Düsseldorf. CDU und Grüne wollen in NRW ein harmonisches erstes Jahr feiern, müssen aber mit allerlei Störgeräuschen umgehen.
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und seine Stellvertreterin Mona Neubaur (Grüne) verabschiedeten sich mit dem traditionellen Sommerauftritt vor der Düsseldorfer Landespressekonferenz am Freitag in die Parlamentsferien. Trotz schwacher Umfragewerte für ihre schwarz-grüne Landesregierung präsentierten sie sich erwartungsgemäß hochzufrieden mit sich selbst und dem ersten Jahr ihrer Koalition. „Es passt menschlich gut“, lobte Wüst und bedankte sich bei Neubaur. „Das ist erst der Anfang“, gab Neubaur an den „lieben Hendrik“ einen dicken Dank für das erste Jahr zurück. Überlagert wurde der Auftritt jedoch von einer Reihe an Themen, die so gar nicht auf dem Spielplan standen:
Kanzlerkandidatur:
Wüst war erkennbar bemüht, die jüngste Aufregung um die K-Frage in der Union ein wenig einzufangen, ohne sich selbst für 2025 aus dem Rennen zu nehmen. Friedrich Merz sei Partei- und Fraktionschef, „damit ist im Übrigen auch die Führungsfrage da geklärt“, sagte Wüst. Das sah oberflächlich wie eine Geste der Unterordnung aus. Doch Wüst lobte Merz vor allem dafür, dass er die Scholz-Herausforderung bis zum kommenden Jahr offenhält: „Es ist ein großes Verdienst von ihm, dass er Einigkeit hergestellt hat, dass über die Frage der Kanzlerkandidatur im Jahr vor der Wahl entschieden wird.“ Auf Nachfrage, warum er nicht klar sage, dass er selbst keinesfalls antreten und Merz die Kanzlerkandidatur überlassen werde, sagte Wüst sybillinisch: „Ich kann Ihnen aber eins sicher sagen: Ich tue gern, was ich gerade tue.“
Clan-Kriminalität:
Die Tumulte mit libanesisch-syrischen Großfamilien in Castrop-Rauxel und Essen stellen die „Null Toleranz“-Strategie der CDU-geführten Landesregierung plötzlich in Frage. Wüst machte deshalb mit einer für seine Verhältnisse markigen Botschaft klar: „Wir werden alles dafür tun, die Stärke des Staates an jeder Stelle sichtbar zu machen und für alle Menschen – Frauen, Männer, Jung und Alte – an jeder Stelle und zu jeder Uhrzeit Sicherheit in diesem Land zu gewährleisten.“ Zugleich warb er um einen differenzierten Blick auf das Thema Asyl und Zuwanderung. „Es gibt keinen Dissens darüber, dass wir alle Kraft für diejenigen brauchen, die wirklich vor Krieg und Vertreibung, vor Gewalt fliehen“, sagte der Ministerpräsident. Diesen Menschen müsse der Staat besser Verlässlichkeit bieten. Andere, „die vielleicht gute Gründe, aber nicht das Recht haben, hier zu sein“, sollten entweder gar nicht erst kommen oder Deutschland wieder zu verlassen. Der Bund sei hier am Zug: „Die Länder achten pingelig darauf, dass da wirklich was bei rauskommt.“
Koalitionsklima:
Neubaur und Wüst verbreiteten den Eindruck, als sei ihre politische Beziehung nach einem Jahr Schwarz-Grün genauso innig wie Ende Juni 2022, nur noch ein bisschen gereifter. CDU und Grüne verstehen ihr Bündnis als heilen Gegenentwurf zur chaotischen, zerstrittenen Ampel in Berlin. „Wir haben uns auf den Weg gemacht, Probleme immer gemeinsam zu lösen. Wir stecken unsere Energie nicht in gegenseitige Profilierung und Schaukämpfe auf großer Bühne“, sagt Wüst. Neubaur lieferte dazu eine zweite Strophe: „Viele empfinden die Koalition im Bund als fortwährende Regierungskrise. Hier in NRW ist das nicht so. Wir arbeiten gut, verlässlich und vertrauensvoll zusammen. Unsere Aufgabe ist es nicht, Kampagnen für die die Regierung tragenden Parteien zu organisieren, sondern den Menschen Sicherheit zu geben.“ Menschlich passe es gut zwischen CDU und Grünen. Es gebe in NRW kein schwarzes und kein grünes Projekt, das man in einen Ausgleich bringen müsse, sondern nur gemeinsame Projekte, beteuerte Wüst.
Erneuerbare Energien:
Schwarz-Grün will bis 2027 laut Koalitionsvertrag 1000 zusätzliche Windkraftanlagen für NRW. Nach Angaben der Fachagentur Windenergie an Land wurden in den ersten drei Monaten dieses Jahres 82 neue Windkraftanlagen genehmigt. Wüst und Neubaur verbreiteten dennoch Zuversicht. Das Land habe für den Ausbau der Erneuerbaren Energien und für das 1000-Windräder-Ziel zuletzt „große Weichen gestellt“, versicherte Wüst.
„Wir werden Anfang 2025, also sieben Jahre vor der Verpflichtung des Bundes, das Ziel erreichen, 1,8 Prozent der Landesfläche für Windkraft auszuweisen“, so Neubaur. Damit stehe theoretisch eine Fläche für mehr als 3000 Windenergieanlagen bereit. NRW sei derzeit Spitzenreiter beim Genehmigen und auf Platz zwei bei den Inbetriebnahmen von Windrädern. Das alles werde am Ende Früchte tragen.
AfD-Umfragehoch:
In NRW sei die AfD jetzt fast so stark wie im Bund. Mit dieser Feststellung ärgerte CDU-Chef Merz zuletzt seinen Parteifreund Wüst. Merz habe mit seiner Warnung vor den erstarkenden Rechtspopulisten durchaus Recht, sagte Wüst nun am Freitag. Debatten müssten immer so geführt werden, dass sich die Menschen bei den demokratischen Parteien aufgehoben fühlten und nicht bei der AfD und anderen Extremisten. Der Streit im Bund um das Gebäudeenergiegesetz habe zum Beispiel viele Menschen unnötig verunsichert.
Oppositionsurteil:
„Hendrik Wüst ist vor allem mit Hendrik Wüst zufrieden“, spottete SPD-Landtagsfraktionschef Jochen Ott. Mehr als die Hälfte der Menschen in NRW sei laut Umfragen mit der Arbeit dieser Landesregierung unzufrieden. Schwarz-Grün sei keine Koalition für Menschen, die sich Sorgen um ihre Mieten, übersteigende Preise oder die Bildungschancen ihrer Kinder machten. Die Pläne der Landesregierung für eine Altschuldenlösung nennt Ott ein „Münchhausen-Modell“. Die verarmten Städte sollten sich demnach am eigenen Schopf aus den Schulden ziehen. Dieser „missratene Vorschlag“ müsse einkassiert werden. Außerdem stünden Wirtschaft und Industrie überall im Land unter Druck.