Düsseldorf. Wenig Sinn fürs Soziale, die CDU dominiert bei der Inneren Sicherheit: Die zum Teil bittere NRW-Bilanz der Grünen Jugend.

Laut NRW-Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubauer (Grüne) arbeiten CDU und Grüne „gut, verlässlich und vertrauensvoll“ zusammen, und in fast jeder Bilanz nach einem Jahr Schwarz-Grün wird die „Geräuschlosigkeit“ der Regierungsarbeit herausgestellt. Nicola Dichant und Renas Sahin, die Doppelspitze der Grünen Jugend in NRW, blicken dagegen mit gemischten Gefühlen auf die selbst ernannte „Zukunftskoalition“. Der grüne Parteinachwuchs wünscht sich dort mehr Sound statt Stille.

Nicola Dichant (24) und Rênas Sahin (22) aus Köln sagen gegenüber der WAZ, was Teile der grünen Basis wirklich über das erste schwarz-grüne Bündnis in NRW denken. Es ist kein Verriss. Aber die Hoffnungen der jungen Grünen haben sich bisher nur zum Teil erfüllt. Renas Sahin fasst es mit einem Satz zusammen: „Es fehlt der große Wurf“.

Zur Inneren Sicherheit:

„Da braucht es mehr grüne Einmischung. Wir dürfen die Innere Sicherheit nicht komplett Herbert Reul und der CDU überlassen“, sagt Sahin. Die Grünen müssten in der Regierung mehr über den Taser reden, über die tödlichen Polizeischüsse in Dortmund und über den Fall der Polizeischul-Dozentin Bahar Aslan. Sahin wünscht sich auch offenere Worte über Rassismus in Polizeibehörden. „Wer ein Kind von Zugewanderten ist und vielleicht so aussieht wie ich, der kennt anlasslose Polizeikontrollen. Ein Sahin muss mit härteren Polizei-Ansagen leben als ein Schmidt.“ Innere Sicherheit, sagt er, müsse „mehr sein als Show-Razzien in Shisha-Bars.“ Dazu gehörten auch Sozialarbeiter, Streetworker und Dolmetscher.

Zur Frage, ob die Grünen in der Landesregierung zu wenig sichtbar seien:

Sahin: „Das scheint das Los des kleineren Koalitionspartners zu sein. Am Ende wird es um gute Ergebnisse gehen und nicht um die Befindlichkeit von Parteien. Etwa Um Investitionen in Schulen, Mobilität, Wohnen. Und da fehlt uns als Grüne Jugend der große Wurf in NRW.“

„Ruhe ist besser als Dauerstreit, Harmonie ist aber auch kein Selbstzweck. Es gibt handfeste Unterschiede zwischen CDU und Grünen, zum Beispiel in der Innenpolitik, in den sozialen Fragen und beim Thema Klimaschutz“, so Nicola Dichant.

Zur Stimmung in der Grünen Jugend:

„Zum einen gibt es eine große Enttäuschung an vielen Stellen, zum Beispiel über die Räumung von Lützerath und über die Zustimmung der Bundesregierung -- auch der grünen Außenministerin -- zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS)“, erklärt Sahin. Das seien falsche Entscheidungen gewesen, die auch die grüne Partei mitgetragen habe. „Andererseits werden wir als Grüne Jugend jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken. Wir gehen raus auf die Straße, um uns mit der Zivilgesellschaft zu verbünden, damit es keine Fehlentscheidungen wie die über Lützerath oder GEAS mehr gibt.“

Zu den Irritationen beim Heizungsgesetz:

„Grüne müssen ihre Klimapolitik wieder stärker mit Sozialpolitik verknüpfen. Ich kann Menschen, die sich in diesen Zeiten materielle Sorgen machen, gut verstehen. Jeder Schritt in Richtung Klimaschutz erfordert einen Schritt in Richtung soziale Gerechtigkeit“, sagt Sahin.

