Berlin. Auf Aleppo fallen wieder russische Bomben. Warum kocht der Konflikt hoch? Wer schießt auf wen – und was macht Kremlherrscher Putin?

Es fallen wieder Bomben auf Aleppo. Acht Jahre lang hatte in Syriens zweitgrößter Stadt trügerische Ruhe geherrscht. Zwischen 2012 und 2016 war die Stadt heftig umkämpft, das syrischen Regime rang mit islamistischen Aufständischen um die Kontrolle. Helikopter der Assad-Schergen warfen Fassbomben auf die Stadt, russische Kampfflugzeuge bombardierten. Vor allem der Ostteil Aleppos wurde nahezu vollständig zerstört.

Ende 2016 nahmen Truppen Assads die Stadt ein. Jetzt lodern neue Flammen in einem Konfliktherd, der nie wirklich befriedet war, aber von der Welt vergessen wurde. Kämpfer der dschihadistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die in der Nachbarprovinz Idlib herrschen, haben innerhalb weniger Tage große Teile Aleppos eingenommen, kurdische Kräfte der „Demokratischen Streitkräfte Syriens“ (SDF) haben den Flughafen der Stadt besetzt. Russische Kampfjets führen erstmals seit 2016 wieder Luftangriffe gegen Aleppo durch. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Syrien: Wer sind die Konfliktparteien?

In Syrien steht sich ein schwer zu überschauendes Geflecht unterschiedlicher Gruppen gegenüber. Das Regime des syrischen Diktators Baschar al-Assad wird im Wesentlichen von Russland und dem Iran unterstützt.

Russland hat Kampfjets und Wagner-Söldner entsandt. Syrien ist für Kreml-Diktator Putin vor allem wegen dem Marinestützpunkt in Tartus wichtig, dem einzigen russischen Militärhafen am Mittelmeer; aber auch, um generell seinen Einfluss in der Region zu sichern. Für den Iran kämpfen in Syrien die eigenen Revolutionsgarden, aber auch die libanesische Hisbollah und irakisch-schiitische Milizen. Syrien ist für Teheran ein Operationsraum des schiitischen Halbmonds, der sich bis zum Libanon erstreckt.

Im Norden Syriens haben mehrheitlich kurdische Kräfte eine quasi-autonome Zone geschaffen. Die „Demokratischen Streitkräfte Syriens“ (SDF) sind ein wichtiger Partner der US-geführten Anti-IS-Koalition. Die SDF werden aber von der Türkei als Ableger der kurdischen Arbeiterpartei PKK bekämpft, die Ankara, die USA und Deutschland als Terrororganisation bezeichnen. Die Türkei hat in den vergangenen Jahren mehrere Militäroperationen in Nordsyrien durchgeführt, Teile der Region besetzt und Hunderttausende Menschen vertrieben.

Ankara bedient sich dabei der Syrischen Nationalarmee (SNA), einem Bündnis islamistischer Milizen, die in Opposition zum Assad-Regime stehen. In der Provinz Idlib hat sich die Haiat Tahrir al-Scham (HTS) durchgesetzt. Die Miliz firmierte früher unter „al-Nusra-Front“ und war mit der terroristischen Al Kaida verbündet, hat sich aber offiziell von den Dschihadisten losgesagt. Die Terroristen des „Islamischen Staats“ (IS) kontrollieren nur noch Flecken in der syrischen Wüste im Osten des Landes, führen aber immer wieder Anschläge gegen Truppen des Regimes und der SDF durch.

Schwere Kämpfe in Syrien: Dschihadisten dringen in Aleppo ein

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    Aleppo: Wer kämpft aktuell wo?

    Die HTS ist binnen weniger Tage viele Kilometer aus der Provinz Idlib nach Osten vorgestoßen, hat dabei zahlreiche Dörfer und Kleinstädte überrannt und jetzt weite Teile Aleppos eingenommen. Offenbar wurden die verschiedenen Pro-Regime-Gruppierungen überrascht und leisteten wenig Widerstand.

    Mit dem Angriff der HTS begann die Türkei mit der Intensivierung von Luftangriffen auf die von kurdischen Verteidigungseinheiten kontrollierte Enklave Tel Rifaat 30 Kilometer nördlich von Aleppo, möglicherweise um eine Bodenoffensive der SNA vorzubereiten. In Tel Rifaat leben Zehntausende Menschen, die im Jahr 2018 bei dem türkischen Überfall auf Afrin vertrieben wurden, eine Region, die bis dahin ebenfalls von säkular-kurdischen Kräfte kontrolliert wurde.

