Aschaffenburg. Aschaffenburg nach dem tödlichen Messerangriff: Die Menschen trotzen der rechten Provokation – und eine AfD-Aktion läuft ins Leere.
Die weißen Buchstaben auf schwarzem Grund schweben überdimensional über dem Theaterplatz. Das Stadttheater Aschaffenburg hat seine große Leinwand hinter der Glasfassade für eine Trauerbotschaft des Oberbürgermeisters Jürgen Herzing (SPD) freigemacht, sie beginnt mit den Worten: „Ich bin schockiert, zutiefst erschüttert und mit dem Herzen bei den Opfern und ihren Angehörigen.“
Dieses Gefühl hängt wie ein grauer Schleier über Aschaffenburg in den Tagen nach dem Messerangriff auf eine Kindergartengruppe, mutmaßlich begangen von einem 28-Jährigen Afghanen. Ein zweijähriger Junge marokkanischer Herkunft wurde ebenso getötet wie ein 41-Jähriger Passant, der sich zwischen den Täter und die Kindergartengruppe warf. Er verhinderte wohl schlimmeres, aber bezahlte dafür mit seinem Leben.
In Aschaffenburg sitzt der Schock über die tödliche Messerattacke tief
Der Schock sitzt unsagbar tief, das ist jedem anzusehen, der durch den Park Schöntal läuft, wo sich die Tat ereignete. Menschen weinen und umarmen sich. Aber es gibt auch einzelne, die ihrer Wut offen Luft machen. Am Donnerstagabend steht ein Mann vor dem Parkeingang von der Altstadtseite und flucht vor sich hin. „Es muss sich etwas ändern. Das war doch früher nicht so.“ Am nächsten Morgen pöbelt jemand patrouillierende Polizisten im Park an. Sie würden eine „vorübergehende Show“ abziehen, jetzt, nach der Tat, sei ihre Wachsamkeit zu spät. Die Polizisten versuchen eine ruhige Ansprache; nach weiteren Pöbeleien verschwindet der Mann.
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Doch diejenigen, die pöbeln und schimpfen, sind in den Stunden und Tagen nach der Tat in der Minderheit. Die meisten trauern still, etwa die 3000 Menschen, die sich laut Polizeiangaben beim Gedenken am so genannten Blauen Klavier versammeln, einem Kunstwerk aus Beton, das als Sehenswürdigkeit der Stadt gilt. Jung und alt kommen her, mit Migrationshintergrund und ohne. „Das war sehr erfolgreich und eindrucksvoll“, sagt Axel Teuscher, Sprecher der Organisation „Aschaffenburg ist bunt“. Die hatte zu dem Gedenken aufgerufen, zusammen mit der islamischen Kulturgemeinschaft Aschaffenburg. In der Kleinstadt leben Menschen aus 140 Nationen, so die offiziellen Angaben der Stadt. Von 72.000 Einwohnern hat jeder dritte einen Migrationshintergrund.
„Aschaffenburg ist eine sehr weltoffene, tolerante Stadt“, bestätigt der bekannte Kabarettist Urban Priol (“Neues aus der Anstalt“, ZDF) dieser Redaktion. Er stammt aus der unterfränkischen Stadt und betreibt dort ein Theater. An der Trauerkundgebung sei er selbst dabei gewesen und habe mit vielen Menschen gesprochen. Die Meisten seien auch nach dem tödlichen Messerangriff gegen blinde Wut und Schuldzuweisungen.
Dass die Weltoffenheit offenbar in der Stadt verankert ist, zeigt sich auch im Kulturbetrieb. So steht gerade im Stadttheater eine Komödie in türkischer Sprache auf die Spielplan – mit deutschen Untertiteln. „Endstation unserer Liebe – Askimizin Son Duragi“. Und im Schaufenster des Stadtjugendrings Aschaffenburg, unweit des Park-Eingangs, hängt ein buntes Plakat mit Statistiken. Die Überschrift: „Nur mit Migration läuft der Laden“.
