Berlin. Die Liberalen haben sich verzockt, sie gehören dem Bundestag nicht mehr an. Der Parteichef kündigt seinen Rückzug aus der Politik an.

Jubel oder lange Gesichter, das sind normalerweise die Optionen, die Parteigänger an Wahlabenden haben. Bei der FDP allerdings war am Sonntag lange unklar, wohin die Reise geht. Draußen oder drin – und wenn drin, dann mit oder ohne Regierungsoption: So stellte die Lage für die Freien Demokraten unmittelbar nach Schließung der Wahllokale dar. Später am Abend zeichnete sich dann aber ein klarer Trend in den Hochrechnungen ab: Die Liberalen sind demnach an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und werden dem neuen Bundestag nicht angehören.

FDP-Chef Christian Lindner ließ sich am Sonntagabend Zeit, bevor er in der Berliner Parteizentrale auf die Bühne trat. Zu sehen war dann ein sichtlich aufgewühlter Vorsitzender. Im Herbst, also vor dem Bruch der Ampel-Koalition, seien die Liberalen voll ins Risiko gegangen, sagte Lindner. „Wir zahlen selbst heute einen hohen Preis dafür. Für Deutschland aber war die Entscheidung richtig.“

Später, in der Elefantenrunde von ARD und ZDF, machte Lindner klar, dass mit einem Ausscheiden seiner Partei aus dem Bundestag auch seine politische Karriere enden wird. „Dann ist mein Führungsanspruch für die FDP natürlich erloschen.“ Die Partei müsse sich in diesem Fall inhaltlich und personell ganz neu aufstellen. „Wenn die FDP aus dem Bundestag ausscheidet, ist das völlig klar, dass ich dann auch aus der Politik ausscheide.“ Am späten Abend dann legte sich Lindner definitiv fest, ohne jede Hintertür: „Nun scheide ich aus der aktiven Politik aus“, schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter). Auch Parteivize Wolfgang Kubicki will sich zurückziehen.

FDP-Chef Christian Lindner bei der Wahlparty seiner Partei in Berlin. Er saß elf Jahre seiner Partei vor. Nun steht sein Abgang bevor.
FDP-Chef Christian Lindner bei der Wahlparty seiner Partei in Berlin. Er saß elf Jahre seiner Partei vor. Nun steht sein Abgang bevor. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Lindner und seine Liberalen haben hoch gepokert – und zwar höher als alle anderen Parteien in den vergangenen Monaten. Jetzt haben sie alles verloren. Die Freien Demokraten waren es, die sich in der Ampel-Koalition mit SPD und Grünen sichtlich unwohl fühlten und später gezielt auf das Ende des Regierungsbündnisses hinarbeiteten. Sie schrieben Papiere in Serie, die die Koalitionspartner als Provokation auffassen mussten und wohl auch sollten. Eine „Wirtschaftswende“ müsse her, forderten Lindner und seine Leute immer wieder. Und die sei mit den bisherigen Regierungspartnern nicht zu machen.

Christian Lindner: Im Wahlkampf beging der Vorsitzende schwere Fehler

Im Grunde ging es vor und nach dem Ampel-Aus nur noch darum, das Kernklientel der Partei zu erreichen: Unternehmer, Selbstständige, höhere Angestellte, Freiberufler, Besserverdiener. Die Partei ist gerupft: Bei der Bundestagswahl 2021 holte sie noch mehr als elf Prozent der Stimmen. Danach gingen Landtagswahlen in Serie verloren. Jetzt spielt sie in der Bundespolitik keine Rolle mehr.

Zur Wahrheit gehört auch: Der Wahlkampf der Liberalen nahm nie richtig Fahrt auf. Er war voll und ganz auf den Parteivorsitzenden zugeschnitten. Und der beging im Laufe der Kampagne erstaunliche Fehler: So pries er den amerikanischen Tech-Unternehmer Elon Musk als Vorbild für Deutschland – und zwar dann noch, als der sich längst zum Fürsprecher der extremen Rechten in Deutschland und Europa gemacht hatte.

