Berlin. Trotz Sport und Ernährungsumstellung purzeln die Pfunde nicht? Das hat oft einen bestimmten Grund. Ein Arzt erklärt, was er Betroffenen rät.
- Spätestens wenn sich die Kilos trotz Verzicht und Sport hartnäckig halten, wird Abnehmen für viele zur Qual
- Dabei hat der Mensch auf seinen Abnehmerfolg nur bedingt Einfluss, wie unser Experte erklärt
- Welche Krankheiten Schuld sein können und was er Betroffenen raten würde, damit die Kilos purzeln
Stellen Sie sich vor: Sie zählen akribisch jede Kalorien, schwitzen im Fitnessstudio und verzichten tapfer auf Ihre kulinarischen Lieblingssünden – doch die Waage scheint wie eingefroren. Während die meisten Menschen in einem solchen Moment den Fehler im eigenen Verhalten suchen würden, liegen die Ursachen in Wirklichkeit oft außerhalb unseres Einflussbereichs. Doch welche gesundheitlichen Faktoren können das Abnehmen erschweren? Und wie kann man trotzdem effektiv Gewicht verlieren?
In Deutschland sind etwa zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen übergewichtig. Heißt: Sie haben einen Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 25 Kilogramm pro Quadratmeter. Unter Adipositas, also starkem Übergewicht, das laut Weltgesundheitsorganisation WHO ab einem BMI von 30 Kilogramm pro Quadratmeter vorliegt, leidet hierzulande etwa ein Viertel der Erwachsenen.
Abnehmen: Deshalb fällt es vielen Übergewichtigen so schwer
Laut Jochen Seufert, Leiter der Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Freiburg, entscheidet vor allem die Genetik darüber, wer wie gut abnehmen kann. „Die Gene beeinflussen unter anderem den Hormonhaushalt. Der steuert zusammen mit dem Gehirn, wie effektiv der körpereigene Stoffwechsel die aufgenommenen Kalorien verwertet“, erklärt der Experte. Das sei auch der Grund, warum eine Person fünf Kilometer laufen müsse, um die gleiche Energiemenge zu verbrauchen wie eine andere Person, die nur 2,5 Kilometer läuft.
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In der Stoffwechselmedizin würden Übergewicht und Adipositas daher längst nicht mehr als rein kosmetisches Problem oder Folge mangelnder Willenskraft angesehen, sondern als echte chronische Erkrankungen, die ein Leben lang anhalten. Denn selbst wenn Betroffene erfolgreich abnehmen, bedeute dies nicht automatisch eine vollständige Heilung, so Seufert.
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Grund dafür ist laut dem Endokrinologen der sogenannte Jo-Jo-Effekt: „Unser Körper strebt immer ein individuelles Gewichtsniveau an, das im Gehirn, genauer gesagt im Hypothalamus, festgelegt ist“, erklärt der Experte. Wenn eine übergewichtige Person abnimmt, versuche das Gehirn deshalb mit aller Kraft, zum ursprünglichen Gewicht zurückzukehren. Dieses Phänomen würde auch erklären, warum eine langfristige Gewichtsreduktion für viele Betroffene so schwierig ist.
Wenn keine Diät anschlägt, könnten Krankheiten dahinterstecken
Doch können neben der Genetik auch Krankheiten die Ursache dafür sein, dass man trotz aller Bemühungen nicht abnimmt? „Ja“, sagt der Experte – allerdings spielten sie im Vergleich zur genetischen Veranlagung nur eine untergeordnete Rolle. So etwa die Schilddrüsenunterfunktion, an der laut Seufert in Deutschland etwa drei bis zehn Prozent der Bevölkerung leiden. Besonders betroffen seien Frauen und ältere Menschen.
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„Bei einer Schilddrüsenunterfunktion verlangsamt sich der Stoffwechsel, weil dem Körper zu wenig Schilddrüsenhormone zur Verfügung stehen“, so der Endokrinologe. Dies könne neben Symptomen wie Müdigkeit und Konzentrationsstörungen auch zu einer Gewichtszunahme führen. Auslöser der Unterfunktion sei hierzulande meist eine Autoimmunerkrankung, bei der das eigene Immunsystem die Zellen der Schilddrüse angreift.
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Behandeln lasse sich die Erkrankung mithilfe von Tabletten, die die Schilddrüsenunterfunktion vollständig ausgleichen. „Die schlechte Nachricht ist aber, dass von den Menschen mit Übergewicht nur ein bis zwei Prozent an dieser behandelbaren Unterfunktion der Schilddrüse leiden“, sagt Seufert. In den meisten Fällen sei es die Genetik, die das Abnehmen erschwere.
