Berlin. Der „zweite Berliner Patient“ wurde 2009 positiv auf HIV getestet. Nun gilt er als geheilt – ein Hoffnungsschimmer für Infizierte?

Es ist der zweite Fall in Berlin – und erst der sechste weltweit: Ein als „zweiter Berliner Patient“ bezeichneter Mann gilt als von einer HIV-Infektion geheilt. Das berichteten der HIV-Forscher Christian Gaebler und der Oberarzt Olaf Penack von der Berliner Charité bei einer Gesprächsrunde mit Journalisten. Die mehr als fünfjährige virusfreie Beobachtungszeit deute darauf hin, dass das HI-Virus komplett aus dem Körper des Patienten entfernt werden konnte. „Wir sehen ihn deshalb als von seiner HIV-Infektion geheilt an“, sagte Penack, der vor einigen Jahren noch als Assistenzarzt an der Behandlung des ersten Berliner Patienten beteiligt war, der als . erster Mensch gilt, der je von HIV geheilt wurde. Doch der neue Fall sei besonders, er sei anders als die bisherigen.

Bei dem „zweiten Berliner Patient“ handelt es sich nach Angaben der Charité um einen männlichen Patienten, der 1964 geboren wurde. Der heute 60-Jährige wurde im Jahr 2009 positiv auf HIV getestet. Sechs Jahre später, also im Jahr 2015, wurde zusätzlich eine akute myeloische Leukämie festgestellt. Ein Team an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie der Charité übernahm die Behandlung der Leukämie. Das Risikoprofil des Patienten habe zusätzlich zur Chemotherapie auch eine Stammzelltransplantation notwendig gemacht, so die Charité.

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Von HIV-Infektion geheilt: Fall des „zweiten Berliner Patienten“ ist anders als die bisherigen

Stammzelltransplantationen gelten als Hochrisikobehandlungen und kommen in der Regel nur für jene Patienten infrage, die zusätzlich zur HIV-Infektion an bestimmten Formen von Blut- oder Lymphknotenkrebs erkranken. Es wird also eine allogene Stammzellentransplantation durchgeführt, erläutert Penack. Man nimmt also Stammzellen einer gesunden Person und überträgt diese auf den Patienten. Nach und nach ersetzt sich das Immunsystem, das Spenderimmunsystem übernimmt quasi die Kontrolle, so Penack.

Nach kurzer Zeit ist dann nur noch das Spenderimmunsystem nachweisbar. Neben dem Krebs lässt sich damit auch das HI-Virus bekämpfen. Bisher allerdings hatte man angenommen, dass dafür lediglich ein Stammzellspender mit ganz spezifischen genetischen Merkmalen gefunden werden muss: Ein Stammzellspender, dessen Zellen quasi immun gegen das Virus sind – also keine CCR5-Rezeptoren bilden, den HI-Viren benötigen, um an eine Zelle anzudocken, um sich dort zu vermehren. Nur rund ein Prozent der Bevölkerung besitzen solche Zellen.

Im Falle des „zweiten Berliner Patienten“ war das anders. „Weil es für die Stammzellspende leider keine geeignete HIV-immune Person gab, haben wir eine Spenderin ausfindig gemacht, die auf ihren Zellen neben der normalen Version des CCR5-Rezeptors zusätzlich auch die mutierte Version der Andockstelle trägt“, erklärte Penack. Dies sei etwa der Fall, wenn ein Mensch die Delta-32-Mutation nur von einem Elternteil vererbt bekomme. Das Vorhandensein beider Rezeptor-Versionen verleihe aber keine Immunität gegen das HI-Virus.

Geheilter HIV-Patient ist in guter gesundheitlicher Verfassung

Die Therapie verlief zwischen Oktober 2015 und September 2018. In dieser Zeit habe es keine Hinweise auf virale Aktivitäten gegeben, führte Gaebler aus. Dann habe der Patient aus eigenen Stücken entschieden, die Therapie zu beenden. Normalerweise, so Gaebler, vermehre sich das HI-Virus innerhalb zwei bis vier Wochen deutlich, es gebe fast ein exponentielles Wachstum. Doch in der Verlaufskontrolle konnte das Behandlungsteam bis zum heutigen Tage keinerlei Hinweise auf Virus-Reste finden. Das Immunsystem des Patienten ist funktional, auch Krebszellen sind nicht nachweisbar. „Der Patient ist in erfreulich guter gesundheitlicher Verfassung“, sagte Penack.

Die Berliner Charité gehört zu den renommiertesten Kliniken Deutschlands.
Die Berliner Charité gehört zu den renommiertesten Kliniken Deutschlands. © IMAGO | Jürgen Ritter

Nach Auffassung des Behandlungsteams an der Charité beweist der „zweite Berliner Patient“, dass eine HIV-Heilung trotz funktionierender Andockstelle für das Virus möglich ist. „Das bedeutet, dass die Heilung wohl nicht auf die genetische CCR5-Ausstattung der Stammzellspenderin zurückzuführen ist, sondern darauf, dass die transplantierten Immunzellen der Spenderin alle HIV-infizierten Zellen des Patienten beseitigt haben“, so Gaebler.

39 Millionen Menschen leben mit HIV

HIV-Heilungen sind äußerst selten. Mit dem „zweiten Berliner Patient“ ist der aktuelle erst der weltweit sechste Fall. Demgegenüber stehen laut Gaebler aktuell 39 Millionen Menschen, die mit HIV leben. Jährlich gebe es zudem 1,3 Millionen Neuinfektionen. Insgesamt gehe man seit Beginn der Epidemie davon aus, dass ungefähr 85 Millionen Menschen mit HIV gelebt haben.

Als weltweit erster von HIV geheilter Mensch gilt der Amerikaner Timothy Brown. Seine Transplantation fand im Jahr 2007 an der Berliner Charité statt. Er wurde daher weltweit als „Berlin-Patient“ bekannt. Im Jahr 2020 verstarb er an Leukämie.