauptberuflich als Lehrerin arbeitet, betreibt er die Praxis „Von Paar zu Paar“ in Berlin. In ihrer Beziehungskolumne „Wie Katz und Straden“ beleuchten sie gemeinsam Beziehungsprobleme und suchen nach Lösungen – sowohl aus der Perspektive erfahrener Therapeuten als auch aus ganz persönlicher Sicht, mit eigenen Konflikten und Herausforderung in der Beziehung.
Als das Fremdgehen in unseren Beziehungen aufflog, hätte uns beiden die sofortige Offenlegung der Affäre mit allen Hintergründen geholfen: wenn unsere damaligen Partner jeden Kontakt mit der Geliebten oder dem Geliebten beendet hätten und vollständige Transparenz gezeigt hätten. Das heißt zum Beispiel, alle unvermeidbaren Begegnungen mit der Affäre mitzuteilen.
Die meisten Seitensprünge finden im beruflichen Umfeld statt, so auch bei uns. Uns beiden fehlen bis heute sowohl die Erklärung als auch die Entschuldigung des Ex-Partners und der Ex-Partnerin. Was waren die Gründe? Das Verstehen des Warums ist im Falle des Fremdgehens so wichtig.
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Die ganze Wahrheit zu erzählen, baut Vertrauen auf und löst die geheimen Bande zur Geliebten. Die Offenheit steigert das Vertrauen in die bestehende Beziehung – auch wenn es schmerzliche Momente sind. Hierbei geht es nicht um die Details jeder einzelnen Begegnung, auch wenn das ein häufiges Verlangen der betrogenen Partner ist.
Wir geben uns häufig der Illusion hin, dass es uns beim Verzeihen hilft, wenn wir jedes Date lückenlos rekonstruieren können. Ein Trugschluss. Denn eines gilt es zu berücksichtigen, auch wenn es weh tut: Der Partner, der fremdgegangen ist, hat ein Recht darauf, zu entscheiden, was er im Einzelnen erzählt. Er ist Täter und in den meisten Fällen Opfer zugleich.
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Für meine Frau und mich war es nach dieser Enttäuschung in unseren damaligen Beziehungen wichtig, Tag für Tag emotional zu überleben. Dabei geholfen haben uns Unterstützungsnetzwerke im Freundeskreis und professionelle Hilfe. In einer solch schwierigen Zeit gilt es, sich Zeit zu nehmen, um Entscheidungen zu treffen. Wir mussten nach der empfundenen Leere wieder lernen, erfüllende Aktivitäten aufzugreifen. Leben zuzulassen. Körperliche und geistige Gesundheit nicht zu vernachlässigen. Das ist gerade am Anfang unglaublich schwer.
Beziehung nach Untreue retten: Diese 10 Schritte empfiehlt der Therapeut
Wir haben unseren Partnern damals beide keine Chance mehr gegeben. Wäre eine gemeinsame Heilung möglich gewesen? Wir wissen es nicht. Doch mit unserem Wissen von heute würden wir einiges anders machen.
Die folgenden elf Schritte hätten uns vielleicht geholfen:
- offene Punkte im Zusammenhang mit der Affäre aufschreiben und klären
- ein endgültiger Abschied von der Affäre als Basis für eine Zukunft
- unbeantwortete Fragen beantworten
- eigene Mauern abbauen
- den entstandenen Schaden wiedergutmachen
- destruktives Verhalten in der Beziehung besprechen und daran arbeiten
- zerrissene Bande zu Freunden und Familie gemeinsam neu knüpfen
- Offenheit zählt: gemeinsam abstimmen, ob und was Kindern, Freunden und Verwandten gegenüber kommuniziert wird und wie das passieren soll
- Hilfe von außen suchen
- Rituale zur Vergebung und Versöhnung einführen
- ein Ritual zur Erneuerung des Bekenntnisses zur Partnerschaft durchführen
Nach Seitensprung: Diese Fragen stellen sich Paare
Letztlich geht es nach einem Seitensprung darum, wieder zu vertrauen. Doch die Entscheidung dazu ist nicht von Bedingungen abhängig. Sie ist ein aktiver Akt des betrogenen Partners: sich erneut verletzlich machen, vorbehaltlos die Zukunft ermöglichen und hoffen. Wann eine Beziehung nicht mehr zu retten ist, erklärt eine Paartherapeutin in diesem Artikel.
Vergeben heißt nicht vergessen. Erinnerung ist wichtig. Gleichzeitig bedeutet sich erinnern nicht, das Geschehene bei jedem Streit aufzuwärmen. Eine Herkulesaufgabe – aber notwendig. Meine Frau und ich werden öfter mit diesem Teil unserer Geschichte konfrontiert, wenn neue Paare zu uns in die Praxis kommen, die mit einem Seitensprung konfrontiert sind und die Sehnsucht nach dem Verstehen ausdrücken. Ihre häufigsten Fragen:
- Ist noch etwas zu retten?
- Will ich das?
- Kann ich das?
- Was bedeutet die Untreue meines Partners?
In unserer gemeinsamen Beziehung sind wir von dieser Erfahrung bisher verschont geblieben. Von einem Punkt sind wir aber überzeugt: Die gemeinsame Auseinandersetzung mit unserer jeweiligen Geschichte wird im Fall der Fälle dafür sorgen, dass wir eine echte Chance haben werden.
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