Berlin. Die Kandidaten von SPD, Grünen und AfD beantworten Bürger-Fragen auf Pro 7 und Sat.1. Warum Merz am Tag vor der Bundestagswahl fehlt.
Im letzten TV-Format vor der Bundestagswahl 2025 können die Spitzenkandidaten von SPD, den Grünen und der AfD noch einmal Bürgernähe beweisen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) und AfD-Chefin Alice Weidel treffen beim „Bürger-Speed-Dating“ auf zehn Bürgerinnen und Bürger und ihre Fragen. Linda Zervakis und Paul Ronzheimer moderieren die Sendung, die am Samstagabend auf ProSieben, Sat.1 und Joyn zu sehen war.
So kurz vor der Bundestagswahl sind laut Umfragen noch Millionen Wahlberechtigte in Deutschland unentschlossen, wie sie am 23. Februar wählen wollen. Kann eine TV-Sendung das ändern? Dass es in diesem Wahlkampf zu wenige Möglichkeiten gab, kann jedenfalls niemand behaupten – von Duell, Quadrell, Sechser- bis Achterrunde war einiges dabei. Kein Format war wohl so intim wie das „Bürger-Speed-Dating“ mit Scholz, Habeck und Weidel.
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„Bürger-Speed-Dating“ bei Pro 7: Wo ist Friedrich Merz einen Abend vor der Wahl?
Aber wo ist Friedrich Merz? Er habe abgesagt, verkündet Moderatorin Linda Zervakis zu Beginn der Sendung. Von einem Sprecher der CDU heißt es, er habe aus terminlichen Gründen gefehlt.
Zehn Personen aus Deutschland stellen in jeweils dreiminütigen Gesprächen ihre Fragen direkt an die drei Politiker. Es sind Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die noch unentschlossen sind, wie sie wählen: Eine Schülerin und Erstwählerin ist dabei, eine alleinerziehende Mutter, eine Reservistin bei der Bundeswehr, ein Gastronom aus dem Ahrtal, eine Ärztin, ein Geograf, ein Polizist, ein Mitarbeiter eines Automobilzulieferers, eine Rentnerin sowie ein Content Creator.
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Bürger konfrontiert Alice Weidel mit Rassismus in der AfD – Weidel schleimt sich raus
Die Bürgerinnen und Bürger bringen noch einmal andere Themen zur Sprache als jene, die vergangene TV-Debatten dominierten: Ja, auch sie bewegen Migration und die Sicherheitspolitik in Europa. Aber sie stellen weitere Fragen zur Bildung, zur Rente, zum Klimawandel, zur Bürokratie oder zum Rassismus in Deutschland.
Der 22 Jahre alte Content Creator Kevin bringt etwa AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel aus dem Konzept, als er sie mit Rassismus in der AfD konfrontiert: „Ihre Partei wird von Leuten gewählt, die mich nicht als Teil dieses Landes sehen.“ Es gibt dem Berliner zufolge Menschen in der AfD, „die haben verrückte Sachen gesagt, wie ‚das Pack erschießen‘ oder ‚zurück nach Afrika prügeln‘“.
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Rassismus in der AfD? Alice Weidel will sich aus der Affäre ziehen
Weidel verkauft sich entgegen ihrer „Remigration“-Rede auf dem vergangenen AfD-Parteitag gemäßigt und versucht, sich mit Komplimenten zum Äußeren des jungen Mannes herauszureden: „Ich finde, dass sie super gut aussehen.“ Im Übrigen ginge es ihr ja nicht um Hautfarben, sagt sie zu dem jungen Mann of Colour, dessen Vater aus Nigeria stammt.
Außerdem bringt sie einen ihrer persönlichen Widersprüche taktisch ein: Alice Weidel ist mit Sarah Bossard verheiratet – einer Frau, die in Sri Lanka geboren ist. Mit ihrer Partnerin ziehe sie Kinder groß, die ebenfalls eine dunklere Hautfarbe hätten, sagt sie zu Kevin. Dass es Menschen in ihrer Partei gibt, die Rassismus verharmlosen, leugnet sie.
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„Ich hab den Eindruck, alle Parteien sind unnormal geil darauf, Menschen abzuschieben“, sagt Kevin im Gespräch mit Grünen-Kandidat Robert Habeck. Der gibt zu, dass es vielen Menschen in seiner Partei wehtue, Debatten über Migration führen zu müssen. Aber wahr sei auch: „Unser Land braucht Zuwanderung“, sagt Habeck. „Man muss Rassismus hart benennen und hart bekämpfen.“
Rassismus: Muss „Olaf-Abi“ Scholz mehr gegen Fremdenfeindlichkeit tun?
Mit Bundeskanzler Olaf Scholz geht Kevin zunächst härter ins Gericht: „Sie sind Kanzler, müssen Sie nicht noch mehr mitgestalten?“ Tut der Kanzler wirklich genug gegen Rassismus? Scholz sagt, er sei da schon ziemlich klar in seiner Haltung.
Zu seinen mindestens unüberlegten Aussagen über Joe Chialo sagt Scholz nichts. Versöhnlich fragt Kevin dann, ob der Kanzler wisse, dass er von vielen jungen Menschen mit Migrationshintergrund „Olaf-Abi“ genannt werde. Olaf-Abi weiß Bescheid und findet das gut. „Abi“ ist Türkisch, heißt in etwa „großer Bruder“ und soll Respekt ausdrücken.