Das sollten Typ-2-Diabetiker mit Übergewicht wissen
Eine andere Stoffwechselerkrankung, die eine Gewichtsabnahme behindern kann, ist das Cushing-Syndrom, das laut Seufert jedoch noch deutlich seltener auftritt. Dabei wird der Körper durch eine übermäßige Menge des Stresshormons Cortisol belastet, was zu einer Gewichtszunahme vor allem im Bauch- und Gesichtsbereich führen kann.
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Auch Diabetes Typ 2 kann laut dem Endokrinologen ein Grund dafür sein, dass das Abnehmen nicht wie gewünscht funktioniert. Grund dafür sei die der Krankheit zugrunde liegende Insulinresistenz. „Insulin selbst ist ein sogenanntes mästendes Hormon. Das heißt, wenn viel Insulin im Körper zirkuliert, sorgt das dafür, dass mehr Energie in die Zellen aufgenommen wird“, erklärt Seufert. „Hinzu kommt, dass Insulin im Gehirn das Hungergefühl steigert und dafür sorgt, dass das Sättigungsgefühl später eintritt“, so der Experte weiter.
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Menschen mit Diabetes Typ 2, die an Übergewicht leiden, wird daher empfohlen, sich mit nicht mehr als drei gesunden Mahlzeiten am Tag satt zu essen und auf zwischenzeitliche Snacks zu verzichten. Denn bei längeren Pausen zwischen der Nahrungsaufnahme sinkt der Blutzuckerspiegel und es wird weniger Insulin produziert.
Ähnlich ist es beim PCO-Syndrom, einer Hormonstörung, an der fünf bis zehn Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter erkranken. „Auch hier liegt eine Insulinresistenz vor, die das Abnehmen erschwert“, sagt Seufert. „Außerdem produziert der Körper übermäßig viele männliche Geschlechtshormone“. Heilbar sei das Syndrom nicht, es könne aber medikamentös behandelt werden.
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Ein Faktor, der die Gewichtsabnahme behindern kann, den viele Menschen mit Übergewicht jedoch nicht auf dem Schirm haben, ist die Einnahme von Medikamenten. „Wenn Patienten zum Beispiel Antidepressiva oder Neuroleptika bekommen, führt das häufig dazu, dass sie zunächst einmal zunehmen und umgekehrt natürlich schlechter abnehmen“, erklärt der Experte. Auch eine zyklische Hormontherapie, also die Einnahme der Antibabypille, könne einen ähnlichen Effekt haben. „Das ist aber nicht bei jeder Frau so“, sagt Seufert. „Das hängt von der individuellen Konstitution, aber auch vom genetischen Hintergrund ab“.
Abnehmen klappt nicht: Diese Lösungen gibt es für Betroffene
Menschen mit Übergewicht, die durch Ernährungsumstellung und Sport abnehmen wollen, rät der Endokrinologe, vorher mögliche Erkrankungen abklären zu lassen. „So vermeide ich ein Stück weit, dass ich mich umsonst anstrenge und am Ende enttäuscht aufgebe“, sagt Seufert. Möglich sei das zum Beispiel in sogenannten Adipositas-Ambulanzen. Gleichzeitig betont er aber: In einem Großteil der Fälle stecke keine organische Krankheit hinter dem Übergewicht. „Zum Leidwesen der Betroffenen ist meist die Genetik schuld“, so der Experte.
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Die Tatsache, dass manche Menschen genetisch bedingt schlechter abnehmen, bedeutet laut Seufert jedoch nicht, dass sie grundsätzlich nichts gegen ihr Übergewicht tun können. Mit einem gesunden Lebensstil könne auch diese Hürde genommen werden. „Viele Betroffene betreuen wir auch professionell mit einer individuellen Ernährungs- und Bewegungstherapie“, erzählt er. „Unter Umständen kommt auch der Einsatz neuerer Medikamente zur Gewichtsabnahme oder – bei massivem Übergewicht – eine Operation infrage“, so der Experte weiter.
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Ein weiterer Tipp des Endokrinologen: Die Verwendung digitaler Gesundheitsanwendungen, die Menschen beim Abnehmen unterstützen sollen. So gibt es zum Beispiel Apps für das Smartphone, die dabei helfen, Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten zu protokollieren und anzupassen. „Einige davon bekommt man inzwischen sogar auf Rezept“, sagt Seufert.
Abhilfe für Menschen, die aufgrund ihrer genetischen Voraussetzungen nur schwer abnehmen können, soll außerdem das neue Disease-Management-Programm Adipositas schaffen, das laut Seufert in den nächsten Monaten in den Praxen eingeführt wird. „Dabei geht es darum, dass die behandelnden Hausärzte die Betroffenen in ein spezielles Programm überweisen, wo sie dann auf Kosten der Krankenkassen interdisziplinär betreut werden“, erklärt der Experte.
Dieser Artikel erschien zuerst im August 2024.