Berlin. Wer eine Gluten-Unverträglichkeit hat, muss streng Diät halten. Trotzdem haben viele Patienten Probleme. Eine neue Pille könnte helfen.

Das erste Medikament gegen Gluten-Unverträglichkeit (Zöliakie) könnte in etwa drei Jahren auf den Markt kommen und die Lebensqualität Betroffener stark verbessern. Voraussichtlich Anfang 2025 soll dazu eine große Studie mit zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern weltweit starten, erklärt Prof. Detlef Schuppan vom Institut für Translationale Immunologie der Universitätsmedizin Mainz und Professor for Medizin und Gastroenterologie an der Harvard Medical School in Boston.

Zöliakie ist eine der häufigsten entzündlichen Erkrankungen des Dünndarms. In Deutschland ist nahezu ein Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Die Autoimmunerkrankung wird durch den Verzehr des in Getreide wie Weizen, Roggen, Gerste und Dinkel enthaltenen Klebereiweißes (Gluten) verursacht.

Bei der Erkrankung können unterschiedliche Symptome auftreten. Es kann zu Durchfall oder Bauchschmerzen kommen, aber auch zu Hautveränderungen, Müdigkeit, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie zu Autoimmunerkrankungen wie Typ 1-Diabetes.

Gluten-Unverträglichkeit: Kann zu Unfruchtbarkeit führen

Hält die durch Gluten ausgelöste Entzündung länger an, kommt es zu einer Verkleinerung der Oberfläche der Darmschleimhaut. In der Folge können die Betroffenen weniger Nährstoffe aus der Nahrung aufnehmen. Unbehandelt kann Zöliakie zu Blutarmut, Knochenschwund, Wachstumsverzögerungen, Unfruchtbarkeit oder auch Dünndarmkrebs führen.

Die bisher einzige wirksame Therapieoption für Betroffene ist eine streng glutenfreie Diät. Diese wiederum führt zu starken Einschränkungen der Lebensqualität oder auch zu Problemen auf Reisen. Darüber hinaus kommt es häufig trotz Diät zu einer versehentlichen Aufnahme auch minimaler Mengen von Gluten und dadurch bei 30 bis 50 Prozent der Betroffen zu einer nicht vollständig abheilenden Darmschleimhaut. „Viele Zöliakie-Patienten haben einfach weiterhin mittelgradige Bauchbeschwerden“, sagt Schuppan.

Hier soll das Anti-Zöliakie-Mittel ZED 1227 helfen. Der Wirkstoff basiert auf früheren Erkenntnissen von Detlef Schuppan zu den krankheitsspezifischen Mechanismen bei Zöliakie. Diese stammen aus dem Jahr 1997.

Zöliakie: Wirkstoff hemmt körpereigenes Enzym

Die Wirksamkeit des Medikaments beruht auf seiner in mehreren Studien nachgewiesenen Fähigkeit, die durch Gluten ausgelöste Aktivität eines körpereigenen Enzyms in der Dünndarmschleimhaut zu hemmen und so die entzündliche Immunantwort zu verhindern. „Der Wirkstoff imprägniert praktisch für mehrere Stunden oder vielleicht sogar den ganzen Tag die Dünndarmschleimhaut“, erklärt Schuppan.

Für Betroffene würde dies zwar nicht bedeuten, dass sie sich wieder voll glutenhaltig ernähren könnten, „sie müssen weiter Diät halten“, so Schuppan, aber zumindest könnten sie mit ZED 1227 ihre Beschwerden in den Griff bekommen. Patienten könnten die Tabletten dazu dauerhaft oder auch zeitweise etwa auf Reisen einnehmen.

Im Rahmen ihrer aktuellsten Studie, veröffentlicht im Fachjournal „New England Journal of Medicine“, konnten die Wissenschaftler die Wirksamkeit des Medikaments an 160 Patienten, die freiwillig über sechs Wochen Gluten konsumiert hatte, belegen. In einer in Nature Immunology veröffentlichten Arbeit zeigten sie zudem, dass ZED1227 die Immunaktivierung im Dünndarm vollständig normalisiert. Schuppan: „Unsere Ergebnisse deuten ferner darauf hin, dass die Betroffenen von einer Bestimmung ihrer individuellen Zöliakie-assoziierten Erbanlage und einer darauf abgestimmten Therapie profitieren könnten.“