Berlin. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen kommt nur schleppend voran. Dabei könnte sie viele Leben retten – auch bei Krebspatienten.
- Rund 400.000 Menschen in Deutschland erkranken pro Jahr neu an Krebs
- Ihre Überlebenschancen sind je nach Krebsart unterschiedlich hoch
- Die Digitalisierung hätte das Potenzial, sie weiter zu erhöhen
Wer als Patientin oder Patient die Diagnose Krebs erhält, braucht Zuspruch, Geduld und eine gute Portion Selbstbewusstsein. Das zumindest erzählt Maya Singh, wenn sie darüber berichtet, wie sie vor gut fünf Jahren von der Erkrankung erfuhr. Bei der heute 49 Jahre alten Komponistin, die unter anderem Hits für Christina Stürmer und DJ Ötzi geschrieben hat, entdeckten die Ärzte Lungenmetastasen. Man habe ihr damals wenig Hoffnung gemacht, sagt sie. Doch Singh gab nicht auf und hatte rückblickend gesehen wohl auch etwas Glück.
Denn die Genmutation, die bei Maya Singh festgestellt worden war, sei so selten gewesen, dass sie Teil einer klinischen Studie werden konnte, bei der ein neues, hochmodernes Präzisionsmedikament zum Einsatz kam, erzählt Singh. Das Heilmittel schlug an, Singh blieb sogar eine Chemotherapie erspart. Heute ist sie krebsfrei und berichtet auf ihrem Blog „Zellebration“ von ihren Erfahrungen. Rückblickend sei vor allem die Beschaffung von Informationen „unglaublich unübersichtlich“ gewesen, so Singh.
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In Deutschland erhalten jedes Jahr 400.000 Menschen die Diagnose Krebs
Auch andere Betroffene berichten über Papierberge, die von Arzt zu Arzt getragen werden müssen, und handschriftlich auszufüllenden Formularen. Und auch Erfahrungen und Daten zu Therapien anderer Krebs-Erkrankter fristen ihr Dasein lediglich in Akten und Ordnern von Krankenhausarchiven, anstatt sie zu teilen und zu nutzen. Dabei wäre die Datenlage eigentlich ganz gut: Jedes Jahr erhalten etwa 400.000 Menschen in Deutschland die Diagnose Krebs. Das kaum digitale Gesundheitswesen jedoch lässt in dieser Hinsicht und auch mit Blick auf bessere Heilungschance für die Patienten viel liegen, sagen Experten.
Woran es bei der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen hakt
Fraglos hat die Bundesrepublik viel aufzuholen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Wenn die elektronische Patientenakte 2025 für alle verpflichtend wird, ist Deutschland innerhalb Europas das 18. Land, das auf diese Weise Patientendaten digitalisiert. Dänen, Italiener oder Kroaten können längst Termine, Laborwerte oder Krankschreibungen auf dem digitalen Weg abrufen. Mediziner und andere Experten bemängeln die strukturellen Defizite mit Blick auf Daten und Digitalem im medizinischen Bereich schon seit Jahren.
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Oberster Digitalisierer des deutschen Gesundheitswesens war bis Ende 2023 der frühere Pharma-Manager Markus Leyck Dieken, der an der Spitze der nationalen Gesundheitsagentur Gematik stand. In den sieben Jahren in dieser Position hat er viel bewegt– doch längst nicht alles erreicht. Es sei noch viel zu tun, sagte Leyck Dieken im Oktober 2023 unserer Redaktion. Doch er weiß auch, was man besser lässt.
„Es bringt nichts, einfach nur Formulare zu digitalisieren.“ Der Ex-Gematik-Chef spricht von Datenschutzbedenken, die bislang die Digitalisierung von Gesundheitsdaten erschwert hätten, verweist aber gleichzeitig auf Vorteile, zum Beispiel bei der Therapie von Krebspatienten: „Hier gibt es eine Explosion von Wissen. Aber diese Bälle der Erkenntnis müssen gespielt werden. Und das schaffen wir nur mit Digitalisierung“, sagte er bei einem Besuch auf dem Charité-Gelände in Mitte.