Aschaffenburg: An der zentralen Gedenkstelle legen Kinder Briefe ab
Im Park allerdings dominiert die Trauer. Über dem Blauen Klavier, wo die zentrale Gedenkstelle ist, hängt ein schwarzes Tuch, darauf ist die marokkanische Flagge, dem Land, aus dem der zweijährige Junge stammt, der von dem mutmaßlichen Angreifer erstochen wurde. Sein Tod berührt die Menschen besonders. Kinder legen Briefe an den Gedenkstellen ab, zwischen Blumen, Kuscheltiere und Kerzen. „Dich wollte die Welt sehen (…). Du hättest noch so viel erleben können“, schreibt ein elfjähriges Mädchen. „Wenn ich groß bin, werde ich Polizist, und bestrafe alle Menschen die Böses tun“, heißt es in einem anderen Brief. Nach Auskunft seines Onkels habe der kleine Yannis oft mit Polizeiautos gespielt und dabei gesagt: „Ich Polizist.“
Die Aschaffenburger Kirchen haben für die Trauernden ein Seelsorge-Zelt neben dem Tatort aufgestellt. „Viele der Leute sind Anwohner, die haben so viele Fragen, spüren Traurigkeit und eine tiefe Verunsicherung“, sagt Ursula Silber. Die Seelsorgerin arbeitet normalerweise in der Erwachsenenbildung, am Freitagvormittag betreut sie den Stand zusammen mit Pfarrerin Ulrike Gitter. Für Anklagen, harte Forderungen und Ausländerfeindlichkeit sei hier kein Raum, sagt sie und fügt hinzu: „Wenn wir einander in dieser Gesellschaft mit Misstrauen begegnen, habe ich Angst.“
Am Sonntag wollen die Kirchen eine Gedenkfeier abhalten, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist geladen, ebenso wie die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Der evangelische bayerische Landesbischof Christian Kopp und der katholische Würzburger Bischof Franz Jung werden, so der Plan, einen klassischen ökumenischen Wortgottesdienst leiten, dem ein politischer Teil folgen soll. „Die Trauer in der Stadt ist groß, die Anteilnahme überwältigend“, heißt es in einer Mitteilung der Stadt dazu. Mit der Gedenkfeier solle ein Zeichen des Respekts und Zusammenhalts gesetzt werden.
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Zunächst hat sich aber erst mal die AfD für den Freitagnachmittag angekündigt. Kabarettist Priol hält das für Wutbürgertourismus“. Er engagiert sich selbst bei „Aschaffenburg ist bunt“. Deren Organisationssprecher Teuscher sagt: „Die rechte Szene hat in den großen Städten im Großraum Rhein-Main keinen Fuß mehr in die Tür gekriegt. Da gab es überall große Wiederstände gegen rechte Demonstrationen. Aschaffenburg hat das am Anfang etwas verschlafen, aber mittlerweile stehen wir den großen Städten in nichts nach.“ An Silvester, so sagt Teuscher etwa, habe eine Demonstration von „Aschaffenburg ist bunt“ 1000 Teilnehmer mobilisiert. Eine parallel stattfindender rechter Aufzug habe nur 200 gehabt.
Ob sich dieses Gewicht halten lässt? Am Freitagnachmittag spitzt sich zunächst die Stimmung zu. An der Gedenkstelle warten 50 AfD-Anhänger auf den Thüringischen AfD-Chef Björn Höcke, der sich zur Kranzniederlegung angekündigt hatte. An die eigentliche Gedenkstelle mit dem Kerzenmeer am Blauen Klavier kommt er aber gar nicht heran, da ihm Gegendemonstranten den Weg versperrten. Umringt wird er geschätzt von 100 Gefolgsleuten. Zur Kranzniederlegung weicht er schließlich an eine andere Andachtsstelle aus und hält eine kurze Ansprache, bei denen er Regierungspolitikern vorwirft, für Taten wie in Aschaffenburg verantwortlich zu sein.
Mit dem Tathergang hat er sich offenbar nicht nicht viel beschäftigt, so spricht er mehrfach von einem Mädchen, das erstochen worden sei. In seiner kurzen Rede macht er immer wieder Pausen, wohl um Raum für Applaus zu geben. Doch er wartet vergeblich. Noch nicht mal die eigenen Leute klatschen. Die Gegendemo begleitet Höcke auch beim Veralassen des Parks: Bis er weg ist, rufen die Teilnehmer in lauten Sprechchören: „Nazis raus.“ Danach ist es wieder still.