Essen. Ein Jahr schwarz-grüne NRW-Regierung: Die neue Umfrage der NRW-Tageszeitungen offenbart Unzufriedenheit mit der Flüchtlings- und Bildungspolitik.
Seit knapp einem Jahr ist die Landesregierung von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Amt. Am 28. Juni jährt sich seine Wahl zum Ministerpräsidenten. Zeit, eine erste politische Bilanz zu ziehen. Wie bewerten die Wählerinnen und Wähler die Arbeit der Landesregierung, wie ist die politische Stimmung im Land, wo sehen die Menschen die drängendsten Probleme? Im Auftrag der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) und 38 weiteren Tageszeitungen in NRW befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa Anfang Juni mehr als 1500 Wahlberechtigte über 18 Jahre. Es ist seit Dezember 2021 mittlerweile der sechste „NRW-Check“.
Nach den Ergebnissen der repräsentativen Umfrage hat sich die Sicht der Bürgerinnen und Bürger auf die drängendsten Probleme des Landes im Vergleich zum Herbst 2022 deutlich gewandelt. Stand vor dem letzten Winter angesichts des Ukrainekriegs die Frage der sicheren Energieversorgung noch ganz oben auf der Liste der größten Probleme, stehen derzeit vor allem die hohe Zahl von Flüchtlingen sowie die Schul- und Bildungssituation im Fokus. Dennoch erfreut sich Ministerpräsident Wüst steigender Beliebtheitswerte. Zugleich spiegelt sich aber auch in NRW die bundespolitische Stimmungslage mit einer zunehmenden Kritik an den Ampel-Parteien und einem Höhenflug der AfD wider. Ein Überblick:
Was sind die größten Probleme in Nordrhein-Westfalen?
Vor allem die hohe Zahl von Flüchtlingen, die Schul- und Bildungssituation sowie die Unzufriedenheit mit der Verkehrssituation beunruhigen derzeit die Bürgerinnen und Bürger in NRW. Sahen im September 2022 nur 13 Prozent der Befragten Migration und Flüchtlinge als das größte Problem des Landes, hat sich die Quote bis zum Frühsommer 2023 auf 27 Prozent mehr als verdoppelt. Die Sorge um hohe Preise ist indes deutlich gesunken: Nannten im Herbst 2022 noch 40 Prozent die Inflation als größtes Problem des Landes, sank die Quote auf aktuell nur noch 17 Prozent. Und sahen vor dem Winter noch 30 Prozent der Befragten die Gefährdung der Energieversorgung als größte Herausforderung, sind es im Sommer 2023 nur noch ganze drei Prozent.
25 Prozent (plus neun Prozentpunkte) der Befragten nennen nun die Bildung als größte Herausforderung des Landes, gefolgt von der Klage über die Verkehrssituation (23 %) sowie dem Klima- und Umweltschutz (18 %). Nur drei Prozent sehen derzeit den Krieg in der Ukraine als das wichtigste Problem.
Die Zuwanderung wird vor allem von den Anhängern der AfD (59 %), aber auch von einem Drittel der CDU- und FDP-Anhänger als großes Problem wahrgenommen. Der Klima- und Umweltschutz wird wie in allen früheren NRW-Checks überdurchschnittlich häufig von den Anhängern der Grünen (39 %) als wichtigstes Problem gesehen. Hingegen sind FDP-Anhänger eher über den Fachkräftemangel und die Situation der Wirtschaft beunruhigt.
Meinungen zur Energiepolitik:Können erneuerbare Energien den Bedarf decken?
In den Antworten zur Energiepolitik zeigt sich eine deutliche Skepsis bis hin zur strikten Ablehnung der aktuellen Energiepolitik. Eine große Mehrheit der Befragten (78 %) geht demnach davon aus, dass weiterhin auch fossile Energien zur Energieerzeugung genutzt werden müssen. Bei den Anhängern der CDU und FDP sagen das sogar jeweils 91 Prozent.
Nur 17 Prozent sind davon überzeugt, dass der Energiebedarf in Deutschland in absehbarer Zeit allein durch erneuerbare Energien gedeckt werden kann. Nur von den Anhängern der Grünen hält knapp die Hälfte (49 %) die herkömmlichen Energiearten künftig für verzichtbar.