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„Bürger-Speed-Dating“ wurde vorab aufgezeichnet – das hat Vorteile
Immer wieder wird zwischen den Gesprächen, die jeder Bürger und jede Bürgerin mit den Spitzenkandidaten führt, gesprungen. Die Sendung ist laut Angaben von ProSieben/Sat. 1 zeitnah zum Ausstrahlungstermin aufgezeichnet worden. Das hat Vorteile: Es ist möglich, Zahlen und weitere Informationen zu den besprochenen Themen einzublenden – und auch Fakten-Checks zu zeigen, die sonst nicht alle Menschen im Nachgang einer Sendung wahrnehmen.
Wer aber siegt an diesem Fernsehabend? Alice Weidel jedenfalls schleimt sich durch die Sendung. Bei fast jedem der zehn Gäste aus der Bevölkerung gehen am Anfang des Gesprächs mehrere Sekunden dafür drauf, ihrem Gegenüber fürs Kommen zu danken oder sonstige Komplimente zu verteilen. Sie ist sichtlich bemüht, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie deren Probleme ernst nimmt.
„Bürger-Speed-Dating“ bei Pro 7: Wer gewinnt die Sendung?
Ihr Vorteil: Sie kann Behauptungen aufstellen, so viel sie will. Weidel feuert immer wieder gegen vergangene Regierungen und zeichnet Bilder von ihren Vorhaben, wenn sie Regierungsverantwortung hätte. Dass dieser Fall sehr unwahrscheinlich ist, scheint manche Gesprächspartner nicht zu stören. Auch zur Finanzierung ihrer Ideen sagt sie in den meisten Fällen nichts.
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In einem der Interviews, die Linda Zervakis und Paul Ronzheimer nach den Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern führen, sagt etwa Jutta – eine 70 Jahre alte Frau, die wegen ihrer geringen Rente noch immer berufstätig ist – Weidel habe sie überzeugt. Auch Schülerin Clara sagt, die AfD-Chefin habe einige Punkte genannt, bei denen sie mitgehe.
Wie Olaf Scholz, Robert Habeck und Alice Weidel bei den Gästen ankommen
Selbst die alleinerziehende Mutter Liska, die alle Politiker nach ihrer Familien-Politik fragt, hält Weidels Versprechungen für umsetzbar. Warum die AfD auf ihrer Website Folgendes schreibt, fragt Liska nicht: „Die AfD möchte Alleinerziehenden helfen. Sie ist jedoch gegen jede finanzielle Unterstützung von Organisationen, die ‚Einelternfamilien‘ als normalen, fortschrittlichen oder gar erstrebenswerten Lebensentwurf propagieren.“
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Andere Gesprächspartner kritisieren Weidels unkonkrete Antworten im Interview mit Zervakis und Ronzheimer. Unkonkret bleibt oft aber auch Robert Habeck von den Grünen. Er erwähnt zu fast jedem Thema Fakten, ist interessiert an seinen Gesprächspartnern, stellt viele Fragen – zu viele. „Haben Sie viele Gegenfragen gestellt, weil Sie keine Lösungen haben?“, fragt Linda Zervakis zum Ende der Sendung.
Zervakis zu Habeck: „Haben Sie viele Gegenfragen gestellt, weil Sie keine Lösungen haben?“
Vize-Kanzler Habeck macht einen auf ehrlich: Im Gespräch mit Ärztin Stephanie habe er keine Ahnung gehabt, wie Abrechnungen und andere bürokratische Akte im Krankenhaus ablaufen. „Ich brauche da Nachhilfe von Ihnen“, sagt er zu der Ärztin. Auch Thorsten gegenüber, der im Ahrtal ein Restaurant betreibt, zeigen sich Wissenslücken. Es ist authentisch zuzugeben, dass auch ein Politiker nicht bei allen Themen auf dem aktuellen Stand ist – bei vielen Wählerinnen und Wählern dürfte aber ankommen: Robert Habeck hat keine Ahnung.
Im Vergleich ist Kanzler Scholz souveräner, der zwar gewohnt eintönig und distanzierter als die anderen wirkt, den Bürgerinnen und Bürgern aber auch Lösungsvorschläge liefert. Den Mitarbeiter von Autozulieferer ZF hat Scholz jedenfalls überzeugt, genauso wie den Polizisten Jörg. Jutta kann er mit einem seiner Kernthemen – einer sicheren Rente und Mindestlohn – jedoch nicht für sich gewinnen. Und wie sieht es bei den anderen Gästen aus?
Ärztin Stephanie weiß durch die Sendung, wen sie wählen will, verrät aber nicht, wen. Thorsten aus dem Ahrtal sagt, dass er bei keiner der drei Parteien normalerweise sein Kreuz setze – seine Stimme gehe in eine andere Richtung. Die alleinerziehende Mutter Liska habe durch die Sendung wieder etwas mehr Vertrauen in die Politik. Kevins Fazit des Formats: „Ich weiß auf jeden Fall, was ich nicht wählen werde.“ Aber wählen gehen, das werde er in jedem Fall.