Mediziner sammeln Daten für eine bessere und zielgerichtetere Krebstherapie
Dort arbeitet und forscht Prostatakrebs-Experte Thorsten Schlomm. Auch der Professor bemängelt, dass Schwarmwissen mit Blick auf die Therapie vieler Krebsarten gar nicht vorläge. Daten und Erfahrungen würden nicht zentral gespeichert. Das aber sei nötig, um zielgerichtet Therapien anbieten zu können. Schlomm will das ändern und hat deswegen das Unternehmen DNA Med gegründet. Das Netzwerk nimmt in Zusammenarbeit mit dem Adlershofer Unternehmen ALACRiS Theranostics Krebszellen genau unter die Lupe.
Das funktioniert so: Krebs entsteht im Erbgut der Zellen, also in der DNA. Mittels Gensequenzierung werden fehlerhafte Mutationen identifiziert. Die Experten leiten daraus dann – auch mithilfe der bestehenden Datenbank – die beste Behandlung ab. „Mit jeder Information gewinnen wir mehr Erfahrung“, erzählt Schlomm. Mit wachsender Menge an Daten gelingt es so, bestimmte Tumorzellen immer besser zu verstehen und so den Krebs gezielter und effektiver zu bekämpfen.
Auch Künstliche Intelligenz (KI) wird dabei aktiv, unterstützt die Mediziner, in dem die KI anhand der Daten vorhersagt, welche Therapieart und Medikation den größten Erfolg verspricht. Schlomm will das Pilotprojekt gerne über die Grenzen Berlins und Brandenburgs hinaus ausbauen, steht dabei aber noch am Anfang.
Was ein neues Strahlentherapiegerät den Patienten bringt
KI aber kann mittlerweile auch bei der Strahlentherapie eine Rolle spielen. Auf dem Charité Campus Virchow-Klinikum in Wedding steht Daniel Zips, Facharzt und Professor für Strahlentherapie, vor einem Gerät, das er nur sein „neues Schmuckstück“ nennt. Das, was Zips so ins Schwärmen bringt, ist das Strahlentherapiegerät „Ethos“. Nahezu raumfüllend soll die Technik zu besseren Ergebnissen bei der Bestrahlung von Tumoren und zu weniger Nebenwirkungen bei den Patientinnen und Patienten führen.
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Jeder zweite Krebspatient in Deutschland wird im Verlauf seiner Behandlung bestrahlt, sagt Zips. Mediziner wagen dabei stets den Spagat: So hoch dosiert bestrahlen, dass der Tumor kleiner wird und gleichzeitig so gering wie möglich, damit sich Nebenwirkungen in Grenzen halten. „Ethos“, das erst Ende 2023 in Betrieb genommen wurde, soll nun helfen, beides zu vereinen.
Krebstherapie: Manchmal gelingen Verbesserungen auch ohne Digitalisierung
Das System bietet laut Zips zwei wesentliche Vorteile im Vergleich zu herkömmlichen Geräten: Auf dem Behandlungstisch kann die Technik vor Beginn jeder Bestrahlung die Position des Tumors und der umgebenden Organe mittels Computertomographie erfassen. Daraufhin kann ein Computer mit KI-Unterstützung den Bestrahlungsplan innerhalb kurzer Zeit an veränderte Organ- und Tumorpositionen im Körper anpassen.
Auch Rückmeldungen von Patienten fließen mit ein. Vorher seien derartige Messungen nur vor und am Ende der Bestrahlung gemacht worden. Die aber kann gut und gerne sieben Wochen dauern und 30 Sitzungen beinhalten. Zips will bis 2030 nun einen großen „Ethos“-Datenpool aufbauen, der sich aus den Charité-Geräten speisen soll. Denn auch bei der Technik gilt: Je mehr Informationen, desto besser kann die KI Mediziner unterstützen.
Nicht immer ist die neue Technik nur dazu da, Behandlungsergebnisse zu verbessern. Im gynäkologischen Tumorzentrum des Virchow-Klinikums hat man die Infusions-Sitzplätze so ausgestattet, dass Patienten dort während der Behandlung Unterhaltungsmedien oder Online-Sprachkurse abrufen können. „Die Patienten werden bis zu sieben Stunden behandelt. So soll aus Wartezeit Lebenszeit werden“, erklärt Jalid Sehouli. Der Mediziner zieht sein Konzept auch im Wartebereich der sogenannten Rosi-Chemoambulanz durch. Warme Farben, ein Aquarium und der „Rosi“-Duft, den ein Spender versprüht. Alle zehn Minuten fliegen so Noten von Lavendel und Zedernholz durch die Luft. Patienten tut das gut, sagt er. Und Sehouli gelingt das in dem Fall sogar gänzlich ohne Digitalisierung.
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