Welche Energiearten sollten weiter genutzt werden?
Solange die erneuerbaren Energien den Bedarf nicht vollständig decken können, sollten nach Meinung der Bürgerinnen und Bürger in NRW vor allem Erdgas (64 %) und Kernenergie (49 %) weiter zur Energieerzeugung genutzt werden. Zwar wurden im April 2023 die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet, dennoch spricht sich eine große Mehrheit der Anhänger von CDU (65 %), FDP (74 %) und AfD (80 %) dafür aus, Kernenergie weiter zu verwenden. Bei den Anhängern der SPD (31 %) und den Grünen (22 %) sagt dies nur eine Minderheit.
Für Aktionen der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ hat die große Mehrheit (82 %) in NRW kein Verständnis.
Sollte der Einbau von neuen Öl- und Gasheizungen verboten werden?
Nur 25 Prozent der Befragten halten ein Verbot des Einbaus von Öl- und Gasheizungen für richtig. Hingegen lehnt eine große Mehrheit von 70 Prozent diese Pläne ab – und zwar quer durch alle Bevölkerungs- und Wählergruppen, ergab der NRW-Check. Nur die Anhänger der Grünen halten mehrheitlich (67 %) ein Verbot für richtig.
Können private Eigentümer die Kosten für die Umstellung der Heizungen verkraften?
Nein, die Kosten überfordern die finanziellen Möglichkeiten der meisten privaten Eigentümer meint eine große Mehrheit von 85 Prozent. Nur elf Prozent sind der Ansicht, dass die Kosten von den meisten Haus- und Wohnungseigentümern aufzubringen sind. Unter den Anhängern der Grünen sind mit 31 Prozent im Parteienvergleich mit Abstand die meisten Menschen der Meinung, dass die Kosten für die „Wärmewende“ von vielen Privateigentümern bewältigt werden können.
Migration: Wie bewältigen die Kommunen den Flüchtlingszuzug?
Knapp drei Viertel (73 %) der Menschen in NRW sind der Meinung, dass die meisten Städte und Gemeinden in Deutschland mit der Zahl der Flüchtlinge überfordert sind. Unter den CDU-Anhängern sind 84 Prozent dieser Ansicht, bei den Grünen lediglich 45 Prozent. Nur 24 Prozent der Befragten haben den Eindruck, dass die Städte damit insgesamt gut zurechtkommen.
Ein anderes Meinungsbild ergibt sich hingegen, wenn es um die Unterbringung der Flüchtlinge in NRW geht. Genau die Hälfte der Befragten sieht in der eigenen Stadt keine größeren Probleme bei der Unterbringung der Geflüchteten. 32 Prozent geben an, dass es vor Ort in letzter Zeit größere Probleme gegeben habe. Bemerkenswert: In diesem Punkt gibt es keine größeren Unterschiede zwischen Bewohnern in kleineren Gemeinden oder größeren Städten.
Inflation: Wie stark belasten steigende Preise die Haushalte?
Eine Mehrheit von 58 Prozent gibt an, dass ihr Haushalt durch die hohen Preise stark (37 %) oder sehr stark (21 %) belastet wird. Immerhin 41 Prozent sehen sich aber durch die Preise etwas (36 %) oder gar nicht (5 %) belastet. Allerdings sagen 72 Prozent der Menschen mit einem niedrigen Haushaltseinkommen von unter 2000 Euro netto im Monat, von den hohen Preisen stark bis sehr stark belastet zu sein.
Viele Menschen in NRW versuchen daher, größere Neuanschaffungen zu verschieben oder beim Energieverbrauch, bei Kleidung, Reisen, Lebensmitteln und Restaurantbesuchen zu sparen.
Die politische Lage in NRW:Wie bekannt sind die Mitglieder der Landesregierung?
Die meisten Namen im Landeskabinett von Ministerpräsident Wüst sagen den Wählerinnen und Wählern in NRW wenig. Nur zwei „Politik-Stars“ bilden hier eine Ausnahme. Innenminister Herbert Reul (CDU) kennen 81 Prozent der Befragten, Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) 77 Prozent. Mit der Arbeit dieser beiden Minister sind die Befragten mehrheitlich zufrieden.
Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) konnte ihre Bekanntheit seit September 2022 von 43 Prozent auf 51 Prozent erhöhen. Auch Dorothee Feller (Schule, CDU) und Oliver Krischer (Umwelt, Grüne) sind bekannter als zuvor. Viele der befragten Bürgerinnen und Bürger trauten sich aber kein Urteil über die Arbeit weiterer Kabinettsmitglieder zu.
Wie bewerten Wählerinnen und Wähler der Landesregierung?
Nach einem Jahr schwarz-grüner Koalition fällt das Urteil der Bürgerinnen und Bürger nach wie vor kritisch aus. 54 Prozent der Befragten sind laut NRW-Check mit der bisherigen Arbeit der Landesregierung nicht zufrieden, 38 Prozent hingegen sind zufrieden.
Auch mit der Arbeit der beiden Regierungsparteien ist eine Mehrheit der Befragten unzufrieden. So geben 54 Prozent der Befragten der CDU schlechte Noten, eine satte Mehrheit von 65 Prozent sind mit der Arbeit der Grünen in der Landesregierung nicht zufrieden. Damit verschlechterte sich insbesondere bei dem kleinen Koalitionspartner der Zustimmungswert deutlich.
Die SPD, größte Oppositionspartei im Landtag, kommt im Urteil der Wählerinnen und Wählern im Land nicht besser weg. Nur 19 Prozent finden, dass die SPD im Düsseldorfer Landtag gute Arbeit leistet, 60 Prozent geben den Sozialdemokraten schlechte Noten.
Wie zufrieden sind die Bürgerinnen mit Ministerpräsident Hendrik Wüst?
Der Ministerpräsident kommt im Urteil der Menschen in NRW deutlich besser weg als die Arbeit der Landesregierung, die Wüst anführt. 50 Prozent sind mit der Arbeit von Hendrik Wüst zufrieden, das ist der höchste Zustimmungswert für den CDU-Politiker in allen bisherigen NRW-Checks. 39 Prozent sind mit seiner Arbeit nicht zufrieden.
Die stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne) kann von solchen Werten nur träumen. 51 Prozent sind mit der Arbeit der Wirtschaftsministerin nicht zufrieden, nur 25 Prozent der Wahlberechtigten geben ihr gute Noten.
Welche Partei wird mit den Problemen in NRW am besten fertig?
Eine knappe Mehrheit meint: keine. 51 Prozent der Befragten trauen keiner Partei die Lösung der Probleme des Landes zu. Damit hat sich an der Einschätzung der Wählerinnen und Wähler seit dem ersten NRW-Check im Dezember 2021 wenig verändert. Mit 21 Prozent sehen die Menschen die nötigen Kompetenzen noch am ehesten bei der CDU, nur 9 Prozent sind der Ansicht, die SPD könne die politischen Probleme des Landes am besten lösen, die Grünen kommen auf sieben, die FDP auf nur drei Prozent.
Wer sollte der nächste Kanzlerkandidat der Union sein?
Mit Blick auf die nächste Bundestagswahl sehen 32 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in NRW Hendrik Wüst als besten Kanzlerkandidaten der Union. Weit abgeschlagen folgen CDU-Chef Friedrich Merz und der bayrische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder (beide 15 %) sowie Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (10 %).
Auch unter den Anhängern der CDU wird Wüst (51 %) deutlich häufiger als Friedrich Merz (34 %) als möglicher Kanzlerkandidat genannt.
„Die Sonntagsfrage“: Wie würde NRW wählen?
Bei einer Landtagswahl könnte die bisherige Düsseldorfer Koalition aus CDU und Grünen mit einer regierungsfähigen Mehrheit rechnen, ergab der aktuelle NRW-Check. Danach kommt die CDU auf 37 Prozent der abgegebenen Stimmen - bei der Landtagswahl im Mai 2022 erreichte die CDU 35,7 Prozent. Die Grünen erreichen aktuell 14 Prozent (NRW-Wahl 2022: 18,2 %).
Der SPD würden 21 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme geben (2022: 26,7 %), die FDP läge bei fünf Prozent (5,9 %) und müsste um den Einzug in den Landtag bangen. Die AfD könnte demnach mit 13 Prozent rechnen, was im Vergleich zur NRW-Wahl 2022 (5,4 %) einen deutlichen Zuwachs bedeuten würde.