    Die SDF sind in die Region vorgerückt, um einerseits Tel Rifaat zu schützen, andererseits aber auch Nachbarschaften in Aleppo, die von Christen und Kurden bewohnt werden. Der IS ist bislang nicht in die Kämpfe involviert.

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    Warum kocht der Syrien-Konflikt gerade jetzt wieder hoch?

    Die libanesische Hisbollah als einer der wichtigsten Unterstützer Assads ist durch den Konflikt im Israel geschwächt. Die israelischen Streitkräfte haben die Kommandostrukturen der Schiiten-Miliz ausgedünnt, viele Kämpfer sind bei den Auseinandersetzungen im Südlibanon gestorben. Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine beansprucht die russischen Streitkräfte mehr als Moskau zum Beginn der Invasion im Februar 2022 erwartet hat.

    Die HTS schien anfangs die Gunst der Stunde zu nutzen zu wollen, um die Regime-Truppen von Idlib wegzudrücken und wichtige Nachschubwege zu unterbinden. Der Einmarsch in Aleppo dürfte aber selbst für ihre Planer überraschend gewesen sein.

    Der türkische Präsident Erdogan, der sich in den vergangenen Monaten nach Jahren erbitterter Feindschaft wieder Assad angenähert hatte, will die Gelegenheit nutzen, um die kurdischen Autonomiebestrebungen weiter zu schwächen. Es ist gut möglich, dass die aktuellen Operationen im Vorfeld zwischen der HTS und der Türkei abgestimmt worden sind, Beweise gibt es dafür nicht.

    Was bedeutet der Konflikt für Putin?

    Für den russischen Diktator ist die Entwicklung ein Dilemma. Der Angriffskrieg läuft nicht nach Plan, auch wenn die russischen Invasoren derzeit insbesondere im Südosten der Ukraine in der Initiative sind. Der Konflikt verschlingt aber Unsummen. Vermutlich sind schon Hunderttausende russische Soldaten getötet oder schwer verletzt worden. Die Streitkräfte haben gewaltige Mengen Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und anderes Material verloren.

    Syriens Präsident Baschar al-Assad in Russland
    Der syrische Präsident Baschar al-Assad (l) spricht mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin während ihres Treffens (Archivbild). © DPA Images | Valery Sharifulin

    Die Eskalation in Syrien kommt für Putin zur Unzeit. Er muss reagieren und seinen Schützling Assad unterstützen, der am Samstag nach Moskau gereist ist. Lässt er Assad fallen, wäre das ein weiteres Eingeständnis der russischen Schwäche nach dem Vormarsch des Wagner-Führers Prigoschin auf Moskau und der ukrainischen Offensive in der russischen Region Kursk, der die russischen Streitkräfte wenig entgegensetzen konnten.

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    Gefangen in Syrien: Die Zukunft der IS-Terroristen?

    Im Krisenmodus

    Was bedeutet die Eskalation für den Iran?

    Auch das Mullah-Regime steht durch den Gewaltausbruch in Syrien unter enormem Druck. Hisbollah-Kämpfer scheinen ihre Positionen fluchtartig verlassen zu haben. Im Iran gärt es im Volk, eine Wirtschaftskrise plagt das Land. Die israelischen Angriffe auf die Führer der Hisbollah, der palästinensischen Hamas, auf wichtige Kommandeure der iranischen Revolutionsgarden und iranische Atomanlagen waren ein schwerer Imageschaden für die Mullahs. Fällt Assad, fällt ein wichtiger Partner in der Region.

    Was bedeutet die Eskalation für Europa?

    Der Fluchtdruck wird durch die Eskalation wieder steigen. Bislang sollen sich bis zu 50.000 Menschen vor den Kämpfen in Sicherheit gebracht haben. Es könnten deutlich mehr werden, sollten die islamistischen Verbündeten der Türkei in Tel Rifaat einfallen. Die Wirtschaftslage sowohl in den vom Regime kontrollierten Gebieten als auch in jenen unter der Kontrolle der Oppositionsgruppen ist katastrophal. Die Zahl derjenigen, die sich auf den Weg nach Europa machen, könnte erheblich zunehmen.