Dichant stimmt zu: „Bei den Grünen liegt der Fokus traditionell auf dem Klimaschutz, aber oft nicht so stark wahrnehmbar auf dem Sozialen. Das muss ins Gleichgewicht kommen.“

Zu Wohnungsnot und hohen Mieten:

Dazu komme von der Landesregierung „leider gar nichts“, meint Dichant. „Vielerorts können sich normale Arbeitnehmer die Mieten nicht mehr leisten, Millionen Menschen sind betroffen. NRW braucht funktionierende Mietpreisbremsen, um dem Mietenwahn in unseren Städten zu beenden und auch wieder eine landeseigene Wohnungsgesellschaft.“

Zum Klimaschutz:

Hier fällt die Bilanz der Grünen Jugend positiv aus. Schwarz-Grün unternehme wichtige Schritte beim Ausbau der Wind- und Solarenergie und habe sich an die Abstandsregeln für Windkraftanlagen herangetraut. Auch das Krisenbewältigungsprogramm im Winter sei gut gewesen.

Sahin fehlt aber eine „Gesamtstrategie“ für die Klimaneutralität. „Im Moment gilt noch das alte, schwarz-gelbe Klimaschutzgesetz mit dem Ziel 2045 für die Klimaneutralität. Nach soliden wissenschaftlichen Berechnungen ist das zehn Jahre zu spät, um die Klimaziele zu erreichen. Wir hatten auf unserem Grünen-Parteitag einen Antrag auf Klimaneutralität bis 2035 gestellt, und eine Mehrheit nur sehr knapp verfehlt.“

Neben dem Windkraftausbau müsse auch auf die Industrie, den Verkehr und den Kohleausstieg geschaut werden. Sahin: „Der Kohleausstieg 2030 ist ein Erfolg, aber bis dahin kann RWE selbst über Fördermengen entscheiden. Hier braucht es konkrete Ausstiegspfade im Einklang mit den Klimazielen.“ Die Industrie, der Verkehr, die Wohnungsgesellschaften seien die großen Player beim Thema Emissionen, und die müssten in die Pflicht genommen werden. „Wer zur Miete wohnt, der kann nicht über Gebäudedämmung oder eine neue Heizung entscheiden.“

Zur Altschuldenlösung:

Nicola Dichant sagt, es sei gut, dass nun ein Vorschlag auf dem Tisch liege, der sollte aber nicht das Ende der Debatte sein. „Es kann nicht sein, dass die Kommunen ihre Schulden am Ende selbst bezahlen sollen.“ Das Kommunalministerium verteilte gerne die „weitgehend sinnlosen Heimatschecks“. Stattdessen solle mehr Geld in Schulen, Jugendzentren und Wohnungsbau fließen.

Zum Streit über die Aktionen der „Letzten Generation“:

„Über Sinn und Unsinn von Straßenblockaden kann man streiten. Die unverhältnismäßige Kriminalisierung ist aber gefährlich. Statt mit voller Härte gegen junge Aktivisten vorzugehen, sollte man eher mit allen Mitteln die Klimakrise bekämpfen“, so Sahin.

Zu Verkehr/Mobilität

Nicola Dichant sagt: „Da geht es erstens um den Preis: Es ist gut, dass es das Deutschlandticket gibt, und Vergünstigungen, etwa das Jobticket, das Sozialticket und das Schülerticket. Beim Sozialticket ist aber noch Luft nach oben. 39 Euro sind noch zu viel und für viele nicht bezahlbar." Es gebe kein Angebot für Azubis und zum Studi-Ticket seien noch viele Fragen offen, weil Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hier blockiere. Für eine Verkehrswende brauche es Bus- und Bahntickets, die sich wirklich alle leisten können.

Zweitens müsse der Nahverkehr ausgebaut werden. "Mit ein paar E-Autos mehr ist die Verkehrswende nicht zu schaffen. NRW sollte außerdem in den Ausbau eines Schnellbusnetzes investieren und darauf dringen, dass sich die Arbeitsbedingungen für Lokführer, Busfahrer und Zugbegleiter verbessern.“