Lindner setzte auch schnell auf eine Koalition mit der Union unter Führung eines CDU-Kanzlers Friedrich Merz. Seine Argumentation: Nur so ließen sich ambitionierte Wirtschaftsreformen in Deutschland durchsetzen und ein weiterer Vormarsch der AfD stoppen. Als Merz im Januar umstrittene Anträge im Bundestag zur Migrationspolitik zur Abstimmung stellte und dafür auch eine Unterstützung der AfD in Kauf nahm, war die FDP mit von der Partie.

Dumm nur, dass der CDU-Chef im Wahlkampf nichts von den Liberalen wissen wollte und Lindners Liebedienerei brüsk zurückwies. Er demütigte ihn sogar. Im Interview dieser Redaktion jedenfalls sagte Merz mit Blick auf schlechte Umfragewerte für die Liberalen: „Vier Prozent sind vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent zu wenig für die Union.“ Die Botschaft: Mit Leihstimmen von uns können Lindner und seine Leute nicht rechnen.

«Ampel-Aus» ist «Wort des Jahres»
Die ehemaligen Regierungspartner Christian Lindner (FDP, links), Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck (Grüne) im Juli des vergangenen Jahres. Die Freien Demokraten fühlten sich unwohl in der Ampel-Koalition und arbeiteten auf ihren Bruch hin. © DPA Images | Michael Kappeler

Es ist ja auch nicht so, dass CDU und CSU besonders darauf erpicht gewesen wäre, mit den Freien Demokraten zu regieren. Die Lindner-FDP gilt als chronisch unzuverlässig und eigenwillig. Und das nicht erst seit ihrem Wirken in der Ampel-Koalition.

In der Union haben sie bis heute nicht vergessen, wie der FDP-Chef im Jahr 2017 die Sondierungsgespräche zur Bildung einer Dreier-Koalition mit den Grünen unter einer Kanzlerin Angela Merkel (CDU) platzen ließ. Wochenlang wurde verhandelt, man sah sich auf einem guten Weg – bis Lindner plötzlich den Stecker zog. „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, sagte Lindner ehedem lapidar. Der Satz hängt ihm bis heute nach. Der Umstand, dass es im Grunde die FDP war, die sieben Jahre später das Ende der Ampel-Koalition herbeiführte, festigte Lindners Ruf als unsicherer Kantonist.

Die Liberalen befinden sich in einem Überlebenskampf als Partei. Und den führten sie auch schon vor der Implosion des Regierungsbündnisses mit SPD und Grünen. Die FDP ist nur noch in acht von sechzehn Landtagen vertreten und in zwei Landesregierungen. In der kommenden Woche wird in Hamburg eine neue Bürgerschaft gewählt. Ob die Freien Demokraten dann den Einzug ins Landesparlament schaffen, ist fraglich.

NameChristian Lindner
Geburtsdatum7. Januar 1979
AmtFDP-Vorsitzender, Finanzminister
ParteiFDP
Parteimitglied seit1995
FamilienstandVerheiratet
Größe1,86 Meter
WohnortBerlin

Als Kanzler Olaf Scholz (SPD) im November als Christian Lindner als Bundesfinanzminister entließ und damit das Ampel-Aus besiegelte, machte der FDP-Chef schnell klar, dass er nach Neuwahlen wieder Finanzminister werden will. Das erwies sich jetzt als verwegene Träumerei. Seine Zeit als FDP-Chef ist vorbei, mehr als elf Jahre war er Vorsitzender der Liberalen. Er führte sie aus der außerparlamentarischen Opposition zurück in den Bundestag, später in die Regierung – und jetzt wieder ins Nichts. Ob sie sich davon jemals wieder erholen werden, erscheint völlig offen.