Berlin. Gabriela Kasigkeit unterrichtet Deutsch, Englisch und Psychologie. Jetzt rechnet die erfahrene Lehrerin mit der Bundespolitik ab.

Erst werden die Nachwuchslehrer bei der Ausbildung allein gelassen, dann, im Job, quälen Bürokratie, Stress und mangelnde Wertschätzung: „Da muss einfach was passieren“, sagt Gabriela Kasigkeit (64). Seit vier Jahrzehnten steht die Berliner Gymnasiallehrerin vor Schülerinnen und Schülern, um ihnen Deutsch, Englisch und Psychologie beizubringen.

Sie weiß also, wovon sie spricht, wenn sie auf die heutige Lehrerausbildung und das Bildungssystem blickt. Da gebe es erheblichen Nachbesserungsbedarf, fasst sie zusammen – und damit meine sie nicht die Studieninhalte. Es ist die Bildungspolitik, die sie aufregt. Jetzt, vor der Wahl, hat sie ganz konkrete Forderungen.

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    Kasigkeit wurde noch in der DDR ausgebildet: In Erfurt studierte sie Germanistik und Slawistik, anschließend berufsbegleitend Psychologie. Heute unterrichtet sie an einem Berliner Gymnasium. In all der Zeit hat sie hautnah miterlebt, was sich im deutschen Bildungskosmos verändert hat.

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    In der damaligen DDR seien Lehrkräfte sehr intensiv betreut worden, mit einem strengen Zeitplan. So eng sollte es heute nicht sein, findet die zweifache Mutter. Aber Betreuung und Feedback – das fehle heute bei der Ausbildung der Lehrkräfte. So sei es Alltag, dass Referendare oft allein vor der Klasse stünden und plötzlich mit Fragen konfrontiert würden, die ihnen vorher gar nicht in den Sinn gekommen seien.

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    Da brauche es einfach eine gewisse Einarbeitung. Obendrein sei das Referendariat in einigen Bundesländern mit zwölf Monaten viel zu kurz. 18 Monate sollte es mindestens dauern, noch besser zwei Jahre, wie in Bayern. Denn sie habe die Erfahrung gemacht: „Je sicherer ein Kollege oder eine Kollegin ist, desto besser der Unterricht, desto besser werden die Schüler.“ Das zeige auch das Feedback, dass sie von ihren Schülern bekommt.

    Gabriela Kasigkeit
    Das Klassenzimmer ist seit 40 Jahren der Arbeitsplatz von Gabriela Kasigkeit. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

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    Außerdem werde so auch der Beruf attraktiver – und darum geht es im Kern: Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fehlen deutschlandweit zehntausende Lehrerinnen und Lehrer. Obendrein ist die Teilzeitquote mit über 42 Prozent im Vergleich zu anderen Berufen überdurchschnittlich, so die Zahlen des Statistischen Bundesamtes.

    Für Kasigkeit kein Wunder: Die Belastung sei eben „wirklich richtig hoch“. Schon oft habe sie mitbekommen, dass etwa Berliner Kollegen keine Verbeamtung wollten – weil sie sich nicht vorstellen könnten, ihr Leben lang zu unterrichten.

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    Dabei sei klar, wie Lehrer entlastet werden können: Durch mehr pädagogische Fachkräfte an Schulen, etwa Sozialarbeiter, die Lehrkräfte unterstützen, wenn es Probleme im Unterricht gibt oder Kinder beim Lernen Hilfe brauchen. Und durch Entbürokratisierung. Doch die erfahrene Lehrerin hat den Eindruck, dass es vielen Politikern egal ist, wie es nach ihrer Amtszeit weitergeht. Schließlich habe es längst Pläne zur Entbürokratisierung gegeben, dabei hätten die Lehrkräfte sogar selbst mitgewirkt. Geworden sei daraus aber nichts.

    „Was wir brauchen, ist Sachverstand.“

    Gabriela Kasigkeit

    Im Gegenteil: Statt Entlastung gebe es immer wieder neue Regelungen, die zusätzlichen bürokratischen Aufwand nach sich zögen. So werde das Korrigieren immer aufwendiger, und das macht die 64-Jährige wütend: „Wieso kann man Leistungen nicht mal kürzer überprüfen?“ Sogar zu den Farben der Kugelschreiber, die beim Korrigieren genutzt werden, gebe es Vorgaben. „Da muss man mal die Kirche im Dorf lassen.“

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    Kasigkeit wünscht sich mehr Freiraum und Vertrauen in die pädagogische und fachliche Kompetenz der Lehrkräfte. Eben mehr Wertschätzung. Das könne die Arbeitszufriedenheit deutlich erhöhen – und vielleicht auch dazu führen, dass sich wieder mehr junge Leute für den Beruf entscheiden.

    Allerdings müssten sie dann auch eingestellt werden. Tatsächlich sei aber die personelle Ausstattung knapp: Der Bedarf an Lehrkräften müsse eigentlich zu 110 und nicht zu 100 Prozent gedeckt sein, meint Kasigkeit. Schließlich sei immer mal jemand krank, auf Exkursion, in Elternzeit. Doch entsprechende Mittel stünden nicht zur Verfügung.

    Wenn es gut läuft im Unterricht, sind die Schüler zufrieden – und die Lehrkräfte auch.
    Wenn es gut läuft im Unterricht, sind die Schüler zufrieden – und die Lehrkräfte auch. © Marijan Murat/dpa/Symbolbild | Unbekannt

    Was der Lehrerin auch am Herzen liegt, ist die Digitalisierung. Zwar sei es zu Corona-Zeiten „einen Riesenschritt vorangegangen“ – nach der Pandemie habe es aber keine Unterstützung seitens der Politik mehr gegeben.

    „Da wurden wir ganz schön allein gelassen“, sagt sie. Das meiste mussten sie und ihre Kollegen sich selbst aneignen – und wenn die Technik nicht funktioniere, müssen die Informatiklehrkräfte einspringen. Kasigkeit fordert: „Wir brauchen Kräfte von außen, die aushelfen.“

    Was der Lehrerin allerdings auch klar ist: Schnell lässt sich der Lehrermangel nicht beheben. Aber der Beruf könne langfristig attraktiver werden, damit wieder mehr Menschen Lust haben, zu unterrichten – und zwar Vollzeit und mit Herzblut, so wie es für Gabriela Kasigkeit seit 40 Jahren eine Selbstverständlichkeit ist. Denn trotz aller Hürden und Herausforderungen ist sie zufrieden mit ihrer Berufswahl: „Sonst würde ich den Job nicht schon so lange machen.“