Berlin. Bei Stress oder Langeweile greifen viele zu Snacks. Ein Experte erklärt, warum das so ist und gibt Tipps, um Frustessen zu vermeiden.
Viele Menschen greifen nicht nur aus Hunger zu Snacks oder Süßigkeiten, sondern auch, um Stress, Langeweile oder andere Gefühle zu bewältigen. Dieses sogenannte „emotionale Essen“ ist ein weit verbreitetes Phänomen, das oft unbemerkt bleibt – bis es zum Problem wird. Aber was genau steckt dahinter? Warum wir in stressigen Momenten häufig mehr essen, und wie sich dieser Kreislauf durchbrechen lässt, erklärt Ernährungsexperte Dr. Matthias Riedl.
Was genau ist emotionales Essen?
Dr. Matthias Riedl: Emotionales Essen bedeutet, aus Gefühlen wie Stress, Langeweile oder Traurigkeit heraus zu essen – also nicht aufgrund von echtem Hunger, der durch den Energiebedarf des Körpers ausgelöst wird. Dieser emotionale Hunger kommt plötzlich, verlangt nach bestimmten Lebensmitteln, führt häufig zu Schuldgefühlen und wird nicht durch Sättigung gestillt.
Was löst dieses Essverhalten aus?
Riedl: Oft steckt dahinter der Versuch, unangenehme Gefühle zu unterdrücken. Besonders Stress spielt da eine große Rolle. Er löst hormonelle Veränderungen aus, zum Beispiel durch das Hormon Cortisol. Das regt den Appetit an und verstärkt das Verlangen nach schnellen Belohnungen – wie kalorienreichen und süßen Lebensmitteln.
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Welche Rolle spielen Gewohnheiten aus der Kindheit?
Riedl: Wenn Eltern mit Lebensmitteln belohnen oder trösten, kann das Kind lernen, Essen mit emotionaler Bewältigung zu verbinden. Diese Verbindung kann bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben.
Ernährungsexperte: Wie Frustessen die Gesundheit belastet
Sind bestimmte Personengruppen anfällig für emotionales Essen?
Riedl: Ja, vor allem Menschen, die bereits psychische Vorerkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen haben. Auch diejenigen, die unter chronischem Stress, geringem Selbstwertgefühl oder sozialer Isolation leiden, greifen eher zu Essen, um mit negativen Gefühlen umzugehen.
Welche gesundheitlichen Folgen kann dieses Essverhalten haben?
Riedl: Das kann zu erheblichen gesundheitlichen Problemen führen. Es kann Übergewicht und Fettleibigkeit auslösen, was wiederum das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und bestimmte Krebsarten erhöht. Auch die psychische Gesundheit kann darunter leiden, vor allem durch Schuldgefühle und Scham, was das Risiko für Essstörungen zusätzlich steigert.
Unser Experte
Dr. Matthias Riedl ist Ernährungsmediziner, Diabetologe und ärztlicher Direktor des Medicum Hamburg. Seit 2015 ist er Teil der von ihm konzipierten NDR-Sendung „Die Ernährungs-Docs“, in der Dr. Riedl zusammen mit anderen Medizinern Ernährungsstrategien für konkrete Patientenfälle entwickelt. Zu der Sendung wurden mehrere Begleitbücher veröffentlicht. Zudem betreibt Dr. Riedl seit 2022 in Zusammenarbeit mit der Funke Mediengruppe den Podcast „So geht gesunde Ernährung“.
Ab wann spricht man von einer Essstörung?
Riedl: Wenn das Essverhalten die körperliche und psychische Gesundheit stark beeinträchtigt und den Alltag negativ beeinflusst, steckt eine Essstörung dahinter. Emotionales Essen wird problematisch, wenn es zwanghaft wird und Essen regelmäßig als Hauptstrategie zur Bewältigung dient. Das kann manchmal zur Binge-Eating-Störung führen, also zu Essanfällen.
Dr. Riedl: Diese Strategien helfen gegen emotionales Essen
Welche Strategien helfen, emotionales Essen zu vermeiden oder zu kontrollieren?
Riedl: Achtsamkeit kann helfen, zwischen emotionalem und echtem Hunger zu unterscheiden. Es kann auch hilfreich sein, die Gefühle aufzuschreiben, die das Verlangen nach Essen auslösen. Bahnt sich emotionaler Hunger an, können Alternativen wie Spaziergänge, Meditation oder kreative Tätigkeiten davon ablenken. Und regelmäßige, strukturierte Mahlzeiten können auch helfen, emotionales Essen zu verhindern.
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Sind Diäten sinnvoll?
Riedl: Ganz im Gegenteil – Diäten können das Problem sogar verschlimmern. Sie führen oft zu einem starken Verlangen nach bestimmten Lebensmitteln, was dann in einem Kreislauf aus Diät, emotionalem Essen und Schuldgefühlen endet – und so das Essverhalten weiter destabilisiert. Ein ausgewogener Ansatz, der auf einem gesunden Umgang mit Lebensmitteln basiert, ist da besser.
Was kann man im Alltag tun, um Essen aus Stress oder Langeweile zu vermeiden?
Riedl: Zunächst einmal müssen emotionale Bedürfnisse erkannt werden, um Stress auf gesunde Wege bewältigen zu können. Dazu gehören genug Schlaf, regelmäßige Bewegung, soziale Kontakte und Hobbys. Eine psychotherapeutische Unterstützung kann helfen, die zugrundeliegenden Gefühle zu verstehen und gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
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Wie können Familienmitglieder oder Freunde Betroffene unterstützen, ohne zusätzlichen Druck auszuüben?
Riedl: Sie sollten Verständnis und Mitgefühl zeigen, ohne zu urteilen. Wichtig ist, zuzuhören, statt sofort Lösungen zu bieten. Sie können außerdem die betroffene Person ermutigen, sich professionelle Hilfe zu suchen oder gemeinsame Aktivitäten vorschlagen, die nichts mit Essen zu tun haben.