Düsseldorf. Menschenwürdig ist das nicht mehr: Erschütternde Fallbeispiele für die traurige Wirklichkeit in den Flüchtlingsheimen des Landes NRW.

- Die Zustände in den Unterbringungseinrichtungen und Notunterkünften des Landes seien unzumutbar, warnen der Flüchtlingsrat NRW und Wohlfahrtsverbände.

- Es gebe kaum Privatsphäre, nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Behandlung, und manchmal werden auch Kinder Zeugen von Gewaltausbrüchen, warnen die Verbände. Diese Zustände seien weder mit UN- noch mit EU- noch mit dem NRW-Recht vereinbar.

- Der Vorschlag: Geflüchtete müssten schneller in die Kommunen und, wenn möglich, auch Zugang zu privaten Unterkünften haben.

Der Flüchtlingsrat NRW, die Wohlfahrtsverbände des Landes und Psychotherapeuten haben die aus ihrer Sicht „zermürbende“ Unterbringung von Geflüchteten in den Einrichtungen des Landes scharf kritisiert. „Es macht die Menschen kaputt. Wir müssen sie menschenwürdig unterbringen“, sagte Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates, am Mittwoch im Landtag.

Flüchtlinge in NRW: Oft nur Vorhänge statt Türen und keine echte Nachtruhe

Frauen, Männer und Kinder müssten unter teils katastrophalen Bedingungen monatelang in völlig überfüllten Erstaufnahmen und Notunterkünften des Landes leben, so Naujoks. In den Notunterkünften, die vielerorts aus Zeltstädten und Hallen bestehen, gebe es oft nur Vorhänge statt Türen und keine echte Nachtruhe. Bis zu acht Personen müssten sich ein „Zimmer“ teilen, Kinder würden Zeugen von Gewalt, viele Frauen hätten Angst, ihre Kabinen zu verlassen. Psychosoziale Beratung und ärztliche Hilfe seien für die Bewohnerinnen und Bewohner oft unerreichbar.

Birgit Naujoks zitierte am Mittwoch im Landtag einen Geflüchteten: „Ich finde keinen Schlaf, komme nicht zur Ruhe. In meiner Kabine schlafen zehn Personen – im gesamten Zelt sind wir über 100. Meine Habseligkeiten habe ich immer bei mir. Ich schlafe mit meinem Handy in der einen Hand, mit meinen Papieren in der anderen.“

Flüchtlinge in NRW: Verstößt die Unterbringung gegen UN-Konventionen?

Die Unterbringung von Geflüchteten in NRW verstoße gegen die UN-Kinderrechts- und die UN-Behindertenrechtskonvention, gegen EU-Regeln für die Aufnahme von Asylbewerbern und gegen das Gewaltschutzkonzept des Landes NRW, hieß es vom Flüchtlingsrat NRW. Weil die mehr als 30.000 Plätze in den 48 Sammelunterkünften des Landes komplett belegt seien, dringen die Organisationen auf eine schnellere Zuweisung der Geflüchteten in die Kommunen, wo sie eine Chance auf Beratung, Bildung und Gesundheitsversorgung hätten.

Das NRW-Flüchtlingsministerium betonte gegenüber dem Flüchtlingsrat, sie wisse, dass sich die Menschen, die nach Krieg, Vertreibung und Flucht bei uns ankommen, in einer ganz besonders belastenden Situation befänden. "Der Landesregierung ist bewusst, dass diese vulnerablen Situation auch und gerade bei der Erstaufnahme berücksichtigt werden muss", heißt es. Ein gewisses Maß an Privatsphäre sei die Voraussetzung dafür, um den Menschen ein Ankommen in Ruhe zu ermöglichen.

Die Regierung arbeiten weiterhin mit Hochdruck daran, auch die Kapazitäten in den regulären Unterkünften zu erhöhen, steht in der Antwort des Ministeriums auf einen Forderungskatalog des Flüchtlingsrates NRW.

Eva van Keuk vom Psychosozialen Zentrum für Geflüchtete in Düsseldorf rät dazu, Asylbewerberinnen und -bewerbern aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern ähnliche Freiheiten zu geben wie Ukrainerinnen und Ukrainern: „Menschen aus der Ukraine haben die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, in Privatwohnungen unterzukommen, ihre Kinder zur Schule zu schicken und zum Arzt zu gehen.“ Auch Birgit Naujoks sagt: „Geflüchtete, denen privater Wohnraum zur Verfügung steht, muss der Umzug genehmigt werden.“

Flüchtlinge in NRW: Auch die Städte sind am Limit

Auf der anderen Seite wehren sich viele Städte dagegen, dass ihnen das Land NRW Geflüchtete „vorzeitig“ zuweist, weil auch sie längst an Aufnahmegrenzen gestoßen sind. Die Kommunen dringen ihrerseits darauf, die Zahl der Plätze in den Landesunterkünften deutlich zu erhöhen. Die gerade erst zwischen Bund und Ländern verabredete Flüchtlings-Pauschale von 7500 Euro im Jahr reiche nicht, um die Städte in die Lage zu versetzen, Geflüchtete zu integrieren, so der Städtetag NRW.

