Berlin. 40 Jahre, kein Erfolg. Hunderte Versuche zur Entwicklung eines HIV-Impfstoffs sind gescheitert. Ein neuer Ansatz macht jetzt Hoffnung.
Seit etwa 40 Jahren forscht die Medizin erfolglos an einem Impfstoff gegen das humane Immundefizienz-Virus, kurz HIV. Jetzt gibt es einen neuen, vielversprechenden Ansatz. In vier Studien und einem Begleitartikel wird dieser Ansatz beschrieben. Sie wurden im Fachjournal „Science“ veröffentlicht.
HIV schädigt die körpereigenen Abwehrkräfte, die auch Immunsystem genannt werden. Ohne Behandlung kann der Körper eindringende Krankheitserreger wie Bakterien, Pilze oder Viren nicht mehr bekämpfen. In der Folge können lebensgefährliche Krankheiten auftreten, zum Beispiel schwere Lungenentzündungen. Dann spricht die Medizin von einer „erworbenen Immunschwäche“ oder Aids.
HIV ist nach Angaben der Deutschen Aids-Hilfe nach wie vor eine weltweite Herausforderung. Im Jahr 2022 lebten etwa 39 Millionen Menschen mit dem Virus, 1,3 Millionen infizierten sich neu und 630.000 Personen starben an Aids. In Deutschland lebten Ende 2021 rund 90.800 Menschen mit HIV, 1800 Männer und Frauen infizierten sich neu.
HIV: Medikamente unterdrücken das Virus
Obwohl Medikamente die Behandlung der Infektion deutlich verbessert haben, braucht es Experten zufolge weiter dringend einen Impfstoff, um HIV und Aids nachhaltig zu bekämpfen. Denn die Medikamente unterdrücken zwar das Virus im Körper und verhindern so den Ausbruch von Aids, aber gegen die Infektion selbst helfen sie nicht.
Seit den 1980er-Jahren wird deshalb mit großem Einsatz an einem Impfstoff geforscht. Hunderte klinische Studien blieben erfolglos. Ein Grund dafür: die hohe Geschwindigkeit, mit der HIV mutiert, sich also genetisch verändert. Im Körper eines Infizierten entstehen täglich mehr unterschiedliche Virus-Varianten als Grippe-Varianten weltweit in einem Jahr.
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Vier Forschungsgruppen haben jetzt einen Impfansatz weiterentwickelt, der das Problem lösen soll. Ziel ist es, das Immunsystem sogenannte „breit neutralisierenden Antikörpern“, kurz bnAbs, produzieren zu lassen. Diese sollen dann eine Infektion mit einer Vielzahl von HI-Virusstämmen verhindern.
Impfungen gegen HIV würden aufeinander aufbauen
Bei dem Ansatz, in der Fachsprache Keimbahn-Targeting genannt, greift der Impfstoff in die Reifung von B-Zellen ein, damit diese bnAbs produzieren. B-Zellen sind weiße Blutkörperchen, die zu jenem Teil des Immunsystems gehören, das sich an neue Krankheitserreger anpassen kann.
Beim Keimbahn-Targeting wird genau diese B-Zell-Reifung in drei unterschiedlichen Stufen beeinflusst. In jeder Stufe werden die Zellen jeweils verschiedenen Bestandteilen des HI-Virus ausgesetzt. Dadurch wird eine Immunantwort ausgelöst. Der gesamte Ansatz besteht also aus mehreren aufeinander aufbauenden Impfungen.
Eine Forschungsgruppe konnte bei Affen nachweisen, dass der erste Schritt zur Reifung entsprechender B-Zellen funktioniert. In einer kleinen klinischen Studie wird dies nun auch in Menschen untersucht. Drei weitere Forschungsgruppen entwickelten das Targeting in einem Mausmodell weiter. Ihnen gelang es durch Auffrischungsimpfungen, die B-Zell-Reifung und die produzierten Antikörper immer weiter zu verbessern.
Entwicklung von Antikörpern nicht dem Zufall überlassen
Die aufbauende Impfstrategie unterscheide diesen Ansatz von früheren Ansätzen, sagt Prof. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie am Uniklinikum in Bonn, gegenüber dem Science Media Center (SMC). „Einfach gesagt“, so Streeck weiter, „vorher hat man die Antikörperentwicklung dem Zufall überlassen, nun gibt man die Richtung vor.“
Streeck nennt die Ergebnisse interessant. Allerdings basierten sie vor allem auf Untersuchungen in Mäusen. „Es ist noch ein weiter Weg in die klinische Testung, um festzustellen, ob in der Tat über solch einen Ansatz ein Schutz vor der HIV-Infektion induziert werden kann.“
„Dass das Keimbahn-Targeting in Menschen prinzipiell gelingen kann, konnte eine erste klinische Studie in Menschen bereits zeigen“, sagt Prof. Marcus Altfeld vom Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie in Hamburg. Nachfolgend müsse nun untersucht werden, ob die B-Zellen wirklich breit neutralisierende Antikörper gegen HIV produzieren könnten. „Darüber hinaus wäre es für einen zukünftigen HIV-Impfstoff bei Menschen wichtig, dass diese Antikörperantworten langfristig bestehen bleiben“, so Altfeld.