Berlin. Hinter nächtlichem Snacken steckt oft mehr, als die meisten vermuten. Zwei Expertinnen klären über die Krankheit auf und was dagegen hilft.

Am Abend Chips oder Schokolade auf der Couch zu naschen – das machen wir wohl alle gelegentlich. Steht man aber bewusst nachts auf, um an den Kühlschrank zu gehen, um sich etwas zu essen zu holen, kann das ein Hinweis auf eine Erkrankung sein. Die Rede ist vom sogenannten Night-Eating-Syndrom, das man auch unter dem Begriff Sleep-Eating-Syndrom kennt. Übergewicht, Müdigkeit und Reizbarkeit sind nur ein Teil der Folgen.

Ernährung Was genau ist das Night-Eating-Syndrom?

Wer davon betroffen ist, isst zu später Stunde exzessiv und nimmt rund ein Viertel der täglich empfohlenen Kalorienzahl zu sich. Das passiert manchmal auch ganz natürlich, beispielsweise bei Menschen, die im Schichtdienst arbeiten. Ein entscheidendes Merkmal dafür, dass ein Night-Eating-Syndrom vorliegt, ist, „dass immer eine psychische Komponente dabei ist“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Charlotte Bamberger, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Sabrina Maaßen, Diplom-Trophologin, im Adipositas-Zentrum in Passau arbeitet.

Wie genau wird das Night-Eating-Syndrom ausgelöst?

Das Night-Eating-Syndrom genau zu definieren, sei nicht so leicht, erklärt Bamberger, da es noch keine fundierte Studienlage zu der Erkrankung gebe. „Es gibt Studien, die besagen, dass das Appetithormon Ghrelin verstärkt ausgeschüttet wird“, so Bamberger. „Andere Studien zeigen, dass das Schlafhormon Melatonin gestört ausgeschüttet wird.“ Für manch andere sei es möglicherweise eine psychische oder hormonelle Erkrankung.

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Neben der bereits erwähnten psychischen Komponente spielten Stress und Schlafstörungen als Auslöser zusammen. Bewegungsmangel, zu wenig Abwechslung im Alltag, Alkoholkonsum und die Auswahl von Lebensmitteln mit einfachen Kohlenhydraten, die nicht lange satt machen, können die Erkrankung ebenfalls begünstigen.

Die Folgen: Übergewicht und psychische Probleme

„Bedingt durch den Schlafmangel leiden Betroffene im Alltag häufig unter mangelnder Konzentration und Heißhungerattacken. Man kann seine Arbeit nicht mehr so gut erledigen“ sagt Sabrina Maaßen. „Vieles dreht sich nur noch ums Essen.“ Diese „Fress-Attacken“ führen unter anderem Übergewicht begünstigen. Das wiederum könnte zu schwereren Erkrankungen führen. Ein Teufelskreis.

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Bamberger ergänzt, dass die Patienten zusätzlich gewisse Suchtmittel wie Nikotin, Alkohol oder Koffein in großen Mengen konsumieren würden. Und: „Man will sich für diese Verhaltensweisen bestrafen und sagt sich dann selbst: Dann esse ich tagsüber eben nichts mehr“, sagt Bamberger. „Man beschäftigt sich nur noch mit dem Thema Ernährung und Kontrolle und verliert den Bezug zur Realität“, sagt Maaßen.

Geschlechterspezifische Unterschiede gebe es dabei nicht wirklich, erklärt Maaßen, aber die Genetik solle wohl eine Rolle spielen. Wie viele Menschen an dem Syndrom leiden, lässt sich nur schwer sagen. Das Problem sei, erzählt Charlotte Bamberger, dass alles, was mit Ernährung zu tun habe, für Menschen schambehaftet sei. „Der Fall, dass ein Patient zu uns kommt und uns von solchen Symptomen erzählt, tendiert gegen null“, sagt Bamberger. Auf Nachfrage der beiden Fachkräfte erwähne im Schnitt vielleicht einer von zehn Patienten solche Essgewohnheiten.

Was kann man gegen das Night-Eating-Syndrom unternehmen?

Wer regelmäßig spät in der Nacht esse und sich damit unwohl zu fühlen, dem empfiehlt Bamberger zunächst dazu, ein Tagebuch über die Ess- und Schlafgewohnheiten zu führen. „Wann bin ich wach? Wie lang schlafe ich? Schaue ich vorher noch TV oder bin am Handy? Betätige ich mich körperlich und macht mich das ausreichend müde? Was kaufe ich ein? Wie oft gehe zum Kühlschrank? Habe ich Verstecke für meine Süßigkeiten? All das sind wichtige Fragen, die man sich für die Reflexion des eigenen Verhaltens stellen sollte.“

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Sollte man aber zu sehr unter dem Night-Eating-Syndrom leiden oder sich beeinträchtigt fühlen, raten Bamberger und Maaßen dazu, beim Hausarzt vorstellig zu werden. „Ein funktionierendes System zwischen Ärzten, Ernährungsberatern und Therapeuten ist wichtig. Der Hausarzt ist immer die erste Anlaufstelle. Viele Betroffene experimentieren selbst mit Schlaf- oder Aufputschmitteln. Das sollte man nicht machen“, sagt Bamberger.

Maaßen und Bamberger befürchten jedoch, dass das Night-Eating-Syndrom – genauso wie weitere Adipositas-Erkrankungen – in Zukunft gehäufter auftreten dürften. „Viele Menschen hängen nur noch am Handy, leiden unter Bewegungsmangel. Eine ausgewogene Ernährung spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle“, sagt Maaßen. „Die Patienten werden immer jünger, das Schamgefühl ist groß und deshalb suchen sich die meisten erst relativ spät Hilfe“, sagt Bamberger. Termine bei Fachärzten seien zudem ein Problem.