Flüchtlinge in NRW: Drei Beispiele für die Probleme der Heimbewohner

Eva van Keuk nannte drei Fallbeispiele, um zu verdeutlichen, wie unzumutbar die Zustände für viele Geflüchtete in Landeseinrichtungen seien:

Fallbeispiel 1:

"Ein Mann aus Syrien war in seiner Heimat neun Monate inhaftiert und schwer gefoltert worden. Er kam in einem schwer angeschlagenen psychischen Zustand nach Deutschland. In der Erstaufnahmeeinrichtung lief es ganz gut. Der Mann konnte sogar dort ehrenamtlich tätig sein. Dann brach alles zusammen, weil er in die Notunterkunft in Selm verlegt wurde, in eine Zeltstadt. Er hörte Schüsse vom benachbarten Polizeiübungsplatz. Die Gewalterfahrungen brennen sich so zu sagen ein. Die Schüsse sind ein Trigger-Reiz, der die Erinnerung an das traumatische Ereignis lebhaft wieder auslöst. Dieser Mann wollte sich dann das Leben nehmen, brach aber aus Angst, dass er aus der Psychiatrie abgeschoben wird, die Behandlung ab. Jetzt hat er so viel Angst, dass er nicht einmal mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt.“

Fallbeispiel 2:

"Junge Frau aus dem Iran, die zur LGBTQI-Community gehört, wird gezwungen, sich in langen Schlangen anzustellen, um das Taschengeld zu erhalten, mit dem sie die Busfahrt zur psychotherapeutischen Behandlung bezahlen kann. Während sie wartet, wird sie immer wieder angefeindet, gemobbt, sexistisch beleidigt und sogar angegriffen. Dennoch kann sie ihre Zimmertür nachts nicht verschließen. Wie soll in diesen Zuständen Psychotherapie wirken?"

Fallbeispiel 3:

„Ein Kind mit der Vordiagnose Knochenkrebs benötigt eine weitere fachärztliche Untersuchung. Das wird ihm mit dem Hinweis verwehrt, dass die Untersuchung zu einem späteren Zeitpunkt während der Asylaufnahme oder erst nach der Zuweisung in eine Kommune geschehen müsse. Der Kern des Problems: Die Sanitätsstation muss einen Antrag stellen, und in der Bezirksregierung entscheidet jemand darüber, der fachfremd ist. Menschen ohne medizinische Ausbildung entscheiden also in Gesundheitsfragen über Geflüchtete in Landeseinrichtungen. Das ist ein alltägliches Problem, auch bei schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen.“

Flüchtlinge in NRW: Bis zu zwei Jahre in Landeseinrichtungen

Bis zu 24 Monate lang können Geflüchtete in den NRW-Landesunterbringungen bleiben. CDU und Grüne streben zwar eine Verkürzung auf sechs Monate an, dies scheint aber angesichts des Zustroms von Geflüchteten derzeit unrealistisch zu sein.

Das NRW-Flüchtlingsministerium erklärte am Mittwoch, dass minderjährige Geflüchtete und ihre Sorgeberechtigten spätestens nach sechs Monaten den Kommunen zugewiesen würden. Diese entschieden eigenständig und in Abhängigkeit der Gegebenheiten vor Ort, ob sie die ihnen zugewiesenen Geflüchteten ebenfalls zentral in Gemeinschaftsunterkünften oder in dezentral in Wohnungen unterbringen.

Nordrhein-Westfalen verfügt kaut dem Ministerium aktuell über 45 Landesunterkünfte (fünf Erstaufnahmeeinrichtungen, 28 Zentrale Unterbringungseinrichtungen, zwölf Notunterkünfte). Derzeit würden 30.600 Plätze aktiv betrieben, davon 6.590 Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) und 24.010 Plätze in Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) und Notunterkünften (NU).

Die Migration beschäftigt auch die schwarz-grüne Landesregierung sehr. Die Grüne Jugend NRW hat zum Beispiel klargestellt, dass das Recht auf Asyl für sie nicht verhandelbar sei.

Aus der NRW-CDU kommen allerdings andere Signale.

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